Im wilden Westen: »Pamfir«

Brüchige Erinnerung

Die Ukrainischen Filmtage NRW zeigen ein differenziertes Bild eines lange übersehenen Landes

In einem Dorf im Westen der Ukraine brennt die Kirche. Ist der Krieg schon so nahe? Nein, denn der Film »Pamfir« von Dmytro Sukholytkky-Sobchuk war schon fertig, als Wladimir Putin den Angriff auf das Nachbarland befahl. Das Feuer hat einen anderen Grund. Ein junger Mann will damit ein Zeichen setzen. Er möchte verhindern, dass sein Vater die Familie bald wieder verlässt, um irgendwo in der Fremde zu arbeiten. Das Feuer ist eine paradoxe Intervention: Es soll Zusammenhalt durch Zerstörung schaffen.

Man kann in diesem Aspekt von »Pamfir« durchaus etwas Allgemeineres über die Ukraine erkennen, über ein Land zwischen den Welten, über das viele Menschen in Deutschland lange Zeit hinwegblickten, weil sie nur den großen Nachbarn Russland sahen. Seit die Ukraine um ihr Überleben kämpft, hat sich das geändert.

Auch die Ukrainischen Filmtage NRW dürfen aus diesem Grund dieses Jahr mit erhöhter Aufmerksamkeit rechnen. Veranstaltet werden sie vom Verein Blau-Gelbes Kreuz, der sich seit 2014 von Deutschland aus für die Demokratie in der Ukraine einsetzt. Das Filmprogramm kann dabei dazu dienen, viele Klischees über das Land zu differenzieren. »Pamfir«, um bei diesem ersten Beispiel zu bleiben, zeigt das Leben im gebirgigen Westen des Landes. Polen ist nahe, damit auch der zollfreie Raum der EU, Schmuggel ist ein Geschäft. Es geht aber auch um die lokalen Bräuche, in einer ­Gegend, die für das nationale Selbstverständnis der Ukraine von entscheidender Bedeutung ist. Und es geht um familiäre Zusammenhänge in einer Situation, in der Traditionen zunehmend brüchig werden.

»Pamfir« ist einer von insgesamt neun Filmen der Ukrainische Filmtage, Vorführungen gibt es an neun Orten von Aachen bis Dortmund. Die Auswahl ist vielfältig und bezieht auch einen — in Köln allerdings nicht gezeigten — Mainstream-Film wie »Sniper: The White Raven« von Marian Bushan ein: Ein Lehrer wird da zu einer Symbolfigur des Krieges im Donbas, und die Gewalt wird drastisch anschaulich. In erster Linie aber geht das Programm darauf ein, dass sich in der Ukraine in den 2010er Jahren ein spannendes, junges Kino entwickelt hat, unterstützt von einer Filmförderung, die einerseits auf Erfolge auf den internationalen Festivals abzielte, andererseits aber einer neuen Generation die Gelegenheit gab, auf vielschichtige Weise über ihr Land nachzudenken.

Die massive demokratische Bewegung des Euromaidan 2014, die gelegentlich auch als Revolution bezeichnet wird, ist dabei mit ihrem befreienden Geist häufig als Inspiration erkennbar. Etwa in »Stop Zemlia« von Kateryna Gornostai, in dem die Regisseurin auf halbdokumentarische Weise von einer Gruppe von Schüler*innen erzählt, die repräsentativ gesehen werden können: Da geht es um (auch queere) Geschlechteridentität genauso wie um den Gedanken, sich freiwillig zu melden, um im Osten des Landes zu kämpfen. Mit der Besetzung der Krim 2014 und mit den Söldnern im Donbas begann nach Meinung der meisten Menschen in der Ukraine schon damals der Krieg, der 2022 dann richtig ausbrach. Unweigerlich spielt dieses Thema in viele Filme hinein, wobei die Ukrainischen Filmtage dabei sehr gute Beispiele ausgewählt haben: »The Forgotten« von Darya Onyshchenko erzählt am Beispiel eines 17 Jahre alten ukrainischen Patrioten von der Besatzung in der Gegend von Lugansk, einer alten Industriemetropole im äußersten Osten der Ukraine.

Auch die ethnische Vielfalt des Landes wird aus dem Programm ersichtlich. In »Homeward« von Nariman Aliev rücken die Krimtataren in den Blick, eine Minderheit, die schon von Stalin verfolgt wurde, und die unter den Folgen der Annexion der Krim besonders leiden. Und wenn man nach einem Filmtitel sucht, der für die aktuelle Situation wie ein Slogan wirken könnte, dann wäre »Fragile Memory« von Ihor Ivanko sicher geeignet: Denn hier wird erkennbar, dass alles auch ganz anders hätte ausgehen können. Der junge Filmemacher hört seinem Großvater zu, einem ehemaligen Mitarbeiter der berühmten Filmstudios von Odessa. Die zerbrechliche Erinnerung bezieht sich auf das gemeinsame sowjetische Erbe, das Russland und die Ukraine teilen, und das auch Grund für Zusammenhalt (in Freiheit) sein könnte. 

bis Mi 5.7., div. Orte.
bgk-verein.de