»Viel Mühe und Leidenschaft«: Hausprojekt Palmstraße vor der Räumung

Eigentum schlägt Bedarf

Kölns ältestes Hausprojekt wurde zwangsgeräumt. Ehemalige Bewohner*innen, die in der Stadtrevue arbeiten, berichten

Erst ein Bohren, ein Rütteln, dann gab die Tür nach. Am 1. Juni wurde das Hausprojekt in der Palmstraße 19 im Kölner Friesenviertel zwangsgeräumt. Die Gerichtsvollzieherin hatte sich mithilfe eines Schlüsseldiensts Zugang verschafft. Hinter ihr versammelten sich, bewacht von Einsatzkräften der Polizei, rund fünfzig Menschen, die zu einer Protestkundgebung gekommen waren.

Wir hatten in den letzten Wochen viel über den Moment der Räumung diskutiert. Uns war klar: Wir konnten das Haus nicht mehr länger halten. Aber einfach den Schlüssel bei der Vermieterin abzugeben, war für uns keine Option. Sollten sie doch die Tür aufbrechen, um das Haus in Besitz zu nehmen! Wir wollten, dass die Gewalt, die die 48-jährige Geschichte des Hausprojekts beendete, sichtbar wird.

Die Geschichte der »P 19« ­beginnt am 1. Mai 1975. Das Datum kennen wir genau, denn in unserem Treppenhaus hing all die ­Jahre eine mit Schreib­maschine getippte Liste, die die Bewohner*innen mit Einzugsdatum verzeichnete. Eine Gruppe um den Journalisten Peter Kleinert und die Künstlerin Marianne Tralau mietete damals das Haus und gründete eine WG. Fortan finden hier sechs bis acht Erwachsene ihr Zuhause, auch deren Kinder sind immer wieder Teil der Gemeinschaft. Alle haben eigene Wohn­räume und teilen sich Bad, Wohn­zimmer und das Zentrum des Hauses: die Küche, in der ­gemeinsam gekocht, gegessen, gelacht und diskutiert wird.

Die Geschichte der P 19 ist auch die der linken Initiativen Kölns. So war sie mit dem Volksblatt verbunden, das im Haus ­nebenan produziert wurde. Die Kaos-Filmproduktion und die Kaos-Kunstgalerie wurden von hier aus geführt. Ein Projekt geriet auf ­Abwege: Die Neue Rheinische ­Onlinezeitung hatte zeitweise ihre Postadresse in der P 19, heute ­geistert sie im Dunstkreis rechter Verschwörungs­mythen umher. Jüngst haben sich noch queer­feministische, anti­faschistische und anti­rassistische Initiativen hier ­getroffen, etwa der »Frauenstreik« und das im Haus gegründete bundes­weite Tribunal »NSU-Komplex auflösen«. Es gingen Stadtrevue-Mit­arbei­ter*innen hier ein und aus und waren wie wir Teil des Wohnprojekts.

Die Geschichte der P 19 ist auch die Geschichte der linken Initiativen Kölns

Über Jahrzehnte wurde das Haus von den Bewohner*innen instand gehalten, mit viel Mühe und Leidenschaft. Im Gegenzug zahlten wir eine geringe Miete. 2016 starb der Hauptmieter Peter Kleinert, und der auf ihn laufende Mietvertrag wurde rechtlich hinfällig. Nun trat das erste Mal unsere Vermieterin, Enkelin des ursprünglichen Vermieters, auf den Plan. Sie diktierte uns ihre Bedingungen, um weiter in der P 19 wohnen zu können: eine Mieterhöhung um rund zwei Drittel, bei gleichzeitiger Ankündigung, sich nicht an Instandhaltungskosten zu beteiligen. Außerdem würde sie den neuen Mietvertrag erst zur Unterschrift vorlegen, nachdem die Bewohner*innen vorab eine Kündigung für in fünf Jahren unter­schrieben hätten, die danach jährlich erneuert werden sollte — ein recht­lich sehr zweifelhaftes Vorgehen.

2021 folgte die Klage wegen Eigenbedarfs. Mit ihrem Ehemann und ihrer  Tochter wolle sie in das Haus einziehen, so die Vermieterin. Der formulierte Bedarf: großzügiger Wohnraum mit Sport- und Musikzimmer sowie Wohn­zimmer-Etage mit Bar. Nachdem sie ihr Einfamilienhaus am Kölner Stadt­rand verkauft hatte, lebte sie mit ihrer Familie nur ein paar Straßen weiter in einer großen Eigentumswohnung, die zuvor jahrelang leer gestanden hatte. Es zur Räumungsklage kommen zu lassen, schien uns vor diesem Hintergrund alternativlos. Aber der Frage des Bedarfs wurde in der Gerichts­verhand­lung keine Bedeutung beigemessen. Ein Stadtschlösschen für drei Menschen auf mehr als 300 Quadratmetern gegen Wohnraum für bis zu zehn Personen? Das Urteil fiel gegen uns aus. Eigentum schlägt Bedarf.

Wir sind nicht naiv, uns überrascht dieser Ausgang nicht. In den vergangenen Jahren haben sich die Straßen in unserer Nachbarschaft verändert, Mieten schossen wie überall in der Stadt in die Höhe, Wohnraum wurde knapp. Einen Tag vor der Räumung der P 19 hat die Stadt Köln toleriert, dass das Projekt »Obdachlose mit Zukunft« zwangsgeräumt wird. Und auch bei uns, in der P 19, ist nun das Türschloss ausgetauscht. In Köln ist seit dem 1. Juni nun eine weitere Tür für selbstverwaltete Projekte und gemeinschaftliches Wohnen verschlossen.