Die Erde des Anderen

In unserem Garten leben wir mit vielen Hinterlassenschaften unseres Vorpächters

Mit einem Schrebergarten ist es wie mit einer Mietwohnung: Man macht einen Ort zu seinem, der früher im Leben anderer Menschen bedeutend war. Und man lebt mit diesen Personen nach dem Einzug erst mal eine Weile zusammen. Seit vergangenem Sommer bestellen wir unseren Kleingarten. Unseren Vorpächter haben wir zwar nie kennengelernt. Trotzdem ­haben wir einiges über ihn erfahren, ohne danach gefragt zu haben. Welche Geschichten wahr sind, welche ausgeschmückt und welche erfunden — wir wissen es nicht. Es ist wie bei »Stille Post«.

Er habe als Selbstversorger gelebt, hörten wir bei der ersten Gartenbesichtigung, als wir etwas verblüfft auf die unzähligen Beerensträucher, das üppige Kräuterbeet und den riesigen Acker schauten. Ein Nachbar raunte später über die Hecke, dass unser Vorpächter den Begriff Nutzpflanze, nun ja, etwas weiter gefasst habe. Deshalb auch der viele Mohn, wenn wir verstünden. Und dann ist da noch die Sache mit unserem Boden. In dem seien Hunderte Kilo Pferdemist untergehoben worden. Wenn wir anderen Pächter erzählen, wo wir nun gärtnern, blicken wir oft in neidische Augen. Wir fragen uns indes, ob wir zu klägliche Gärtner für diese Wundererde sind. Überhaupt scheinen die anderen Gärtner, die über ihre trockenen, harten Böden klagen, zu vergessen, dass in gutem Boden auch Unkraut schneller wächst.

Über die hinterste Ecke unserer Parzelle haben wir erfahren, dass sich dort früher ein Erdkühlschrank befunden haben soll. »Sieht aus wie ein Grab«, sagte einer meiner Mitgärtner letztens. Wir schauten hinunter auf die längliche Fläche, die auffällig verwildert und leicht eingesackt war, wie man es von Friedhöfen kennt. Wir lachten. Dann drehten wir uns um, um weiter Bodendecker zu pflanzen und Brombeeren zu schneiden. Manchmal scherzen wir seitdem über »unser Grab«. Aber trotz unseres Tatendrangs machen wir bisher einen Bogen um diesen Teil des Gartens. Dabei könnten wir einen Erdkühlschrank gut gebrauchen. Der Sommer kommt, wir haben ­keinen Stromanschluss und doch Lust auf kühle Getränke. Wir haben uns jetzt nach Gaskühlschränken erkundigt. Zu ­unserem Erdkühlschrank wollen wir lieber erst mal noch weiter unsere Nachbarn befragen.

Jan Lüke ist Redakteur der Stadtrevue und eigentlich kein Fan von True Crime