»Durchweg solide Mittelklasse« — Verbrenner vor der großen Leinwand in Porz

Boliden, Burger, Ballerfilme

Am 18. August 1967 wurde das Autokino in Porz eröffnet, es war erst das dritte in Deutschland. Ende des Jahres könnte es schließen. Ein Besuch in der Epoche des Verbrennermotors

Vor dem Ausgehen fragt man sich, welche Kleidung dem Anlass angemessen sei. Leger oder festlich? Mit persönlicher Note oder dezent? Wir stehen vor einer ähnlichen Frage: Nehmen wir den BMW oder den Porsche? Das jedenfalls fragt der für diesen Abend angeheuerte Chauffeur, ein Autonarr und Experte für alles von Achsabstand bis Zierleiste. Es geht ins Porzer Autokino, auf dem Programm steht der Action-Blockbuster »Fast & Furious«, der mittlerweile zehnte Teil der Filmreihe, dessen Hauptdarsteller auf den Namen Vin Diesel hört. Das Autokino befindet sich an der Rudolf-Diesel-Straße. Alles passt: Auto-Film, Auto-Kino, Auto-Experte als Chauffeur. Er ist jemand, der einarmig mit der Handfläche lenkt, jedes Modell am Motorengeräusch erkennt und nicht auf den Tacho, sondern den Drehzahlmesser schaut. Zwar befürwortet er eine autofreie Innenstadt und gleitet mit 20 km/h durch Tempo-30-Zonen, aber sportliche Kraftwagen lenkt er mit Leidenschaft. Er möchte seinen Namen hier nicht lesen, aus Sorge vor Leserbriefen. So ist das heutzutage.

Wir nehmen den BMW, einen 523i der E39-Serie, vierte Baureihe von 1995. Der Porsche wäre zu aufdringlich, ein 911er. »Allerdings aus der ungeliebten 996er Baureihe, mit der Porsche die legendäre Luftkühler-Epoche ­beendete, insgesamt weit unter Porsche-Niveau«, so der Chauffeur. »Da haben damals zu viele BWLer mitgeredet.« Derart eingestimmt startet die Spritztour nach Eil. Wer hier aufgewachsen ist, weiß, mit welchem Elan die Stadtplanung alles verschandelt hat und gar nicht mehr aufhören wollte, überall Gewerbegebiete auszuweisen. So auch an unserem Zielort, wo seit 1970 die heutige A-59 Porz zerschneidet und die Theodor-Heuss-Straße unterquert. Seit 1967 steht hier schon das Porzer Autokino, im Jahr darauf eröffnete nebenan das SB-Warenhaus »plaza« samt riesigem Parkplatz. Die Stadt Porz war bereit für Konsum und Unterhaltung im großen Stil, so schien es. Aber dann kam 1975 die Eingemeindung und alles ganz anders.

Vor kurzem wurde das Warenhaus, zuletzt ein »real«-Markt, geschlossen. Und auch dem Autokino droht das Aus, denn die Trödel- und Wochenmärkte, die bislang auf dem Kino-Gelände stattfanden, wurden verboten. Nach vierzig Jahren fiel der Stadt Köln auf, dass es keine Genehmigung gibt. Der Vorstoß für eine »Ordnungsverfügung auf Nutzungseinstellung« kam von der CDU, die sich auf Porzer ­beruft, die über Lärm und Müll klagten. Seit März gibt es keine Märkte mehr, aber die Betreibergesellschaft DWJ mit Sitz im bayerischen Starnberg finanziert den Betrieb des Kinos über die Märkte. Die Pacht, die man an die Mehl-Mülhens-Stiftung vom nahe gelegenen Gestüt Röttgen zahle, sei vergleichsweise hoch, heißt es bei der DWJ, die auch die Autokinos in München, Stuttgart, Frankfurt und Essen betreibt. Ohne Märkte rentiere sich aber das Porzer Kino nicht, deshalb sei zum Jahresende wohl Schluss.  

Als wir ankommen, stehen die Autos schon Schlange. Gespräch mit dem Fahrer eines schnittigen Ford Fiesta ST. Er und seine Begleitung stammen aus Leverkusen. »Wir sind regelmäßig hier. Das ist immer ein besonderes Erlebnis«, sagt er. Es gebe nicht mehr viele Autokinos, da sei es praktisch, dass es nicht weit nach Porz sei — wenn kein Stau sei. Allerdings ist der Fahrer etwas nervös, zuletzt konnte er das Tagfahrlicht seines Fiestas nicht abstellen. Das Autokino stellt zwar für solche Zwecke Scheinwerferabdeckungen bereit, aber was ist dann mit der Batterie? Aber wird denn auch die Batterie des alten BMW halten, wenn man doch den Filmton über eine spezielle UKW-Frequenz im Autoradio empfangen soll? Da kann der Chauffeur aber den Beifahrer beruhigen: Die Batterie ist tipptopp. Außerdem bietet das Autokino Fremdstart-Kits an.

