Philosophische Frage: Etwas anderes als Marvel? © Filmgalerie 451

»Beim Dreh kann es ruppig zugehen«

John Malkovich über Robert Schwentkes »Seneca«, das Kino und emotionale Momente am Set

Was hat Sie an »Seneca« gereizt?

Ich kenne Regisseur Robert Schwentke seit vielen Jahren, er hat mir früh vom Projekt erzählt, es entstanden etliche Drehbuchversionen, zu denen ich jeweils Feedback gab. Als Schauspieler ist so eine komplexe, historische Figur eine große Herausforderung. Seneca war Philosoph und stand Kaiser Nero nah, bis dieser ihm befahl, sich umzubringen.

Schwentke hat den Film als »Parabel über die Gefahr maßloser Macht und totalitärer Systeme« bezeichnet. Die Hauptfigur nennt er einen Kollaborateur und Opportunisten, der dem Tyrannen Nero zu Legitimität verhilft, im Austausch gegen unermesslichen Reichtum.

»Seneca« ist ein Historienfilm, der von der kapriziösen Anwendung der Macht durch Regierungen erzählt. Totalitarismus ist nie verschwunden. Insofern kann man »Seneca« als Allegorie über den Zustand der Gegenwart verstehen.

Sie haben kleinere Filme wie »Seneca« gedreht, aber auch Holly­wood-Produktionen wie »Con Air«.

Ich habe mich nie durch Kategorien wie Genrebezeichnungen beeinflussen lassen. Der Unterschied zwischen »großen« und »kleinen« Filmen spielt für mich genauso wenig eine Rolle wie der zwischen Produktionen aus Europa und aus Hollywood. Ich hatte das Glück, mit Filmemacher:innen wie Bernardo Bertolucci, Volker Schlöndorff, Liliana Cavani, Michelangelo Antonioni oder Stephen Frears arbeiten zu können. Regisseur:innen, die Filme drehen, die herausfordernd schwierig, intim sind, und die mit viel Intelligenz gedreht werden. Aber das war nie ein Masterplan, sondern hat sich so ergeben.

Ist Ihre Vorbereitung auf eine Rolle  dieselbe, egal ob es um Seneca oder den wahnsinnigen Verbrecher Cyrus the Virus geht?

Bei »Seneca« hatte ich Einfluss auf die Figur, bei einem Hollywood-Film wie »Con Air« ist das nicht möglich. Grundsätzlich genieße ich es, zu arbeiten, egal ob ich Cyrus the Virus oder Seneca spiele. Ich denke seltener über das Ergebnis der Arbeit nach als über den Drehtag, der vor mir liegt.

Nach der Action-Komödie »R.E.D. — Älter. Härter. Besser« 2010 ist »Seneca« ihr zweiter Film mit Robert Schwentke. Was schätzen Sie an ihm?

Ich mag Robert Schwentke. Seinen Humor, sein filmisches Wissen. Er ist sehr belesen, gerade nach den Maßstäben Hollywoods. Dort geht es in erster Linie um Film und nicht um Literatur und Kunst. Robert weiß genau, was er will und wie er es erreichen kann. Er ist auch darüber hinaus ein idealer Kollege, denn beim Dreh kann es ruppig und emotional zugehen. Manchmal agiert man am Set impulsiv, lässt Wut raus. Robert kann solche Momente abfangen. Das erfordert viel Geduld und Taktgefühl.

Schwentke gilt als Stilist, der starke visuelle Filme dreht. »Seneca« aber wirkt theatralisch. Hat Sie dieser Aspekt interessiert, weil Sie ur­sprünglich von der Bühne kommen?

Das ist ein interessanter Gedanke. Ich habe schon öfter darüber nachgedacht, Filme auf die Bühne zu bringen. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob sich dieses Drehbuch dafür eignet. Theater verlangt in der Regel nach einem starken Gegensatz zwischen Protagonisten und Antagonisten — und in gewisser Weise verkörpert die Figur Seneca beides in einer Person. Hier würde ich am ehesten an eine musikalische Adaption denken.

Wo sehen Sie heute das Publikum für einen Film wie »Seneca«?

Keine Ahnung! Gibt es noch ein Publikum für etwas anderes als Marvel? Es werden noch kleine Filme gedreht, die auch zu sehen sind, aber ich habe Zweifel daran, dass ein gewachsenes Publikum für erwachsene Filme im Arthouse-Bereich existiert. So viel hat sich in den letzten Jahren verändert … erst Video, dann DVD, jetzt Streaming. Man darf nicht vergessen, dass der Film eine re­lativ junge Kunst ist. Wir sprechen hier nicht von etwas wie dem Theater, vielleicht erweist sich das Kino als vorübergehende Erscheinung. Niemand garantiert uns, dass es immer Filme geben wird. 

D/M 2023, R: Robert Schwentke, D: John Malkovich, Geraldine Chaplin, Tom Xander, 112 Min.


John Malkovich
Am 9. Dezember 2023 wird John Malkovich seinen 70. Geburtstag feiern, 1978 gab er sein Debüt als Kino-Schauspieler in Robert Altmans »Eine Hochzeit«, 1999 spielte er in Spike Jonze’ »Being John Malkovich« eine fiktionale Version seiner selbst. 2002 führte er beim Spiel­film »Der Obrist und die Tänzerin« Regie.