Hat viele Gesichter — die Stachelbeere

Die Essenz des Sommers

Wie schön! Die Stachelbeere hat nun Saison. Aber wieso interessiert diese wunderbare Frucht so wenige Menschen?

Trotz Beerensaison, die ja immer die Hoffnung auf einen schönen Sommer weckt, wird die Stachelbeere verschmäht. Man begegnet ihr auch kaum auf Wochenmärkten, und im ­Supermarkt steht sie meist als Konserve. Wohl dem, der einen Garten hat. Stachelbeeren wachsen fast überall auf der
Welt, doch rund die Hälfte auf dem Weltmarkt stammt aus Deutschland. Woher kommt diese Stachelbeervergessenheit hierzulande?

Meist werden Stachelbeeren eingekocht, für Marmeladen (meist überzuckert), Chutneys (wo sie geschmacklich untergehen) oder für Kompotte.

Es gibt viele Sorten, sie sind säuerlich oder süß, und ihr Geschmack wandelt sich auch mit dem Erntezeitpunkt, den man auch an der Farbe erkennt, je reifer sie sind desto mehr nehmen sie einen roten Ton an. Um die Stachelbeere verdient gemacht hat sich der britische Kulinarik-Autor Nigel Slater. In dessen Heimat wird die Stachelbeere übrigens vergleichsweise hoch geachtet, allen voran im einigermaßen berühmten Gooseberry Fool, dem Stachelbeerpüree mit Eiern, Butter, Schlagsahne. Slater preist es als »die die Essenz unserer unbekümmerten Sommer mit Wiesen voller Butterblumen.«

Es gibt alte Rezepte, in denen die Stachelbeere püriert auch als Beilage zu Herzhaftem dient. Bloß, wer hätte es je zubereitet, geschweige denn serviert bekommen? Auch dort, wo man kreativ kocht, weiß scheinbar niemand viel mit der Stachelbeere anzufangen. Eine Stachelbeersauce, leicht aromatisiert mit Fenchel, kann man zu Makrele essen. Das Aroma der Beeren kontert den fetten Fisch, ganz ähnlich wie Rhabarber —
sie ist hier eine gute Alternative zum schwer zu dosierenden Meerrettich. Gerade die unreifen, aber genießbaren und säuerlichen Beeren eignen sich gut, um etwas in der Küche zu wagen. Wer die Stachelbeere unbedingt süßen will, sollte eher Rohrohrzucker oder einen kräftigen Honig nehmen. Die herben Noten passen gut.

Aber selbst wenn Beeren in diesen Tagen bloß als dekorativer Farbakzent auf dem Teller liegen, ist die Stachelbeere nie dabei, dabei ist sie so schön. Man muss sie nur mal gegen das Licht halten und bekommt sogleich gute Laune!

Bernd Wilberg ist Redakteur der Stadtrevue. Stachelbeeren erinnern ihn an die Sommer im Garten seiner Sandkastenfreundin. Die frühen Früchte haben seine Begeisterung für säuerliche Aromen geweckt