Von ihnen sieht man nur die Hakken: Rotterdam Terror Corps

»Wir hören auch klassische Musik«

Techno als Hardcore: Das Rotterdam Terror Corps bevorzugt klare Ansagen

Um das großartige, ruppige, laute, mitreißende Kollektiv Rotterdam Terror Corps zu begreifen, muss man kurz zurückblicken. Vor 30 Jahren schienen die Gräben unüberbrückbar: Hier eine Indie-, Hardcore- und Grunge-Community, für die die E-Gitarre unhinterfragter Mittelpunkt der Songs und Sounds war. Gefühle statt Tanzmusik, Zustände statt »Abfahrt«. Dort eine seit Ende der 80er Jahre boomende Techno- Szene, deren Wortführer nicht müde wurden, Ekel und Abscheu vor Gitarren-Musik zu bekunden. Disco statt Konzerthalle, Tanzen statt Headbangen.

Es gab aber schon damals Tracks, die jenseits der Genre-­Abgrenzungen aufploppten und alle Lager ansprachen. Nicht weil sie ­irgendwas vermischten, sondern weil sie in sich so extrem ­waren. Stilbildend war der Track »Alles naar de Klote« der Rotter­damer Produzenten Euromasters: Explodierte Hoden nach zu viel ­eigenartigem Drogenkonsum (so ungefähr ist der Titel zu verstehen). Gewitter im Hirn und Beatmassaker für die Tanzfläche. »Alles naar de Klote« war Hardcore pur und sprach auch Punks und Rocker an. Hardcore-Techno, genannt Gabber, aus Rotterdam war das Label hemmungslos körperlicher Ekstase in der Disco, ­allerdings ganz ohne Gitarren-­Ästhetik. Gabber ist längst wieder Underground und  ist dabei gut gealtert.

Hakke heißt der dazugehörige Tanzstil — und »HAKKE360« heißt das Event, auf dem Ende Juli das Rotterdam Terror Corps auftritt.

Das Rotterdam Terror Corps gehört zu den Urgesteinen der Hardcore-Techno-Szene. Gegründet wurde das Kollektiv  1993 vom Radio-DJ Distortion, dem Rapper MC Raw, dem Designer und Mu­siker Reanimator sowie DJ Rob und DJ Petrov mit der Ambition, »bei den sonst so langweiligen ­DJ-Sets für etwas Chaos zu sorgen« — ­manifestiert im Logo, ­einem weißen Totenschädel mit angedeuteten Kopfhörern.

Heute würde sich wohl kein Kollektiv mehr für so einen martialischen Namen begeistern. Während sich seine Zusammensetzung über die Jahre immer wieder geändert hat, blieben sie sich treu, auch was die ästhetische Vorliebe für Pyrotechnik und leichtbekleidete Tänzer:­innen angeht. Fragen beantworten sie ausschließlich gemeinsam.

Wie sah die noch junge Technoszene Anfang der 90er Jahre in den Niederlanden aus?

Wir schauten nach England. Die Acid-House-­Rave-Szene kam in den späten 80er Jahren in Holland an und bildeten die Basis für alle zukünftigen Events. Das Set-up war damals simpel: Man bucht ein paar coole DJs, stellt eine coole Dekoration und ein cooles Soundsystem auf — und schon hat man eine Party.

30 Jahre später ist Techno zu einem der wichtigsten Musikgenres geworden, sowohl was den Underground als auch den Mainstream betrifft. Was denkt ihr über diese Entwicklung?

Techno ist hier, um zu bleiben. Es ist ein weltweites Genre geworden, das gleichzeitig Mainstream und Underground ist. Die perfekte Mischung für einen nachhaltigen Erfolg.

Wie bewertet ihr eure eigene Geschichte?

Da es, als wir anfingen, keine Szene gab, sind wir stolz darauf, dass wir die entstehende Hardcore-Szene so mitgestaltet haben, wie sie heute ist.

Was zeichnet den Rotterdamer Hardcore-Techno aus?

Uns war es immer sehr wichtig, dass wir selbst am Mikrofon agieren und eben nicht nur Stimmen sampeln. Das macht uns originell.

Die Vice titelte: »Niemand feiert härter als die Niederländer«. Ist es wirklich so?

Holland hat eine großartige Infrastruktur und lockere Drogengesetze. Kombiniert man dies mit einer verrückten Anzahl von Produzenten und DJs, die in diesem kleinen Land leben, hat man das Rezept für den weltweiten Erfolg.

Beim Rotterdam Terror Corps geht es nicht nur um die Musik. Schon lange vor Spektakel-Festivals wie dem Tomorrowland habt ihr auf aufwändige Bühnenshows mit Tänzer:innen und Pyrotechnik gesetzt. Was macht das gesamte Rave-Erlebnis aus?

Es ist sehr wichtig, sich weiterzuentwickeln. Früher kamen Tausende von Leuten zu Partys mit nur drei DJs, heute erwarten die Leute eine komplette Bühnenshow, verrückte Beleuchtung, guten Sound und schöne Dekorationen. Für die einen ist das fantastisch, die anderen finden, dass es viel zu sehr von der Musik ablenkt. Wir agieren als Rotterdam Terror Corps vom Zentrum der Party aus, wir sorgen für Chaos auf der Bühne und unterhalten das Publikum.

Seit 1993 hat sich eine Menge verändert. Wenn man sich aber eure Netzpräsenz anschaut, sieht es aus, als ob die Debatten der letzten Jahre um political correctness an euch vorbei gegangen sind. Euer Logo ist immer noch der Totenkopf mit neonfarbenen Kopfhörer — und ihr postet noch immer gerne halbnackte Frauen. Ist eure Szene immun gegen solche Diskurse?

Aufgrund der amerikanisch geprägten Social-Media-Regeln wurden wir oft gesperrt, weil wir sexy Bilder posten — während es in Ordnung zu sein scheint, Bilder von Menschen zu posten, die auf schreckliche Weise verletzt wurden. Natürlich mussten wir uns den neuen Standards anpassen, sonst wären wir in den sozialen Medien gar nicht mehr präsent.

Wenn man sich eure Facebook- (125.000 Follower), Instagram- (30.000 Follower) und Spotify-Seiten (63.000 monatliche Hörer) anschaut, habt ihr zwar eine große Fangemeinde, mit den großen Stadion-Events sind die Zahlen aber nicht vergleichbar. Habt ihr das Gefühl, dass ihr die Anerkennung bekommen habt, die ihr verdient?

Wir fühlen uns anerkannt. Gerade angesichts der vielen Einschränkungen, die wir in den Sozialen Medien immer wieder erfahren, empfinden wir unsere Reichweite als cool. Aktuell haben wir mit Tik Tok begonnen — und wurden sofort für einen »Verstoß gegen die Community-Richtlinien« abgemahnt, das heißt, wir haben es immer noch drauf.

Die deutschen Rotterdam Terror Corps wären vielleicht Scooter. Gewagter Vergleich?

Deutschland war und ist sehr wichtig für uns. Der Frankfurter DJ und Produzent Marc Acardipane ist für uns der Godfather der Rave-Musik — und Scooter ist es gelungen, einen Underground-Techno-Act in eine riesige, stadionfüllende, kommerzielle Top-40-Band zu verwandeln.

Was hört das Rotterdam Terror Corps, wenn es runterkommt?

Wir hören klassische Musik, Disco, HipHop und Heavy Metal. Es hängt davon ab, in welcher Stimmung wir sind und wohin wir fahren.

Party:

Sa 29.7., »HAKKE360« mit den Rotterdam Terror Corps im Kölner Bootshaus
(»Early & Millennium Set«)