Mit traumwandlerische Sicherheit: Juliette Jouan © CG Cinenema PifflMedien

Die Purpursegel

Pietro Marcello erzählt märchenhaft von einem Kriegsheimkehrer und dessen Tochter

In seinem Langfilmdebüt »Bella e perduta« (zurzeit bei MUBI) verband Pietro Marcello dokumentarische Aufnahmen sehr eigenwillig mit einer Spielhandlung. Sein nächster Langfilm »Martin Eden« war dann ein Spielfilm, bei dem Einschübe historischen Filmmaterials reizvoll vage Zeit- und Ortsbezüge herstellten. Diesen Ansatz verfolgt der 46-jährige Italiener nun auch in »Die Purpursegel«, in dem Archivbilder von heimkehrenden französischen Soldaten den Rahmen der lockeren Handlung abgeben.

Zurück aus dem Ersten Weltkrieg muss Raphaël erfahren, dass seine Ehefrau tot ist und ihm eine Tochter hinterlassen hat, der sich die allein lebende Madame Adeline als Ziehmutter angenommen hat. Auf deren armseligem Hof kann sich der kriegsversehrte Handwerker einquartieren und mit der Anfertigung von Spielzeug sein Geld verdienen. Dass Tochter Juliette allmählich erwachsen wird, lässt darauf schließen, dass die Handlungszeit die 30er Jahre erreicht. Für einen entsprechenden Zeitbezug sorgt aber allenfalls ein kurzer Ausschnitt aus einem der letzten in Frankreich produzierten Stummfilme.

Dabei gleicht Marcello seine Spielszene vorübergehend dem Sepiaton des von Altmeister Julien Duvivier ausgeborgten Materials an, wohingegen Marcello an anderen Stellen historische Dokumentaraufnahmen dezent nachkoloriert. Dass Kameramann Marco Graziaplena seine analog gedrehten Bilder durch Sonnenflecken oder Zooms akzentuiert, erinnert wiederum an die Filmästhetik der späten 60er und frühen 70er Jahre — wozu auch Gesangseinlagen passen, die bestimmt nicht zufällig an die Musicals von Jacques Demy denken lassen.

Unterm Strich lassen diese widersprüchlichen Referenzen die Adaption der gleichnamigen Erzählung von Alexander Grin unbestimmt und zeitlos wirken. Das kommt Marcellos Vorliebe für die Schilderung archaischer Milieus entgegen, die sich einer falschen Modernisierung widersetzen. Und es erlaubt, die märchenhaften Anflüge des Stoffs so salopp hervorzukehren, dass die dramaturgische Nonchalance schließlich ebenso zum eigentümlichen Charme von »Die Purpursegel« beiträgt wie die traumwandlerische Sicherheit, mit der die weibliche Hauptfigur sich durch eine von drohenden — und rettenden — Archetypen bevölkerte Welt bewegt.

(L’envol) F/I/D/RUS 2022, R: Pietro Marcello, D: Raphaël Thiéry, Juliette Jouan, Louis Garrel, 100 Min.