Alle Spuren beseitigt: ehemaliges Büro von Hamiam in Porz

»Sie haben Angst«

Der Verein Hamiam wird verdächtigt, homosexuelle Geflüchtete sexuell missbraucht zu haben

Das Ladenlokal an der Porzer Hauptstraße ist geschlossen, die Telefon­nummer nicht mehr vergeben. Der Verein Hamiam, kurz für »Help a Minority in a Minority«, der nach eigenen Angaben queeren Geflüchteten hilft, ist nicht mehr zu erreichen. Am 10. Mai erschien in der Zeit ein Artikel, in dem schwere Vorwürfe erhoben werden: Statt ihnen zu helfen, würden Mitarbeiter Geflüchtete in Abhängigkeitsverhältnisse treiben, sie sexuell ausbeuten, missbrauchen. Ja, Hamiam locke Menschen zu diesem Zweck und unter falschen Versprechungen womöglich sogar eigens nach Deutschland — das wäre Menschenhandel.

»Die Berichte von sexueller Nötigung bis zur Vergewaltigung waren immer ähnlich«, sagt Claus-Ulrich Prölß, Sprecher des Kölner Flüchtlingsrats. Der Flüchtlingsrat sowie sieben weitere Beratungsstellen und Vereine, darunter Diakonie, Caritas, Agisra und Naturfreunde Köln, haben nach Erscheinen des Artikels eine Stellung­nahme veröffentlicht. Darin berichten sie, Menschen beraten und begleitet zu haben, die solche Übergriffe »erlebt und berichtet« hätten. Doch man habe nicht gegen Hamiam vorgehen können, weil kein Betroffener Strafanzeige stellen wollte. Die Abhängigkeit sei offenbar zu groß gewesen: »Wir kennen Fantasievollmachten, die Betroffene unterschrieben und so ganze Lebensbereiche an Hamiam übergeben haben«, sagt Prölß. Hamiam habe ihnen zudem teils empfohlen, bloß eine Duldung zu beantragen, obwohl sie aufgrund ihrer Homo­sexualität gute Chancen auf Asyl gehabt hätten.

Doch William Gensee sagte gegen Hamiam aus. Der 39-Jährige wurde in Liberia als Homosexueller verfolgt, floh nach Kenia, später nach Däne­mark. Über ein schwules Dating-Portal lernte er Michael Weber (Name geändert) kennen, Mitglied des Hamiam-Vorstands, und zog einige Zeit später zu ihm nach Köln. Weber habe angekündigt, ihn heiraten zu wollen. Doch es sei ein Alptraum geworden: Im Sommer 2019 zeigte Gensee Weber wegen Vergewaltigung an. Er habe ihn unter Druck gesetzt, mit ihm zu schlafen, ihm angedroht, eine »Abschiebung anzuordnen«, wenn er sich weigere, und ihm eine HIV-Infektion verheimlicht. Hamiam habe auch Sex-Partys organisiert, bei denen weiße Männer Schwarze geküsst und an den Genitalien berührt hätten.

Wenn es um sex­uellen Missbrauch geht, steht Aussage gegen AussageThomas Gros, Anwalt

Im Umfeld der Beratungsstellen heißt es, auch andere Betroffene hätten von diesen Partys berichtet. Hamiam-Mitarbeiter hätten ihnen gesagt, für eine Aner­ken­nung im Asylverfahren wegen homo­sexueller Orientierung sei es wichtig, möglichst viele sexuelle Aktivitäten in Deutschland nach­zu­weisen. Die Staatsanwaltschaft aber hat die Ermittlungen eingestellt. Statt Weber wird nun Gensee der Prozess gemacht, wegen falscher Ver­däch­ti­gung. Ein erster Gerichtstermin im Mai wurde vertagt, im September soll es weitergehen. Aus Chat-Protokollen, die die Stadtrevue einsehen konnte, geht hervor, dass Weber Gensee bereits über seine HIV-Infektion informierte, als dieser noch in Däne­mark lebte. Wenn Gensee in diesem Punkt gelogen haben sollte, wie der Chat es nahe legt, bedeutet dies zwar nicht, dass auch seine anderen Schilderungen unwahr sind. Doch die Staatsanwaltschaft sah Gensees Glaubwürdigkeit erschüttert. »Wenn es um sexuellen Missbrauch geht, steht Aussage gegen Aussage. Da gibt es gesteigerte Anforderungen an die Glaubwürdigkeit des Zeugen«, sagt Gensees Anwalt Thomas Gros. Möglicherweise habe Gensee zunächst nicht gewusst, was HIV bedeute, da Aids in Liberia tabuisiert sei, so sein Anwalt.

Seit der Gründung 2012 sei ihr Hamiam unseriös erschienen, berichtet die Mitarbeiterin eines Beratungsvereins. Die Website sei mit stereotypen »Afrika- und Dschungel-Bildern« gestaltet gewesen. Auch habe man Hamiam-Mitarbei­ter nie bei Netzwerktreffen oder Fortbildungen ange­troffen. »Aber das allein ist ja nicht strafbar.« Eine städtische Förderung hat ­Hamiam nie erhalten.

Auf eine Anfrage der Stadt­revue hat Hamiam nicht reagiert. Jedoch meldete sich der Verein am 12. Juni in einer vom »Vorstand« unterzeichneten Rund­mail an Vereine und Ehrenamtler in Kalk: »Unser Verein hat zwischen 2012 und 2021 insgesamt 10 Personen aus einem Betreuungsverhältnis oder einem ehrenamtlichen Mitarbeits-Verhältnis gekündigt, wegen verbalen oder körperlichen Übergriffen«, heißt es. Es sei aber unwahr, dass »ein Mitglied des Vorstands mehrmals in Übergriffe gegenüber anderen Personen eingebunden gewesen« sei. Später meldet sich eine Person bei der Stadtrevue, die seit vielen Jahren engen Kontakt zu Hamiam hat. Sie schildert, warum sie die Vorwürfe gegen den Vorstand für unglaubwürdig hält. Sie sei auch auf Feiern des Vereins gewesen, sie habe keine Sex-Partys erlebt. »Es stimmt, dass Hamiam anders war als andere Hilfsvereine«, sagt sie. Bei einigen Helfern und Klienten gebe es enge Verbindungen zur Kirche, auf Feiern werde auch schon mal von Jesus gesprochen. »Die ticken komplett anders als die queere, linksalternative Szene.« Dass Hamiam-Mitglieder kaum auf Fortbildungen auftauchten, erklärt sie damit, dass sie ausnahmslos Ehrenamtler seien und daher weniger Zeit hätten.

Die Staatsanwaltschaft sieht keine Anhaltspunkte, Ermittlungen wieder aufzunehmen, solange nicht weitere Betroffene aussagen. Dem Vernehmen nach könnten sich zwei dazu demnächst bereiterklären. Warum trauen sie sich bislang nicht? »Ich kann ihnen keinen Vorwurf machen«, sagt William Gensee. »Sie fühlen sich abhängig, sie haben Angst. Mir ging es ja lange genauso.« Gensee hat Köln inzwischen verlassen.