Ulrike Rosenbach, Herakles-Herkules-King Kong, 1977/2023, Medieninstallation, Maße variabel courtesy: Galerie Gisela Clement und die Künstlerin; © Ulrike Rosenbach, VG Bild-Kunst Bonn; Foto: Mareike Tocha

Das Verhalten von Körpern in Bewegung

Die Medienkünstlerin Ulrike Rosenbach feiert ihren 80. Geburtstag und blickt zurück auf Fluxus und Feminismus

Lange, gelbe Seidenbänder hängen von den meterhohen Decken im Obergeschoss der Galerie Gisela Clement in Bonn herab. Wie Schriftrollen sind sie befestigt an dünnen Gehölzen, hüllen den Raum in ein leuchtendes Labyrinth, das von Bildern und Figuren von Engeln an den Wänden gesäumt wird. Letztere scheinen bodennah zu schweben, führen den Blick durch die Seidenbänder, von denen eines ein Herz aus Bronze trägt. Wie ein Pendel streicht es durch den darunter sich befindlichen Salzhaufen.

Der Blick fällt auf eine Videoskulptur im hinteren Bereich des Raums: Der Monitor zeigt eine analoge Kameraaufnahme, erst eine Hand, dann zwei, die auf einer von Licht angestrahlten Messingscheibe Formen herausbilden, die in eine Herzform münden und dann wieder auseinander schweben. Akustisch wird das Bild durchschnitten von einem scharfen Luftzug einer Gerte. Sie nimmt Bezug zu den geflügelten Figuren mit Gerte, die jenen des Freskos der Villa dei Misteri in Pompeji entlehnt sind. Das Videoband »Schmelzprozesse« (1982) ist Kern dieser erstmals im zeeländischen Middelburg eingerichteten und nun in der Bonner Galerie ­Gisela Clement wieder aufgegriffenen, erweiterten Videoinstallation. Die Arbeit »Schmelzprozesse« fasst den Raum durch Licht und Farbe zu einem Ganzen zusammen und ist in ihrem ästhetischen Konzept von Bild, Ton und dem Ablauf von Bewegung im Raum getragen. Sie sei erfreut, dass ­Gisela Clement dieses Werk für ihre Präsentation in der Galerie ausgewählt habe, berichtet die Medienkünstlerin im Gespräch mit der Stadtrevue.

Die Installation ist neben weiteren wichtigen Werken Rosenbachs Teil der Ausstellung »Ulrike Rosenbach — Durch die Zeiten. Zwischen Körper und Geist« (21. April bis 31. Oktober 2023), die die Galerie Clement der Künstlerin widmet und die — anlässlich ihres 80. Geburtstages in diesem Jahr — zugleich Auftakt ist für eine umfangreiche Retrospektive, die das »ZKM — Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe« mit Rosenbachs Werken seit 1969 (24. Juni bis 7. Januar 2024) ausrichtet.


Wurde die Videotechnik ursprünglich als Überwachungstechnik genutzt, transferierte Rosenbach sie in ihrer künstlerischen Arbeit zu einem Instrument der Selbstkontrolle

Ulrike Rosenbach, 1943 geboren, studierte 1964 bis 1970 Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf bei Joseph Beuys, bevor sie in den frühen 1970er Jahren begann, sich mit dem Medium Video zu befassen und in ihr bildplastisches Werk zu integrieren. »Video war ein sehr seltenes Medium, das Künstler:innen in dieser Zeit verwendet haben«, erzählt sie im Gespräch. In Kontakt gekommen mit dem Medium Video sei sie im Rahmen der an der Kunsthalle Düsseldorf ausgerichteten Ausstellungsreihe »Prospect«, die dort zwischen 1968 und 1976 durch die Galeristen Hans Strelow und Konrad Fischer umgesetzt worden war. Insbesondere die Körperaufnahmen von Vito ­Acconci (gezeigt in »Prospect 71 — Projection«) hätten sie dazu angeregt, sich mit ­Video zu befassen und es in ihre eigene künstlerische Sprache zu integrieren.

