Mischen sich ein: Linda Rennings und Gerhart Baum

»Mein Hund, Herr Baum und ich«

Linda Rennings, Gründerin von »Heimat­los in Köln«, und der ehe­malige Innen­minister Gerhart Baum werden mit der »Alterna­tiven Ehren­bürger­schaft« aus­ge­zeichnet

Ihre Biografien könnten unterschiedlicher kaum sein, jetzt werden sie gemeinsam als »Alternative Ehren­bürger« geehrt für ihren Einsatz für Menschenrechte, die Linda Rennings für wohnungslose Menschen auf der Straße und Gerhart Baum vor den Gerichten weltweit erstreitet. Das Komitee der »Alternativen Ehrenbürgerschaft Köln« zeichnet seit 20 Jahren Kölnerinnen und Kölner  aus, die sich für soziale, kulturelle und rechtliche Belange einsetzen und damit »zum Erhalt und Ausbau einer solidarischen Gesellschaft beitragen«. Die Idee entstand 2001, als der Verleger Alfred Neven DuMont und der Schokoladenfabrikant Hans Imhoff die offizielle Ehrenbürgerschaft  der Stadt Köln erhielten: »Da wurde Verdienen mit Verdiensten verwechselt«, sagt Komitee-Mitglied Martin Stankowski. Die »Alternative Ehrenbürgerschaft« erhielten u. a. Pfarrer Franz Meurer für sein Engagement, der Künstler Gunter Demnig für seine »Stolpersteine« zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und Irene Franken für Verdienste um die Frauengeschichte.

Frau Rennings, Herr Baum, Sie werden Anfang Juni als Alternative Ehrenbürgerin und Alternativer Ehrenbürger ausgezeichnet. Waren Sie überrascht?

Linda Rennings: Erst dachte ich: Wofür? Was ich jeden Tag mache, ist für mich so selbstverständlich wie Kaffee trinken oder essen. Ich helfe Menschen, die Hoffnungen, Wünsche, Träume haben und aus unterschiedlichen Gründen auf der Straße gelandet sind.

Und Sie, Herr Baum? Sie haben ja schon viele Auszeichnungen erhalten.

Gerhart Baum: Die Auszeichnung bedeutet mir wirklich viel und ich bin stolz darauf. Die vorigen Preisträgerinnen und Preisträger schätze ich sehr. Besonders freut mich, dass mein enges Verhältnis zu Köln zum Ausdruck kommt. Meine Frau hat gesagt: Erst jetzt bist du in Köln richtig angekommen! Eigentlich bin ich vor 70 Jahren als Flüchtling angekommen. Wir feiern im Dezember den 75. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, ich habe ein Buch über Menschenrechte geschrieben und mit meiner Frau eine Stiftung gegründet. Ich war Zeit meines Lebens als Menschenrechtsverteidiger unterwegs. Aber unser Blick sollte sich auf unsere Stadt richten. Auch hier sind Menschenrechte zu schützen.

Rennings: Also ich bin ja sehr laut und unbequem und weiß, dass sich einige in dieser Gesellschaft schwer mit mir tun. Ich bin halt Expertin aus Erfahrung. Essen, Dach über dem Kopf, Duschen dürfen: Das sind Menschenrechte, die viele in Köln nicht mehr haben. Aber auch einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen, eine Tagesstruktur zu haben und im besten Fall kleines Geld dafür zu bekommen.

Baum: Ich finde es wunderbar, dass das Komitee uns gemeinsam nominiert hat, weil wir von verschiedenen Seiten das Thema Menschenrechte aktivieren — von unten und von oben. In unserer Verfassung steht viel Gutes. Wenn wir es nicht verwirklichen, bleibt es Papier. Wir müssen uns einmischen, wenn Rechte verletzt werden wie Linda Rennings das überzeugend tut.

Ein Leitsatz von Linda Rennings Verein ist: »Hinsehen und nicht weggehen!« Wo muss man genauer hinsehen in Köln?

Baum: Die Not in der Stadt wächst. Seit Jahren gibt es Tendenzen, diese Menschen auszugrenzen: Schwache, Minderheiten, Fremde. Immer mehr fallen durch das soziale Netz. Ich sehe die Auszeichnung als Signal für mehr Mitmenschlichkeit und Toleranz. Wir müssen unsere Städte wohnlicher machen und das kulturelle Potenzial nutzen, um den Menschen Orientierung zu geben.

Rennings: Wir haben nicht ausreichend Unterkünfte für Wohnungslose, nicht genügend frauenspezifische Angebote. Es bräuchte einen mobilen psychiatrischen Dienst auf der Straße, denn es gibt immer mehr Menschen mit schweren psychischen Auffälligkeiten. Und man müsste die Ghettobildung, etwa am Kölnberg oder in Chorweiler, zerschlagen.

