Alles gut (gegebenenfalls mit Feudel)

Materialien zur Meinungsbildung

Egal, wie blöd ich mich anstelle — es ist heute »alles gut«. Das ist die frohe Botschaft, die allenthalben überbracht wird. Nicht von den Kanzeln am Tag des Herrn, sondern im Alltag. Ich halte meine EC-Karte falsch vor den Apparat an der Supermarktkasse! Ich stehe auf dem Bürgersteig dumm im Weg herum, während ich fernmündlich mit Gesine Stabroth streite! Und bei Trinkhalle Hirmsel plumpst mir eine Flasche Bier auf den Boden und birst — ich entschuldige mich und schon ist »alles gut«. Okay, in diesem Fall muss man noch mit Herrn Hirmsels speckigem Feudel die Bierlache auftunken und die Scherben mit dem Fuß unter die Regale kehren. Aber dann ist auch hier »alles gut«.

Alles gut — das hat metaphy­sische Wucht. Augenscheinlich ist ja eben nicht alles gut. Aber darum geht es vielleicht gar nicht. ­Zu beachten gilt es vielmehr, dass erst dann — womöglich erst wieder —  »alles gut« ist, wenn man sich für sein Verhalten entschuldigt. Es ist also das Eingeständnis meines Fehlers, wodurch »alles gut« wird. Wie theologisch sind doch modische Floskeln! Es wird bloß nicht mehr deutlich. Sonst lautete die Floskel ja: »Ich nehme die Entschuldigung bereitwillig an, und damit ist für mich dieser Vorfall erledigt (insofern die Bierlache noch mit diesem Stinkelappen halbwegs entfernt wird).«

Etwas Ähnliches wie bei »alles gut« hat sich bei einer anderen Kommunikationsroutine entwickelt. Früher sagte man »danke schön«, wenn jemand einem einen Gefallen tat, und zur Antwort kam dann, eigentlich etwas seltsam, »bitte schön«. Vornehm ist das aber schon deshalb, weil man das »Ich« weglässt. Irgendwie hat es sich nun aber durchgesetzt, dass man anders antwortet, nämlich wahlweise »dafür nich’« oder »gerne!«. Die Wortwahl kann man interessant finden. Verschleiert sie doch das, was auch hier Sache ist: das Gefälle zwischen demjenigen, der etwas gewährt und demjenigen, dem etwas gewährt wird und der den Nutzen davon trägt. »Mein aufrichtiger Dank für Ihre Güte, dass ich mal von diesem nach­haltig-regionalen Knackwürstl abbeißen darf, ich hab ­­ da so einen Appetit drauf gehabt, glaubt man gar nicht!« — »Dafür nicht.« Der Vorgang beruht auf einer Ungleich­heit, die besteht, weil einer von zwei­en, dem anderen Dank schuldet.

Ungleichheit aber ist verpönt, dabei liest man doch heutzutage so viel über Diversität. Doch Ungleichheit wird oft mit Ungerechtigkeit gleichgesetzt. Aber ist es ungerecht, wenn man sich bedanken soll, weil jemand einem etwas gibt? Vielleicht. Denn vielleicht sollte jeder ein nachhaltig-regionales Knackwürstl haben. Aber wenn jeder alles hätte, was er bräuchte und vielleicht sogar noch mehr — bei wem bedankten wir uns dann? In der völligen Gleichheit ist niemand mehr auf die Güte des anderen angewiesen. Aber wollen wir deshalb die ungerechte Ungleichheit? Sicher nicht. Alle Menschen sind gleich. Aber so richtig schön wird’s miteinander vielleicht doch nur, wenn man sich auch mal entschuldigen muss und dann hört, alles sei gut. Wir sollten einfach mal die EC-Karten falsch an den Automaten halten oder beim ­Tele­fonieren blöd im Weg herumstehen, dachte ich. Wer weiß, was passiert? Gesagt, getan. Es war leider ernüchternd. Nicht alle sagen nämlich »Alles gut«, es gibt Modemuffel! Sie ­sagen weiterhin: »Na, jetzt ist es auch zu spät, pass doch auf, du Vollpfosten!« Auch das ist gewissermaßen eine theologische Antwort, aber sie ist niederschmet­ternd. Denn man kann gar nichts mehr ändern.