Dann endlich Einlass, wir zeigen den QR-Code auf dem Handy und haben freie Platzwahl. Das Gelände ist riesig, vollständig versiegelt, umrahmt von altem Baumbestand auf Böschungen. Früher standen dort nachts Menschen, um den Film gratis, wenn auch ohne Ton, zu verfolgen. Macht heute keiner mehr.

Überhaupt, Autokino. Ein Kompositum der Krisen: Der Verbrenner ist ein Auslaufmodell, womöglich das Auto überhaupt, und die Menschen liegen heute auf dem Sofa und lassen Filme streamen. Hier aber trifft man nur Enthusiasten und Stammgäste. Wir werden in der Snackbar, einem Flachbau im Stil eines Diners, sofort als Neulinge enttarnt. Der Chauffeur scherzt mit Blick auf die Fastfood-Karte etwas zu laut, ob er hier wohl auch ein Pastrami-Sandwich oder einen Sauvignon blanc ­bekommen kann. »Das würde hier nicht funktionieren«, werden wir von einem Pärchen belehrt. Kurzes, freundliches Geplauder. Ja, das Autokino ist was ganz Besonderes. »Na, ihr zwei? Wie immer ’ne Fanta und eine Cola?«, fragt die Kassiererin die beiden.

Man kann auch kostenlos einen Heizlüfter oder ein Radio ausleihen, wir entscheiden uns für das tragbare Radio — wegen der Autobatterie, man weiß ja nie. Die Frau an der Kasse erläutert sehr geduldig, auf welche Knöpfe man drücken muss. Als Pfand hinterlegt man seinen Führerschein, er wird vor den Augen des Gastes in einen »Datenschutzumschlag« gesteckt. Nach Rückgabe des Geräts bekommt man ihn wieder ausgehändigt.


Hier trifft man nur Enthusiasten und Stammgäste. Wir werden in der ­Snack­bar sofort als Neulinge enttarnt

Draußen lässt der Chauffeur noch mal den Blick über all das Blech schweifen. Sein Fazit: »Durchweg solide Mittelklasse.« Es klingt abfällig. »Auffällig viele sogenannte sportliche Kompakte: Fiesta ST, Golf GTI, ein alter Honda Civic mit weißen Sportfelgen und dem damals beliebten oberschenkeldicken Endrohr.« Dann aber fährt noch ein Mercedes 250 CE aus den frühen 70er Jahren vor. »Endlich mal ein echter Oldtimer, Baureihe W 114...«, sagt der Chauffeur, und dann wie zu sich selbst: »Wunderhübsches Teil — leider sind die meisten längst weggerostet.«

Wieder im Wagen seufzt der Chauffeur: »Wir müssen jetzt zweieinhalb Stunden hier sitzen.« Wir werden also zwischendurch immer mal wieder in den Diner gehen. Alle sind so freundlich dort, wie Menschen, die um ihre etwas ungewöhnliche Leidenschaft wissen und daher froh sind, auf Gleichgesinnte zu treffen. Ansonsten unterhalten wir uns im BMW über Filme, in denen Autos eine tragende Rolle spielen. »Alle Autofilme sind völliger Blödsinn«, befindet der Chauffeur mit Blick auf die Leinwand. Ihm gefallen nur die Autos in den Louis-de-Funès-Filmen. Louis de Funès ist auch lustiger als das, was hier gerade gezeigt wird. Hier sieht man angeblich edle Verbrecher, die ihre Familie und die ganze Welt vor Irren schützen müssen, die sich auch schon mal mit Leichen unterhalten, die sie in Campingstühlen drapiert haben. Der Ober-Irre pflegt einen Kleidungsstil, der an den der Promi-Familie »Die Geissens« erinnert. Kleidung wie ein SUV: eine ­ungebändigte Ansammlung von Accessoires und Applikationen, eine luxuriös aufgemotzte Durchschnittlichkeit. Nach knapp einer Stunde Film mit Explosionen und all den Muscle Cars sehnt man sich nach Ruhe und sähe lieber 70er-Jahre-Sportwagen und Menschen mit guten Manieren, gekleidet im zeit­losen Chic des damaligen Jetsets.

Etwa dreißig Autos sind an diesem Mittwochabend vor der Betonleinwand versammelt. Laut Kennzeichen haben fast alle einen langen Heimweg vor sich: Mönchengladbach, Düsseldorf, Koblenz, Aachen. Der Film endet nach zweieinhalb Stunden und einem wüsten Finale mit ferngesteuerten Supertrucks und Autos, die Staudämme herunterfahren.Das Ende zieht sich etwas. Gelegenheit, schon mal das Radio im Diner ­zurückzugeben. »War alles gut?« — »Ja, danke, echt ein besonderes Erlebnis.« — »Ja, ne? Dann bis zum nächsten Mal!« Alle Autos verlassen auffallend langsam das Gelände. Nur ein Motor heult auf. Es wirkt ­ironisch. 

Infos: autokino-koeln.de