Bereit für jede Diskussion über Mobilität: Geert-Jan Hobijn in Monheim

Busse, Kühlschränke und der Spirit von Amsterdam

Geert-Jan Hobijn macht aufregende Klangkunst — und weiß immer erst hinterher, wie sie klingt

»Da habe ich jemanden kennengelernt, der hat einfach gemacht. Mit dieser Attitude kommst du in der Besetzer-Szene am weitesten. Einfach machen. Na klar, habe ich mir gedacht, ist auch mein Ding.« Geert-Jan Hobijn scheint alle Zeit der Welt zu haben. Der Mann ist Labelbetreiber, unterhält einen Vertrieb, in Berlin gibt es einen Buch- und Plattenladen für seine Sachen, er ist Veranstalter — und er ist seit zwanzig Jahren ein gefragter Klangkünstler. Er wird später erzählen, dass er immer nervös und unruhig wird, wenn für seine Projekte die Deadline näherrückt und dass das sein ganz normaler Arbeitsmodus sei, mit dem er aber sein Umfeld regelmäßig in den Wahnsinn treibe.

Aber jetzt beim Gespräch — tiefenentspannt. Einmal angestoßen taucht Hobijn in die Amsterdamer Szene von 1982 ein. Sofort sieht man sie alle vor sich: Hausbesetzer, Punks, Autonome, im Hintergrund die lange Tradition von Fluxus, die die Amsterdamer Künstler- und Freak-Szene so geprägt hat — und mittendrin der Abiturient Geert-Jan Hobijn, der sich das Prinzip der Squatter, der Hausbesetzer, sofort zu eigen macht: erst loslegen, dann nachdenken; kein Respekt vor Autoritäten, aber Werte wie Freundschaft, Kooperation auf Augenhöhe und Vertrauen sind nicht verhandelbar. So war das damals: Er hat ein paar Platten, stellt sie in eine Kiste, schließt morgens den »Laden« auf und macht dann irgendwas anderes, abends schaut er in die Kiste, ob was weggegangen ist und die Leute ein bisschen Geld dagelassen haben. Hobijn lässt sich weiter durch die Szene treiben. In einem der besetzten Häuser kampiert das Elektroniknoise- und Performance-Art-­Kollektiv SPK. Ob Hobijn nicht ein Konzert für sie veranstalten möchte? Kein Problem. Er hat zwar überhaupt keine Erfahrung, wie das geht, aber er macht mal — und es geht natürlich gut aus.

So fängt die Geschichte von Staalplaat an, und wer das noch nicht weiß, für den folgen hier ein paar Superlative: Staalplaat ist das profilierteste (und mittlerweile sogar älteste?) Label für elektronische Musik, die nicht Techno und House und auch nicht Neue Musik ist, aber alles dazwischen abdeckt: Harsh Noise, Industrial, Klangkunst und Fluxus, Electronic Body Music, Glitch und nicht-­akademische musique concrète. Manchmal klingt es dann auch wie Techno — oder Neue Musik. Laibach hat Hobijn für Westeuropa entdeckt, Ryoji Ikeda auch. Er hat Asmus Tietchens produziert, O Yuki Conjugate, Muslimgauze, Z’EV. »Ich habe keinen Plan, ich habe mich begeistern lassen. Wir haben immer nur von Kassette zu Kassette, von CD zu CD gedacht. Erst in der Rückschau erkennst du die Handschrift.« Das klingt ganz unschuldig, wenn er das sagt. Seit 1997 arbeitet er auch in Berlin, da war Amsterdam schon gentrifiziert, seit 2008 ist die Hauptstadt sein Lebensmittelpunkt, nicht ­zuletzt aus familiären Gründen.

Schnitt. In Monheim am Rhein zuckeln selbstfahrende Mini-Busse durch die Stadt. Sie sind eine große Attraktion in dem an Attraktionen nicht gerade reichen Ort. Aber die Stadt Monheim hat Geld, und so hat sie mit einem kölsch-internationalen Kuratoren-Team um Reiner Michalke ihre größte Attraktion aus dem Boden gestampft: eines der spannendsten Festivals für aktuelle Musik, die Monheim Triennale, das dieses Jahr den ganzen Juni über seine Fortsetzung findet — als Klangkunstfestival »The Sound« (Stadtrevue-Mitarbeiter Thomas Venker ist einer der Kuratoren). Viele berühmte Künstler sind dabei: etwa Christina Kubisch, Robert Wilson, Anushka Chkheidze, Phillip Sollman — und eben auch Geert-Jan Hobijn, der zusammen mit Radboud Mens und Gijs Giekes das Staalplaat Soundsystem bildet. Jetzt zu ­den Bussen: Drei der vier Busse wird das Staalplaat Soundsystem ­bespielen.

