Baumeisterin Natur: »Spiel der Spiralen. Von der Architektur der Meeresschnecken« (1951)

Sinnbild, nicht Abbild

Transzendentale Kinoerfahrung: drei Programme mit Kurzfilmen von Alfred Ehrhardt

Die junge Bundesrepublik gilt nicht gerade als Hort avantgardistischer Tendenzen, dafür steht der CDU-Wahlslogan, mit dem Konrad Adenauer 1957 seine dritte Legislaturperiode gewann: »Keine Experimente!« Schaut man sich das Schaffen eines der produktivsten Vorreiter einer anderen Filmkunst jener Jahre an, dann könnte man konziliant sagen: Experimente vielleicht wirklich keine, aber viel Avantgarde. Und zwar eine mit Geschichte: Denn Alfred Ehrhardt folgte in seinem Werk Tendenzen der ­Neuen Sachlichkeit der Weimarer Republik.

Geboren 1901 im thüringischen Triptis, ausgebildet als ­Organist und Pädagoge, seit den 20er Jahren zudem tätig als Maler, beginnt Ehrhardt ab 1933 zu fotografieren — nachdem die Nazis für seine Entlassung aus der Landeskunstschule Hamburg gesorgt hatten, da sie seine pädagogischen Prinzipien für zu modern hielten. Als Fotograf entwickelt sich Ehrhardt allerdings bald zu einem der produktivsten wie populärsten Avantgardisten seiner Zeit. 1938 entsteht sein erster Kurzfilm ­»Urkräfte am Werk«, der (als Fragment) im ersten der drei Ehrhardts Kino gewidmeten Programme im Filmhaus zu sehen ist.

Programm 1 ist naturbasierten Abstraktionen gewidmet: herrlich strenge Bilderspiele mit Muschel-, Korallen- oder Wattformen. Das vielleicht aufregendste und erhabenste Programm ist aber die Nummer 2. Es ist ehrfurchtgebietend, mit welcher Klarheit Ehrhardt in seinem Diptychon »Ernst Barlach I. Der Kämpfer« und

»Ernst Barlach II. Der Überwinder« (1949) das Wesen dieses Künstlers disziplinenübergreifend kristallisiert — und wie verblüffend gut Tschaikowskis respektive Bruckners romantische Klänge zu den nüchternen Linien passen und zu der Demut von Werken wie der unvollendeten Keramikengruppe »Gemeinschaft der Heiligen« (1933). Wie alt die Moderne als Geisteshaltung ist, verdeutlicht kongenial im selben Programm der in seiner Schönheit manchmal schwer zu fassende »Ad Dei Honorem. Hans ­Brüggemanns Bordesholmer Passionsaltar von 1521 im Dom zu Schleswig« (1948). Programm 3 dreht sich um Landschaften und (wieder) Naturformen. Hier ragt vor allem »Dampfende Erde. Impressionen aus der Urlandschaft Islands« (1962) heraus: delikate Farben und eine irrsinnige Musique-concrète-Komposition aus Geysirblubbern verdichten sich zu einer mal angenehm irdischen, mal fast transzendentalen Kino­erfahrung. 

Begleitend zum Filmprogramm ist im Foyer eine Ausstellung mit ausgewählten Fotoprints Ehrhardt zu sehen

Infos: filmhaus-koeln.de