Angeschlagen: Leonie Benesch © Judith Kaufmann / Alamode Film

Das Lehrerzimmer

Ilker Çatak zeigt eine Schule als Mikrokosmos der Gesellschaft

Carla Nowak ist ein guter Mensch, zumindest hält sie sich dafür. Gerade hat die 29-Jährige ihr Referendariat beendet und nun ihre erste Stelle an einer Schule angetreten, an der sie Sport und Mathematik unterrichtet. Als Neue im Kollegium kennt sie sich mit den Gepflogenheiten noch nicht aus, und schaut deswegen nur erstaunt zu, als ein Kollege auf  — vorsichtig gesagt — ungewöhnliche Weise versucht, einen Dieb ausfindig zu machen, der an der Schule sein Unwesen treibt. Zwei Schüler werden mehr oder weniger dazu genötigt, einen Mitschüler zu denunzieren. Als dieser Schüler mit türkischem Migrationshintergrund vor versammelter Klasse dann auch noch gefilzt und aus dem Raum geführt wird, hat Carla Nowak genug. Zumal sich herausstellt, dass der Junge unschuldig ist, die Direktorin aber wenig Anstalten macht, die unberechtigte Verdächtigung geradezurücken.

Aus gutem Grund mag Carla Nowak diese Ungerechtigkeit nicht einfach hinnehmen. Sie versucht, mit einer Webcam und bewusst im Portemonnaie zurückgelassenem Geld den Dieb oder die Diebin zu stellen und überschreitet damit selbst ethische Grenzen. Ihre Spitzelei bringt sie auf eine scheinbar eindeutige Spur. Doch die Beschuldigte streitet überraschenderweise alles ab. Nach und nach zerfällt in der Folge die ganze Schule angesichts der eskalierenden Situation in rivalisierende Blöcke.

Ilker Çataks »Das Lehrerzimmer« feierte Premiere bei der Berlinale und wurde siebenmal für den Deutschen Filmpreis nominiert. Nominierungen gingen unter anderem an Johannes Duncker, Leiter des Kölner Kurzfilmfestivals, als Co-Autor des dichten, pointierten Drehbuchs, und an Hauptdarstellerin Leonie Benesch, die praktisch in jeder Szene des Films zu sehen ist. Auch durch das einengende, fast quadratische Bildformat mutet »Das Lehrerzimmer« wie der Blick in den Kopf einer Frau an, die das Richtige tun will, aber immer wieder vor Mauern stößt. Von allen Seiten wird ihre Figur unter Druck gesetzt: von der Direktorin, die keinen Ärger mit der Schulbehörde haben will, vom Kollegium, das teilweise kaum verhohlene Vorurteile gegen Schüler mit Mi­grationshintergrund hegt, von den Schülern selbst, die mündige Bürger sind und ihr Schicksal in die Hand nehmen. Als Mikrokosmos der Gesellschaft zeigt Ilker Çatak die Schule — als einen Schnellkochtopf, bei dem vergessen wurde, ab und zu Dampf abzulassen. 

D 2023, R: Ilker Çatak, D: Leonie Benesch, Leonard Stettnisch, Eva Löbau, 98 Min. Start: 4.5.