»Ich sage einem Projekt zu, und dann schaue ich, wie ich es realisieren kann. Ich habe eine Idee, mehr nicht, und einen Eindruck von dem Ort, an dem es stattfindet.« So hat er für ein Festival in Stralsund eine Installation für neun Kühlschränke vorgeschlagen — sie wurde angenommen. »Was mache ich bloß mit den Kühlschränken? Was hat mich da geritten?« Aber die Leute waren am Ende begeistert — sagt Hobijn. Wir glauben ihm gern, denn seine Arbeit folgt drei Prinzipien: Ortskenntnis (»Meine besten Ideen gewinne ich vor Ort.«); einfache elektronische Vorrichtungen, die die Leute schnell begreifen können und mit ihrem alltäglichen Leben in Verbindung bringen (in Monheim sind es u.a. batteriegetriebene Spielzeug-Hunde aus China, die er für einen Euro pro Stück auf einem Neuköllner Markt gekauft hat) und der Hands-on-Spirit: »Ich mache was für die Leute da draußen, nicht für ein Klangkunst-Publikum.« Eigentlich gibt es noch ein viertes Prinzip: »Ich kann mich nicht wiederholen. Selbst wenn ich es will, es klingt immer anders.«

Hobijn und seine Gefährten mögen noch so heftige Sounds produzieren, noch sehr so der alteuropäischen Grummel-, Dampf- und Kratzmusik verpflichtet sein, der Schalk sitzt ihnen stets im Nacken. Er hat die Busse, Monheims Stolz, nicht ausgewählt, weil sie so futuristisch sind, sondern … »naja, die sind überhaupt nicht futuristisch, das ist bestimmt nicht die Zukunft des autonomen Fahrens«. Und dann sagt er selbstbewusst: »Ich wollte den Bussen eine Funktion geben!« Ein Hörerlebnis, kein Fahrerlebnis. So werden wir in einem Bus »Drei Kompositionen für 16 Spieluhren, Autobatterie, Dimmer, Mini-Computer« hören und in einem anderen »Drei Kompositionen für 28 Magnetspulen, Saugheber, Metallstreifen, Autobatterie, Dimmer, Mini-Computer«. Einige Ideen konnte er nicht umsetzen, weil sie vom Kuratorium abgelehnt wurden, aber Hobijn nimmt’s sportlich. »Es klingt immer radikal, was ich vorhabe. Ich bin nicht da, um irgendjemandem zu gefallen.«

Er betont noch mal, wie wichtig es ihm ist, einen, nun ja, direkten Draht zum Publikum zu finden. Das wird sich in Monheim aus dem zufälligen Alltagsgewusel ergeben. »Klang schafft Identität«, sagt er, und erwähnt ein Projekt in Spanien, an dem er arbeitet, und von dem er bislang nur weiß, dass es verdampfendes Wasser zum Hauptbestandteil hat: »Spanien trocknet aus, überhitzt, das Wasser verdampft tatsächlich. Das kannst du in Klänge umsetzen, das versteht jeder.« Das meint er mit Identität: Der Zugang über den Klang zum eigenen Alltag kann im besten Fall direkt und verfremdend zugleich gelingen.

»Es gibt kein Medium, was so persönlich und so universell ist wie der Klang.« Das wird man in Monheim im Juni nun auch erfahren und es wird großen Spaß machen.   Felix Klopotek

»Monheim Triennale II: The Sound — Sonic Art in Public Spaces«, 3.6–2.7.

Staalplaat Soundsystem: »SoundBus«, Klanginstallationen in drei autonom fahrenden Kleinbussen auf der Linie A01 und einem neuen Elektrobus, ­­Mo–So 7–23 Uhr, alle zehn Minuten ab Monheim Busbahnhof, Ingeborg-Friebe-Platz