Gravierende Mängel, seit Jahren: Notunterkunft Herkulesstraße

Ein ungeschützter Raum

Geflüchtete leiden unter den Zuständen in den Sammelunterkünften — vor allem Frauen

Eigentlich wollte Köln seine Sammelunterkünfte für Geflüchtete schließen. Nach einem Corona-Ausbruch in der Notunterkunft an der Herkulesstraße in Neuehrenfeld, im Zuge dessen die Bewohnerinnen und Bewohner für mehrere Wochen abgeriegelt wurden, beschloss der Stadtrat im Februar 2021, Gemeinschaftsunterkünfte aufzulösen. Allen Geflüchteten sollte bis 2025 eine menschenwür­dige Unterkunft in abgeschlossenen Wohnungen garantiert werden.

Seit Jahren steht die Notunterkunft an der Herkulesstraße im Fokus der Kritik. »Die Situation für gewaltbetroffene Frauen ist untragbar und wird immer schlimmer. Unsere Klientinnen sind monatelang dort«, sagt Soraya Geara, Diplompädagogin bei Agisra, einer Beratungsstelle für geflüchtete Frauen. In einem offenen Brief werfen Agisra-Mitarbeiterinnen der Stadt gravierende Mängel in der frauenspezifischen Unterbringung vor und fordern das Ende der Sammelunterkünfte. »Die Stadt sagt, dass es um Einzelfälle geht, es ist aber ein strukturelles Problem«, so Geara. Schlechte ­hygienische Bedingungen, unausgewogenes Essen, fehlende Privatsphäre, kein geschützter Raum vor Männern, unzureichende ­Informationen über das sozialarbeiterische Angebot, lauten die Vorwürfe. »Die Probleme bestehen seit Jahren. Es fehlt scheinbar der Wille, das verändern zu wollen«, sagt Geara.

Laut einem Stadtsprecher ist die Notunterkunft Herkulesstraße wegen »des hohen Bedarfs an ­Unterbringungsressourcen« derzeit unverzichtbar. »Es kann keine Prognose abgegeben werden, wann die geplante Aufgabe der Herkulesstraße möglich ist.« Mitte März wurden insgesamt 443 Geflüchtete dort untergebracht, kölnweit waren es 11.350  — gut 2500 weniger als zum Höhepunkt der Fluchtbewegung im Juli 2016. Laut Stadt soll Mitte April ein Standort mit rund 40 Plätzen für die Unterbringung schutzbedürftiger Frauen eröffnet werden.

 

Zwei Frauen, die viele Wochen in der Notunterkunft Herkules­straße untergebracht waren, haben uns ihre Erlebnisse geschildert.

Clara, 21 Jahre
Ich bin alleine aus Guinea nach Deutschland geflüchtet und in der 24. Woche schwanger. Ich war drei Monate in der Herkulesstraße. Ich habe schlimme Dinge erlebt, in Guinea und auf der Flucht. Eigentlich hieß es, in unserem Flur sollten keine Männer sein. Aber der Frauenflur war vorübergehend geschlossen, ich glaube, weil etwas ­repariert wurde. Sobald ich die Tür aufgemacht habe, standen Männer in großen Gruppen im Gang herum, manchmal direkt vor meinem Zimmer. Sie haben scheinbar nicht geschlafen. Sie standen dort die ganze Nacht. Und als wir uns waschen wollten, waren manchmal Männer im Frauen-Sanitärbereich. Warum, weiß ich nicht. Sie haben mir nichts getan, aber sie waren da. Ich habe mir einen Eimer gekauft, um meine Bedürfnisse im Zimmer zu verrichten.

Manche Leute werfen ihr Essen in die Toilette, weil es nicht schmeckt. Wenn die Toilette verstopft ist, verriegelt der Reinigungsdienst einfach die Tür. Eigentlich soll der Reinigungsdienst fünf mal pro Tag putzen. Ich habe ihn aber immer nur morgens gesehen. Überall ist Schmutz, es fliegen Binden oder Babywindeln herum. Seit zwei Tagen habe ich ein Zimmer für mich alleine in einer städtischen Einrichtung und schlafe jetzt erst mal.

 

Marie, 32 Jahre
Ich komme aus Guinea und bin ­Diabetikerin. Weil ich auf meine Zuckerwerte aufpassen muss, ist es wichtig, dass ich selbst für mich ­kochen kann. Doch in der Herkulesstraße, wo ich acht Wochen gelebt habe, war das nicht möglich.

Es gab fast täglich Kartoffeln: Salzkartoffeln, Pürree, Suppe, oder als Eintopf mit Karotten. Mein Arzt hat mir gesagt, ich solle nicht so viele Kartoffeln essen, wegen des hohen Stärkeanteils. Mir ging es körperlich nicht gut, zweimal musste ich ins Krankenhaus, weil die Blutzuckerwerte nach oben geschnellt sind. Ich habe einen Brief von meinem Arzt vorgezeigt, dass ich ausgewogenere Mahlzeiten benötige und nicht so viele Kartoffeln. Das hat nichts geändert. Es war sehr laut dort, am Tag und in der Nacht. Ich hatte permanent Kopfschmerzen. Ich war fast nur auf meinem Zimmer, das ich mit drei Frauen geteilt habe. Ich hatte auch einen Eimer, um nachts nicht zur Toilette gehen zu müssen. Die Frauen mit den Babys taten mir besonders leid. Sie haben mir manchmal ihr Baby gebracht, wenn sie in die Waschräume im 3. Stock mussten. In einer solchen Unterkunft sollten keine Frauen mit Babys sein. Seit Anfang März lebe ich in einem Wohnheim mit Gemeinschafts­küche und kann endlich das Essen kochen, das für mich gut ist.