Ihre erste Aktion bzw. Performance führte sie 1972 im Rahmen der ebenfalls durch die Kunsthalle Düsseldorf ausgerichtete Reihe »between« unter dem Titel »Naturkreisaktion« aus. Konzipiert für den Außenraum, trug die Künstlerin ein mit Margeriten besetztes Kleid aus Gaze, das wie ein kreisrundes Zeltdach zum Boden hinabführte, unter dem sich neben der knieenden Künstlerin Vögel befanden. Erst mit Rosenbachs Handlung des Aufstehens und ­Lösens des Gewebes ermöglichte sie die Freiheit der Tiere wie auch ihre eigene.

In dieser Arbeit vergegenwärtigt sich bereits Rosenbachs künstlerische Geste, die ihrem hierauf folgenden Werk zugrunde liegt: Möglichkeiten des selbstbestimmten Handelns als Frau im Gefüge von überlieferten gesellschaftlichen (Vor-)Bildern und der Öffnung des Selbst in den Rhythmen von Leben und Natur in den Blick zu nehmen. Rosenbach verbindet von nun an ihre Aktion/Performance mit Video, setzt Live-Video-Aktionen um, bei denen sie Videokameras an ihrem eigenen Körper befestigt: »Hierdurch konnte ich in meine bildhauerischen Objekte Bewegungssequenzen integrieren, und zwar die meines eigenen Blicks«, erläutert Rosenbach. Im sogenannten Closed-Circuit-Verfahren wurden zugleich Handlungen und Blicke der Künstlerin durch die Videokamera zu konstitutiven Bildelementen ihrer situativ ausgeführten Arbeit. Sie ergänzte sie etwa durch Dia-Projektionen fotografischer Vorlagen (etwa aus der Kunstgeschichte) oder vermittelte sie durch eigene Videoaufzeichnungen und durch die Aktion ihres Körpers zu einer transluziden Collage — einem vielansichtigen wie vielschichtigen Raumerleben. Wurde die Videotechnik ursprünglich als Überwachungstechnik genutzt, transferierte Rosenbach sie in ihrer künstlerischen Arbeit zu einem Instrument der Selbstkontrolle und des assoziativen Reflektierens über das (weibliche) Selbst.

Videoaufzeichnungen von Live-Video-Aktionen vor Publikum, die sie bis 2014 ausführte, oder von Videoperformances, die die Künstlerin ohne Publikum in ihrem Studio durchführte, sind fortlaufender Bestandteil ihres Werkes und so immer wieder auch Teil von Video-Installationen, in denen Rosenbach bildhauerische Arbeiten mit Bewegtbild kombinierte. »Meine Stahlskulpturen, die Teil meiner Installationen sind, führen zurück auf mein Studium bei Norbert Kricke«, berichtet die Medienkünstlerin. Der Düsseldorfer Kricke (1922-1984) prägte den Begriff der modernen Skultpur nachhaltig, Rosenbach ergänzt: »Die Arbeit von Norbert Kricke war für mich vor allem deshalb bedeutend, weil er die abstrakte Figur im Raum gesehen hat. Was mich wiederum interessierte, war, wie sich der Körper in Bewegung verhält. Das führt mitunter zurück auf Oskar Schlemmer und seinen Bezug zu Formen und Körpern im Raum. Denn ursprünglich wollte ich Bühnenbild studieren, es hat sich aber anders ergeben.«

Rosenbach, die sich im Umfeld der Fluxus-Szene in Düsseldorf und Wuppertal bewegte und die die Neuheit der durch diese Szene hervorgebrachten künstlerischen Konzepte schätzte, lernte in der »Konrad Fischer Galerie« John Baldessari kennen, durch den sie einen Lehrauftrag am California Institute of the Arts in Valencia in Kalifornien erhielt. Während ihrer Zeit in den USA (1973 bis 1976) kam sie in Kontakt mit der Kunstkritikerin Lucy Lippard und mit Judy Chicagos »Woman’s Building«, sie entdeckte ein feministisch befreites Denken. Es sollte der Auftakt für ein reichhaltiges künstlerisches Werk voller tiefer Einsichten sein. Durch die ihr aktuell gewidmeten Ausstellungen lässt es sich in Fülle und Bedeutung neu erschließen.

»Durch die Zeiten Zwischen Körper und Geist«, Galerie Clement, Lotharstr. 104, 53115 Bonn, bis 31.10., Di–Fr 14–18 Uhr