Abseits vom Zeitgeist hat man mehr Spaß: Kumbia Queers, Foto: inmensidadesfotografia

Selbst getüftelt hält länger

Die Kumbia Queers kommen nach Köln mit ihrer einzigartigen Mischung aus politischer Tanzmusik und Punk-Spirit

Über Jahrzehnte begleitete jede Popkultur, jede Jugendbewegung die Kontroverse um Vermarktung, Ausverkauf, Kommerzialisierung. Die Szene mochte extrem politisiert sein, wie die Folk-Musik der frühen 60er Jahre, oder extrem hedonistisch, wie Techno der 90er Jahre: Die Kontroversen waren strukturell immer die gleichen. In den Zeiten von Instagram und TikTok und dem Triumph von Streamingplattformen dürfte der Kommerzialisierungsdruck enorm zugenommen haben — und umgekehrt die Selbstverständlichkeit, sich zu vermarkten.

Quer dazu und bewusst unter dem Radar jeder Hype-Maschine hat sich eine globale Szene von DIY-Bands herausgebildet — Do It Yourself —, die nur nach eigenen Maßstäben arbeiten, auch musikalisch keinem Zeitgeist folgen, die sich selbst organisieren, international vernetzen und ein immer größeres Publikum finden. Die argentinischen Kumbia Queers stehen exemplarisch für diese Internationale. Die heute fünfköpfige Band existiert seit 16 Jahren und hat in dieser langen Zeit ihren ­eigenen Stil entwickelt — aber dazu später.

Ihre Wurzeln liegen, natürlich, im Punk. »Punk in Argentinien ploppte mit dem Ende der Militärdiktatur auf, also Mitte der 80er Jahre«, erzählt Pat Pietrafesa, Bassistin der Band und tatsächlich seit vierzig Jahren in der Szene aktiv. »Es gab nach den bleiernen Jahren ein großes Nachholbedürfnis, die Leute gingen auf die Straße, waren wütend — und wollten auch tanzen. Es gab aber auch direkt Forderungen nach Aufarbeitung der Militärzeit. Punk war sehr politisch in den 80er Jahren.« Juana Chang, Sängerin der Kumbia Queers, ergänzt: »Wie überall kommerzialisierte sich auch in Argentinien der Punk.« »Manchmal bedeutete das aber bloß, dass die Musiker lernten, ihre Instrumente zu beherrschen«, funkt Pat da­zwischen, beide müssen lachen. Juana: »Ja, aber wichtiger als die Kommerzialisierung war, dass ein Teil der Szene übrigblieb und weitermachte. Auch wenn die Musik nicht mehr nach dem Punk der 80er klingt, ist die Haltung immer noch die gleiche. Punk ist ein Kanal, um Wut auszudrücken.«


Die Leuten tanzen nicht mehr aggressiven Pogo zu unserer Musik, das heißt, dass sich mehr trauen, zur Musik zu tanzen
Pat Pietrafesa

1995 gründeten Pat und die Gitarristin Pilar die She-Devils, nannten ihre Musik selbstbewusst Queercore und ihre erste Veröffentlichung: »El Aborto Ilegal asesina my Libertad« (»Illegale Abtreibung tötet meine Freiheit«). Pat und Pilar haben dann zwölf Jahre später die Kumbia Queers mitgegründet, aber ihr 90er-Sound ist noch völlig unangekränkelter In-Your-Face-Punk. Diese Musik ist wirklich wütend, dabei lakonisch und ohne falsche Larmoyanz. »Wir waren schon immer Do-It-Yourself und werden es auch bleiben. Es ging früher gar nicht anders«, führt Pat weiter aus, »denn kein offizieller Konzertort, keine Plattenfirma, keine Booking Agentur hat sich für uns interessiert. Also haben wir es selber in die Hand genommen.« Fast überflüssig zu erwähnen, dass Pat im Interview, dass wir via Video-Kon­ferenz führen, ruhig und freundlich spricht.

