Instagram, Tiktok & Co: Katalysator für Essstörungen? Foto: Pexels

Mehr Diversität auf Instagram und TikTok

Während der Corona-Jahre haben Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen stark zugenommen. Eine Ursache: Social-Media-Plattformen

Essen, wenn man hungrig ist — und damit aufhören, wenn sich das Gefühl der Sättigung einstellt. Bei einer Störung des Essverhaltens gelten diese Mechanismen nicht mehr, mehr noch: Die Gedanken kreisen unentwegt um die Ernährung, das Verhältnis zum eigenen Körper ist beeinträchtigt, die Welt gerät aus dem Lot. Laut einer neuen Studie, veröffentlicht vor wenigen Wochen von der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH), ist die Zahl der Jugendlichen mit Bulimie oder Magersucht bundesweit gestiegen, vor allem während der Corona-Pandemie. Rund 50.000 Jugendliche im Alter von zwölf bis 17 Jahren dürften, so die Hochrechnung der KKH, ­betroffen sein, die meisten davon Mädchen und junge Frauen.

Ein kurzer Überblick aus der Studie: 2011 litten laut den Daten der KKH in Hannover bundesweit rund 11 von 1000 Mädchen und jungen Frauen an einer Essstörung. Im Vor-Corona-Jahr 2019 und 2020 stieg die Zahl auf 13 von 1000 — und im Jahr 2021 waren es bereits 18 von 1000. Die Dunkel­ziffer dürfte jedoch weitaus höher liegen, schreiben die Wissenschaftler*innen in ihrer Studie, denn ihre Daten bilden nur ärztlich diagnostizierte Fälle ab. »Die Gründe für eine Essstörung sind vielfältig und reichen von traumatischen Erlebnissen wie Missbrauch über familiäre Konflikte bis hin zu Leistungsdruck und Mobbing«, sagt KKH-Psychologin Franziska Klemm.


Es bringt nichts, den Kindern und Jugendlichen zu sagen, sie ­sollen sich von normier­ten Körper­bildern ab­­grenzen. Wir müssen auch darüber reden
Eva Wunderer, Wissenschaftlerin

Sie bestätigt die in der Studie gemachten Beobachtungen: Dass Social-Media-Plattformen eine für die Entwicklung der Essstörung begünstigende Rolle spielten, etwa Instagram und Tiktok — und die »Schönheitsfilter«, die man dort über das eigene Gesicht legen kann. Denn gerade während der Lockdown-Phasen sei für Kinder und Jugendliche einiges zusammen gekommen: die stärkere Beschäftigung mit sozialen Medien und den dort vermittelten Inhalten und der fehlende Realitäts­bezug und damit auch der Vergleich, wie Freund*innen und Mitschüler*innen im echten ­Leben ohne Filter aussehen.

Persönlicher Austausch, Hobbies und ein geregelter Alltag: »Das sind haltgebende Strukturen, die vor allem in der Pubertät wichtig sind«, so Klemm. Gerät dieses haltgebende Gefüge in einer so wichtigen Entwicklungsphase für eine längere Zeit ins Wanken, könne das die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen stark beeinflussen. »Einige haben versucht, diesen Kontrollverlust zu kompensieren, indem sie sich selbst kontrollieren, zum Beispiel mit Diäten und Sport«, erklärt die KKH-Psychologin.

Social-Media-Plattformen als Katalysator für Essstörungen? Ja, sagt auch die Wissenschaftlerin Eva Wunderer, die 2019 die bundesweit erste Studie über den ­Zusammenhang von Sozialen ­Medien, Körperempfinden und dem Wohlergehen junger Menschen durchgeführt hat: 175 von Ess­störungen betroffene Personen wurden dafür mittels Fragebogen ­befragt. Über die Ergebnisse hat Wunderer zuletzt im Podcast des Frankfurter Zentrums für Essstörungen gesprochen: »Soziale Medien senken die Körperzufriedenheit, wenn ich mich viel damit ­beschäftige, und können Symptome von Essstörungen triggern«, sagt sie dort, erklärt aber auch ­einen weiteren wichtigen Aspekt: »Diejenigen, die sich stark mit dem Körper beschäftigen, suchen auch entsprechende Bilder, Posts oder Gleichgesinnte und dann wird das schnell zum Kreislauf.«

Auf Social-Media-Plattformen müsse eine größere Diversität von Körperbildern gefördert werden, und natürlich ganz generell: die Medienkompetenz. »Wir brauchen eine ständige Reflektion darüber, wer hinter einem Bild steckt, inwiefern das kommerzielle Interesse bedient, und ob Techniken zur Bildbearbeitung verwendet wurden«, findet Wunderer. Sie fordert aber auch eine Diskussion, darüber, warum normierte Körperbilder in der Gesellschaft eine so ­große Rollen spielen: »Es bringt nichts, den Kindern und Jugend­lichen zu sagen, sie sollen sich ­davon abgrenzen. Wir müssen auch darüber reden.«