Ausrottung als Banalität

Ned Beaumans Klimawandel-Satire »Der gemeine Lumpfisch« zeigt Zärtlichkeit für ihre Figuren

Vielleicht muss man sich die Gegner im Kampf gegen den Klimawandel nicht als Superschurken, sondern als arme Würstchen vorstellen: getrieben von der Angst um Statusverlust, gefangen in finanziellen Abhängigkeiten und im Bewusstsein, dass sie dies nie zugeben dürfen. Mark Halyard, eine Hauptfigur in Ned Beaumans Roman »Der gemeine Lumpfisch« ist einer von ihnen. Im Bergbauunternehmen Brahmasumudram ist er für »Auslöschungszertifikate« zuständig. Wenn eine Spezies durch das Unternehmen auszusterben droht, kann es sich mit einem Zertifikat freikaufen — nur für als »intelligent« klassifizierte Arten werden 13 Zertifikate fällig. Mit den Erlösen werden das Reservat Sanctuary North und eine Gen-Datenbank für ausgestorbene Tiere finanziert.

Halyard rechtfertigt sich mit dem üblichen PR-Sprech. Die einzigen Tiere, für die er sich ernsthaft interessiert, sind die auf seinem Teller. Nur ist Feinschmecker zu sein im Klimawandel teuer, so dass er hochverschuldet ist, was er mit Leerverkäufen von Zertifikaten für den »gemeinen Lumpfisch« ausgleichen will. Durch einen Hackerangriff auf die Gen-­Datenbank steigen die Zertifikate jedoch im Wert, anstatt, wie geplant, zu fallen. Halyard bleibt nur eine Wahl: Der Lumpfisch darf nicht als intelligent klassifiziert werden. Doch vor der finnischen Küste erklärt ihm die Biologin Karin Resaint das Gegenteil: »Hochintelligent« sei der Fisch und — noch schlimmer — Brahmasumudram habe aus Versehen bereits die letzten Exemplare in freier Wildbahn getötet. Auch Resaint will den Fisch unbedingt vor dem Aussterben bewahren: Sie hält ihn für fähig, Rache zu nehmen: an der Menschheit.

Ned Beauman schickt das ungleiche Paar auf die Suche nach den letzten lebenden Lumpfischen durch Europa. Dabei wird ihnen immer wieder das Scheitern der marktbasierten Klimabürokratie deutlich. Sanctuary North etwa kann seine Aufgaben nicht erfüllen, weil die schwankenden Kurse der Auslöschungszertifikate keine Planung zulassen. In diesen Momenten liest sich »Der gemeine Lumpfisch« wie eine Satire auf den Klima-Ablasshandel rund um CO2-Kompensation, Ausgleichsflächen und Emissionszertifikate. Aber weil Beaumans Hauptfiguren aus zweifelhafter Absicht das Rich­tige tun, stellt er eine grundlegendere Frage: Was motiviert eigentlich uns, sich Artensterben und Klimawandel entgegenzustellen?