Baum: Mir ist wichtig, dass die Menschen hinsehen und erkennen, dass wir Glück haben in Deutschland zu leben – jedenfalls die meisten. Wir sollten uns den Schwachen zuwenden und sie in ihrer Menschenwürde achten. Uns wurde nach dem Zweiten Weltkrieg eine Demokratie geschenkt, die wir nicht erkämpft haben, aber täglich verteidigen sollten. Dazu gehört Gerechtigkeit.

Sie haben die Wohnungslosenpolitik angesprochen.  Wie schlägt sich das Bündnis von Grünen, CDU und Volt im Stadtrat?

Rennings: Leider wurde lange keine gute Politik gemacht. Die Leute mussten erst ihre Wohnfähigkeit beweisen. »Housing First« kommt nur langsam in Köln an, obwohl andere Länder gezeigt haben, wie erfolgreich es ist.

Sie arbeiten vor allem mit Frauen.

Rennings: Für Frauen ist ein Hund wichtig. Er gibt Sicherheit vor Überfällen und sexuellen Übergriffen. Auch körperlich ist die Straße eine Zumutung, Frauen haben spezielle hygienische Bedürfnisse: Was sollen sie tun, wenn sie ihre Periode haben und morgens die Notunterkunft verlassen müssen? In den letzten Jahren sind immer mehr ältere Frauen auf der Straße. Was machen wir mit den Menschen, wenn sie Arthrose bekommen oder inkontinent werden? Da ist die Politik ideenlos.

Baum: Das Ratsbündnis könnte viel intensiver und perspektivischer für diese Stadt arbeiten. Wir brauchen eine Vision, wie sich die Stadt in den nächsten Jahren entwickeln soll, eine motivierende Städtebaupolitik, die in Ansätzen schon sichtbar wird. Die Politik könnte eine neue Wohnungsbaugesellschaft gründen, die nur öffentlichen Wohnungsbau ohne zeitliche Befristung unterstützt. Wien hat es vorgemacht. Und ich bin dafür, Leerstand zu nutzen, auch die russischen Häuser.

Rennings: Es muss auch alternativer Wohnraum geschaffen werden. Es gibt Menschen, die in der Wohnung nicht mehr zurechtkommen. Ich bin für das Öffnen von Campingplätzen, vor allem im Winter. Da kann man Hunde mitnehmen. Und Köln hat zu wenig Mülleimer, und sie werden zu selten geleert! Ich muss meine Hundekot-Beutel manchmal kilometerlang mitschleppen. Es gibt genug Obdachlose, die ihre Platten sauber halten wollen. Das sind einfache Dinge, mit denen viel Positives bewirkt und die Akzeptanz gesteigert würde.

Baum: Das sind wunderbar konkrete Dinge! Es wird schnell klar, welche fundierte Lebenserfahrung in dem steckt, was Sie tun. Ich habe schon viel gelernt!

Frau Rennings, finden Ihre Ideen Gehör?

Rennings: Neue Konzepte haben es schwer in Köln, in Düsseldorf läuft vieles besser: Dort gibt es Projekte für Menschen mit Hunden auf der Straße, es werden Plätze in Frauenhäusern geschaffen, viele Housing-First-Angebote. In Köln weiß der eine nicht, was der andere sagt und tut. Weil ich selbst mal auf der Straße gelebt habe, weiß ich, was die Leute brauchen. Aber ich habe wenig politische Wirkungskraft und manche Leute ganz oben sehen in mir nur das Mädchen von der Straße.

Planen Sie in Zukunft gemeinsame Projekte?

Baum: Ich wohne seit 25 Jahren in der Südstadt, am Chlodwigplatz mag ich das reale Leben: Ich sehe biertrinkende Menschen, Männer und Frauen mit Rollatoren, Menschen, die voller Hoffnungen nach Köln gekommen sind und vielleicht enttäuscht wurden, junge Eltern, Kinder. Ich habe gerne Kontakt. Im Rheinauhafen fühle ich mich verödet. Sollen wir vor der Preisverleihung durch Mülheim gehen und Sie zeigen mir Ihre Arbeit? Dann überlegen wir weiter.

Rennings: Ich nehme Sie gerne mit auf Streetwork! Wir ziehen zu dritt los: Mein Hund, Herr Baum und ich!

Alternative Ehren­bürgerschaft Köln

Matinee mit öffentlicher Ehrung
4. Juni, Gürzenich, 12 Uhr