Piefke in Österreich: Anke Engelke, © Lotus-Film

Hitzefrei

Die 15. Kölner Kino Nächte bieten eine Alternative zur Monokultur der Sommerblockbuster — drei Empfehlungen

Das Mainstream-Publikum weiß es: Sommerzeit ist Kinozeit. In Zeiten des Klimawandels und fehlender Bademeister gibt es in den heißen Monaten jedenfalls weitaus schlechtere Aufenthaltsorte als einen kühlen, dunklen Kinosaal. Jenseits der US-Blockbuster kommen allerdings im Sommer kaum noch neue Filme in die Kinos. Der gesamte Arthouse-Sektor scheint seit Corona die Zeit von Juni bis August abgeschrieben zu haben. Da kommt eine Veranstaltung wie die »Kölner Kino Nächte« gerade richtig, in der hiesige Kinos, Filminitiativen, Festivals und andere Kultureinrichtungen ihre Ressourcen bündeln. Sie präsentieren an vier Tagen ein dicht gepacktes Programm mit 40 Filmen an 13 Spielorten — zu einem fairen Preis von 20 Euro.

Ein irgendwie geartetes Profil kommt so nicht zustande, und es werden auch einige bestenfalls mediokre Filme gezeigt, aber bei sorgfältiger Auswahl kann man vier tolle, vielfältige Abende im Kino verbringen. Nicht zuletzt etwa bei den während der Kinonächte laufenden Ukrainischen Filmtagen (siehe auch S. 58) und bei den Filmen der Retrospektive zum Schaffen von Kinoshita Keisuke im Japanischen Kulturinstitut.

Gezeigt werden auch einige der besten Erstaufführungen des Monats, die ab Seite 61 in dieser Ausgabe der Stadtrevue besprochen werden, darunter Corinna Belz’ »Thomas Schütte — Ich bin nicht allein« (die Regisseurin wird anwesend sein) und Claire Denis’ »Mit Liebe und Entschlossenheit«. Doch das ist nicht alles: Hier drei weitere Empfehlungen aus dem Programm.

Infos: koelner-kino-naechte.de/2023

 

Vergiss Meyn nicht

Am 19. September 2018 stürzte Steffen Meyn im Hambacher Forst in den Tod. Der Student der Kölner Kunsthochschule für Medien filmte gerade auf 16 Metern Höhe die gewaltsame polizeiliche Räumung von Baumhäusern der Protestierenden gegen den benachbarten Braunkohle-Tagebau. Über zwei Jahre hatte Meyn da bereits die Aktivist*innen vor Ort begleitet, um einen Dokumentarfilm zu drehen, teilweise mit einer 360-Grad-Helmkamera. Meyn sah sich dabei als »Presse und Freund«, wie er es einmal im Film formuliert, als eine Art eingebetteter Journalist, der sich mit vielen der Aktivist*innen anfreundete — und dessen Kamera ihnen auch einen Schutz vor Polizeigewalt bot.

Drei ehemalige KHM-Kommiliton*innen von Meyn haben nach dessen Tod das von ihm gedrehte Material gesichtet, Interviews mit Aktivist*innen geführt und daraus den bewegenden Dokumentarfilm »Vergiss Meyn nicht« gemacht. Die »einseitige« Sichtweise ermöglicht einen intensiven Innenblick, bei dem die Aufnahmen von Meyn einen schwindelerregenden Eindruck geben von der prekären Existenz auf den Bäumen. Die Fischaugen-Verzerrung der Kamera verstärkt noch den Eindruck von Gefahr.

In den Interviews mit Aktivist*innen, die Meyn kannten, kommen auch die Brüche innerhalb der Gruppe zur Sprache, es gibt differenzierte Meinungen zum Einsatz von Gewalt — und vor allem wird auch die enorme psychische Belastung deutlich, die solch ein Leben im Widerstand mit sich bringt.

Sven von Reden
So 2.7., Filmpalette, 18 Uhr

 

OSS 117-Double-Feature

Die ersten zwischen 1963 und 1970 entstandenen Kinoabenteuer um den Geheimagenten OSS 117 boten Imperiums-Nostalgie im leger-süffisanten, poppigen Action-Gewand — 007 für ein Frankreich, das gerade einen schier endlosen Wirtschaftsboom genoss und dabei vergaß, wie irrelevant es in nur wenigen Jahren globalpolitisch gewor­­den war — Atombombe hin oder her.

Als Michel Hazanavicius (»The Artist«) sich dieser Nachkriegsschöpfung zu Beginn des neuen Jahrhunderts mit »OSS 117 — Der Spion, der sich liebte« (2006) und »OSS 117 — Er selbst ist sich genug« (2009) erneut vornimmt, ist auch der französische Wirtschaftswunder-Lack endgültig ab. Übrig geblieben sind die Klischees sowie die miesen Manieren. Frankreich, kurz gesagt, ist nur noch eine Parodie seiner selbst. Und genau das bekommt es von Hazanavicius fett aufs Brot geschmiert, in einem Stil, bei dem man zwar jovial mitlachen kann, aber dauernd unterschwellig zu spüren bekommt, dass sich die Filme in Wirklichkeit lustig machen über all die Überlegenheits-Kopfgymnastik. Interessanterweise waren die Filme in Frankreich Erfolge, kamen in Deutschland aber erst gar nicht ins Kino.

Während die alten »OSS 117« in ihrer eigenen Zeit spielen, blicken Hazanavicius’ Werke zurück in diese Zeit, wie um zu sagen: Die Probleme begannen schon damals, und dass wir sie immer noch haben, liegt daran, dass sich nichts geändert hat. Action-Entertainment als politische Aufklärung sah selten so toll poppig aus wie hier.

Olaf Möller
Sa 1.7., Filmhaus, 20:30 Uhr

 

Der Onkel

Als Anwalt Alexander in ein Koma fällt, macht sich sein Bruder Mike (Ko-Regisseur und -Drehbuchautor Michael Ostrowski) in seinem Leben breit — und treibt dabei nicht nur dessen Gattin Gloria (Anke Engelke) in den wohligen Wahnsinn, sondern auch die Nachbarn. Selbstverständlich wird im Laufe der Laufzeit noch allerhand Dreck zu Tage gefördert.

Helmut Köpping und Michael Ostrowski kennt man hier vielleicht als Darsteller — und im Fall von Ostrowski auch Ko-Autor — von Michael Glawoggers Monumenten »Nacktschnecken« (2004) und »Contact High« (2009), die die Idee dessen definiert haben, was eine anarchistische Kinokomödie mit den beiden und deren Talenten sein kann. Ohne Glawogger haben Köpping und Ostrowski immer noch den Stil des Grazer Theaters am Bahnhof zu bieten, in dem »Nacktschnecken« und »Contact High« verwurzelt sind, allerdings ohne dessen gestalterisches Genie. Mit »Der Onkel« gibt es die volle Theater-am-Bahnhof-Packung, und das ist ja auch schon mal was.

Ostrowski hat das Projekt quasi zur Familiensache gemacht, indem er nicht nur beide Brüder gibt, sondern auch zwei seiner Kinder sowie die Lebensgefährtin besetzt hat. Das funktioniert erstaunlich gut, selbst wenn gestandene Komödianten wie Gerhard Polt die Szene betreten. Alles andere ist beste austriakische Volkskomödientradition, Nestroy mit einer Portion Thomas Bernhard’scher Widerlichkeitsweisheit — voll drauf, und auch meistens voll ins Ziel. Passt scho!

Olaf Möller
Sa, 1.7., OmU. Filmhaus 20:30 Uhr.