Macht nichts!

Materialien zur Meinungsbildung, zur Kenntnisnahme von Klaus C. Niebuhr

Alles wird heute gemacht. Früher unterbreitete man Vorschläge, heute macht man sie. Früher ergab etwas Sinn, heute macht es Sinn. Früher rang man sich zur Ehrlichkeit durch, heute macht man sich ehrlich. Realschulabschluss und Mittagessen, Urlaub und Karriere, Pipi, Liebe, Schluss — alles wird gemacht.

Ich finde, es reicht. Man sollte mal weniger machen. Mir graut schon davor, wenn Gesine Stabroth wieder fragt: »Na, was macht unser Stubenhocker und Sofapupser denn am Wochenende?« Ich darf auf keinen Fall sagen: nichts. Dann gibt es wieder Streit. Denn Gesine Stabroth ist eine Macherin, macht »Freizeitaktivitäten« und »spontane Aktionen«, macht Hofflohmärkte, Internet-Petitionen, macht »Interventionen im öffentlichen Raum« und »Challenges«. Und sie ist mit ihresgleichen in der Überzahl. Die Welt quillt über vor Menschen, die ständig sehr viel machen und sich damit brüsten, wie das Kind, das stolz den ­Eltern einen erfolgreichen Stuhlgang präsentiert.

Überall »Aktivisten« und ­»Akteure«, »Impulsgeber« und »kreative Köpfe«. Sie werden alle ihre Gründe haben. Aber es muss doch auch die anderen geben! Gemütliche Typen wie mich, nicht der Hellste, aber das Herz am rechten Fleck, nicht sonderlich auf Zack, aber gutmütig — kurzum: nicht Aktivist, sondern Passivist.

Der Passivist befindet sich mit seinem Naturell gewissermaßen zwischen Aktivist und Mitläufer. Er gibt nicht die Marschroute vor wie dieser, hechelt aber auch nicht hinterher wie jener. Ist der Aktivist zwar zuverlässig, doch gereizt, weil nicht alles glückt, so ist der Mitläufer zwar schnell zu begeistern, doch unberechenbar, denn man kann sich nie sicher sein, ob er sich nicht mal verläuft, die Kurve nicht kriegt und ganz woanders landet, um Anschluss zu finden. Auf den Passivisten hingegen ist Verlass. So wie auf mich. Ich sitze bei der Aufführung der Macher im Publikum, ich bin ein Abonnent dieses Theaters, mein Beifall ist gewiss, doch kann er auch mal verhalten ausfallen, selbst ein Buhruf dann und wann sei erlaubt! Wenn sich immer alle einig sind, ist das doch auch etwas unheimlich, oder?

Aktivisten brauchen Pas­sivisten — Leute, die ihnen die Rolle nicht streitig machen. Wären alle Menschen Aktivisten, wäre das ja  ein großes Tohuwabohu. In jeder Gruppe gibt es doch jene, die den Ton angeben und jene, die das Liedchen mitpfeifen. Vielleicht geht es gar nicht anders oder endete sonst in Streit und Schlimmerem.

Selbstverständlich muss man sich über Ungerechtes empören, sobald man geklärt hat, was gerecht und ungerecht ist. Bloß, bei manchen Menschen wirkt das überzeugender und sympathischer als bei anderen. Wenn ich mich empöre in gerechtem Zorn, dann krieg ich rote Flecken im Gesicht und meine Hände zittern — das kann ja wohl nicht der guten Sache dienen. Andere können das besser, die regen sich cool auf. Souverän, kompetent, ein bisschen abfällig. So wie Gesine Stabroth, wenn ich nichts machen will
am Wochenende.

Nun gut, ich komm ja mit zum Baggersee. Ich, der Stubenhocker. Aber bei diesem neumodischen Stand-up-Paddling oder wie das heißt, da mach ich nicht mit! Das regt mich auf, dann krieg ich wieder rote Flecken im Gesicht. Aber macht euch mal ehrlich: Ihr braucht doch solche Lang­weiler wie mich! Über wessen Badehose wolltet ihr sonst lachen? ­Aktivisten jeden Fachs wissen längst, dass da immer einer in der Gruppe sein muss, der Statist und Knallcharge zugleich ist. Passivist sein — das heißt ja auch: erdulden, ertragen. Nicht unbedingt das Ungemach der Welt, aber den allumfassenden Aktionismus, selbst
am Wochenende.