Diskaholic: Earl Orlog denkt immer schon an die nächste Scheibe

Earl Orlog

Kölner Clubmenschen erzählen was sie gerade begeistert. Redaktion: Lars Fleischmann + Thomas Venker

Earl Orlog, bürgerlich: Stephan Glietsch, ist Plattensammler der Weltklasse. Was für andere ein mit Leidenschaft betriebenes Hobby ist, wird beim Earl zu Kunst erhoben. Fast täglich werden das Netz durchforstet, Youtube-Channels kategorisch umgegraben, Disco­gs-Marketplaces auf den Kopf gestellt: immer auf der Suche nach unbekannten, ungeahnten Hits aus der Tiefe des Raums und den Untiefen der Plattenkiste.

»Digging« nennt sich dies, also »Graben«, und virtuos betrieben wird diese Arbeit schnell körperlich. Dann lustwandert der Earl zu Flohmärkten, zu Vinyl-Börsen und in abgelegenste Plattenläden. Eine beachtliche Zahl seiner Funde lässt sich auf seinem eigenen Youtube-Kanal nachhören: einem langsam wachsendem Geflecht, dessen Hauptmyzene Psyche­delica, New Age, vietnamesischer ­sowie MENA-Folk- und Pop und Incredible Strange Music sind.

Wer diesen Fundus nicht selbst sortieren will, der kann sich auch gleich die formidable Vorauswahl liefern lassen: Auf Mixcloud gibt es seine regelmäßige Radioshow in Form von DJ-Mixen — hoch verdichtete Meditationen zum anturnen, einschalten und rausdroppen.

Das Platten-Diggen ist die dritte Karriere von Stephan Glietsch. In seinem ersten Leben bastelte er Fanzines, heuerte in der Musik­industrie an und wurde Chef­redak­teur des Intro Magazins, als dieses noch in Osnabrück beheimatet war. Später ging er zur SPEX, bis diese vom Verleger nach Berlin zwangsumgesiedelt wurde. Damals begann Glietschs zweite Karriere als Übersetzer. Aus dem Englischen hat er etliche Autor*­innen übertragen, die bekanntesten unter ihnen sind Irvine Welsh und John Niven.

Für »1,2,3,4,5 Platten« sind ­diese beiden Karrieren jedoch nachrangig. Heute gibt es Erstklassiges vom Earl Orlog aufgetischt: obskure Funde aus der langen ­Geschichte des globalen Pop.

1 Green Cosmos: »Abendmusiken«
Spiritueller Jazz, den man sich wie eine warme Decke um die Seele wickeln und damit durchs Zimmer tanzen will. Als ich letztes Jahr im King Georg nach dem Konzert von Kahil El’Zabar und seinem Ethnic Heritage Ensemble auflegte, zog es Band und Freunde beim Opener »Überm Berg« wie magisch auf die Tanzfläche. Soll dieses Jahr vom verdienten New Yorker Reissue-Label Frederiksberg Records wiederveröffentlicht werden.

2 La Sberla: »Hey! Babbo...«
Diese obskure, selbstproduzierte End-80er-Italo-House-Privatpressung made in Napoli lässt im Club die Sonne aufgehen und zaubert jedem ein strahlendes Lächeln ins Gesicht. Spätestens beim zweiten Chorus singen alle mit: »Hey! Babbo …«

3 Albert Delchambre: »Où Est Mon Vélo«
Singleauskopplung aus dem 1982er Comeback-Album des ­ehemaligen wallonischen Kinderstars, eingespielt u.a. mit Koryphäen wie Ex-COS Keyboarder Charles Loos, Ex-Passport-Gitarrist Kevin Mulligan und Benelux-Soul-Disco Tausendsassa Luc Smets. Sorgt zu vorgerückter Stunde für angenehmen Hautkontakt auf der Tanzfläche und würde auch auf den Compilations der »Too Slow To Disco«-Reihe bella figura machen.

4 Fastmusic: »Wow«
Zurückhaltung als Taktik zur Überwältigung. Ein Duo, das letztes Jahr auf dem famosen Streetartfestival »IBug« mein Herz ­eroberte, worauf ich es Staatsakt-Head Honcho Maurice Summen an seines legte. Knapp ein Jahr später erscheint nun die erste ­Single auf dem Staatsakt-Sublabel Fun In The Church. Hypercharismatische und minimalistische »Bluesmusique« — wie Gitarrist und Sänger Bela Fast diesen Sound nennt — aus Leipzig.

5 Phaendin Band
Eine dieser Platten, von denen ich eigentlich zu viele besitze und die sich dadurch auszeichnen, dass man sämtliche Songs bis auf einen getrost ignorieren kann — in diesem Fall, weil es durch die Bank strunzlangweilige Bluesrocknummern und kitschige Balladen sind. Allerdings entschädigt der Titeltrack für alles, in dem er thailän­dische Folk- und Luk-Thung-­Elemente mit Psych-Blues, Fusion Sounds und Dub-Anleihen zu ­einem unwiderstehlich hypnotischen, enigmatischen und ­dennoch tanz­baren Floor-Filler verbindet.