Wie kamt ihr eigentlich auf Cumbia? Denn diese Fusion mit dem klassischen und in Lateinamerika populären kolumbianischen Tanz-Stil, der seine Wurzeln in Tänzen der verschleppten afrikanischen Sklaven hat, ist es ja, was die Kumbia Queers in gewisser Hinsicht weltbekannt gemacht haben. »Wir kannten am Anfang kein einziges Kumbia-Stück«, erzählt Juana. »Aber wir haben halt ausprobiert. Lasst uns doch mal ein Stück von den Ramones im Kumbia-Style spielen. Klingt gut!« Cumbia ist nicht so schrecklich kompliziert, deshalb bietet sich die Musik für endlose Variationen an, ein Klick zum Wikipedia-Eintrag und man erfährt, welche Cumbia-Pop-Fusionen es bereits gegeben hat: von Techno über Hip­Hop bis Reggae. Dennoch fallen die Kumbia Queers aus der Reihe, denn ihre Aneignung ist explizit politisch: »Die Rock-Szene war einfach sehr männlich dominiert, auf Dauer sehr ermüdend«, sagt Pat. »Wir wollten damit brechen und haben eine Musik gewählt, die einerseits sehr populär ist, andererseits damals von niemandem mit Rock oder Punk assoziiert wird: Cumbia.« Das provozierte Einspruch, Stirnrunzeln, was ist aus eurer Wut geworden? »Wir haben damals wohl einige Freunde verloren«, meint Juana. »Die Leuten tanzen nicht mehr aggressiven Pogo zu unserer Musik, und das heißt, dass sich mehr Leute trauen, zur Musik zu tanzen.« »Diese Musik setzt eine andere Energie frei. Wie Juana sagte: freundlicher, aber genauso kraftvoll. Diese Energie erfüllt uns bis heute. Wir haben nicht damit gerechnet, dass es so lange gut geht!«, ergänzt Pat.

Der Wechsel vom »C« zum »K« (Kumbia!) ist mehr als nur eine kleine Punk-Geste: Die Band ist keinem Genre verpflichtet, auch keiner ehernen Tradition, und interpretiert also C/Kumbia maximal offen. Heute spielen sie auch Electro- und Disco-Nummern. Wenn die Band zurückblickt — was hat sich dann eigentlich für sie … nicht geändert? Eine falsche Frage, mein Juana, denn: »Alles hat sich geändert. Unser Netzwerk ist größer geworden. Wir haben uns musikalisch weiterentwickelt, unser Publikum hat sich geändert.« »Ja«, sagt Pat, »wir spielen schon lange nicht mehr für ein Szene-Publikum. Wir haben Fans, die bringen ihre Kinder mit.« »Aber«, jetzt wieder Juana, »unsere Attitüde ist dieselbe geblieben«. Und zu ihr gehört: alles wird gemeinsam diskutiert, »wir sind horizontal organisiert und wir setzen uns nicht unter Druck. Das ist unser Geheimnis. Also, wir arbeiten sehr langsam, machen aber immer noch Fehler« sagt Juana — und muss lachen.

Vor ein paar Jahren saß ich mit ganz verschiedenen Musikern, alle irgendwie links, auf einem ­Podium, und es ging um die so simple wie komplizierte Frage, ob man mit Musik die Welt verändern könnte. Wir sollten möglichst spontan antworten. Ich war als erster an der Reihe und sagte: Nein, nur indirekt; sie reflektiert Veränderung, aber selbst ist sie es nicht. Die Musiker reagierten allesamt ziemlich entsetzt und meinten, dass es für sie selbstverständlich sei, dass Musik die Welt verändern könnte. Bei einer Band, die so exponiert Musik und Politik und das eigene Leben miteinander verbindet wie die Kumbia Queers, liegt die Frage auf der Hand: Wie wäre denn eure Reaktion gewesen? »Es kommt darauf an, was du unter Veränderung verstehst. Die große Welt hat unsere Musik bestimmt nicht verändert, aber unser Leben, auch unser Nachdenken über die Welt, unser politisches Handeln«, sagt Pat. »Wenn ich an die letzten fünfzig oder siebzig Jahre denke, dann war bei jeder Veränderung ’von unten’ Musik dabei. Sie ändert die Welt nicht von alleine, aber sie spielt eine Rolle.« Es ist nicht abwegig, dass bei kommenden Veränderungen die Musik der Kumbia Queers ihre Rolle spielen wird.