Manchmal gibt es selbst im Literaturbetrieb was zu lachen: Svenja Reiner, © Anna Siggelkow

Fördern statt fordern

Ein neues Projekt untersucht erstmals die Literaturförderung in NRW

Literatur von denen, die nicht qua Geburt dafür vorgesehen sind, sie zu schreiben, stößt gerade auf großes Interesse bei denen, die die Muße haben, viel lesen können. Die Texte von Annie Erneaux etwa oder von Karosh Taha, die am 17. Juli in Köln liest (siehe S.89). »Wir drängen die Aufsteiger:innen dazu, Verrat an ihrem Milieu zu begehen, ihre Normen, Werte und Verhaltensweisen ­aufzugeben — und sich dafür zu schämen«, hat sie 2020 in der Zeit geschrieben. Taha weiß, wovon sie spricht. Nachdem sie lange nur ­einen Duldungsstatus besaß, hat sie als Lehrerin für Englisch und Geschichte in Essen gearbeitet und diesen Job nach dem Erfolg ihres ersten Romans »Beschreibung einer Krabbenwanderung« aufgegeben, um nur noch als ­Autorin zu arbeiten.

»Wie hat etwa Karosh Taha diesen Quereinstieg in den Literaturbetrieb geschafft?«, sagt Svenja Reiner. »Das ist eine interessante Frage.« Es ist eine Frage, die die Kulturwissenschaftlerin täglich beschäftigt. Reiner ist »Literaturpolitikforscherin«, wie sie selbst sagt. Und arbeitet damit daran, eine Lücke zu schließen. Denn ohne öffentliche Förderung wäre es in Deutschland für die wenigsten Menschen möglich, Literatur zu produzieren. Wer aber wie gefördert wird und welche Präferenzen und Mechanismen dem zu Grunde liegen, ist oft nicht einmal bei denen präsent, die diese Förderung konzipieren und verteilen. »Es gibt immer eine Literaturpolitik«, sagt Svenja Reiner. »Die Frage ist, ob sie gestaltet wird oder nicht.«

In einem dreijährigen Forschungsprojekt untersucht sie gemeinsam mit Son Lewandowsky die Literaturförderung in Nordrhein-Westfalen. Zuvor hatten die beiden das Festival »Insert Female* Artist« ins Leben gerufen, das besonders weibliche Autor:innen in den Vordergrund rücken wollte. Im Literaturbetrieb falle auf, dass bestimmte Gruppen kaum vorkommen, meint Reiner: »Die Frage ist dann: Wo ist der Flaschenhals? Wo wird selektiert, wo werden Chancen verbaut oder nicht genutzt?« Sind es die Schreibwerkstätten für Kinder und Jugendliche? Die Studiengänge für literarisches Schreiben? Oder die Entscheidungen der Jurys für ­Literaturpreise und Stipendien? Oder etwas ganz anderes?


Es gibt immer eine ­Literaturpolitik. Die Frage ist, ob sie gestaltet wird oder nicht
Svenja Reiner

Im Mai haben Reiner und Lewandowsky die ersten Ergebnisse ihrer Forschung vorgestellt. Ihre Befunde zeichnen ein heterogenes Bild. Weil Literaturförderung oft kommunal erfolgt, sind generelle Aussagen schwierig. »Im Mittelpunkt steht aber die Förderung von Schreibenden«, sagt Svenja Reiner. Idealerweise schreiben sie Prosa mit dem Ziel einer Romanveröffentlichung. Sie sollen ungebunden und reisefähig sein, denn viele Stipendien sind mit einem Aufenthalt an einem bestimmten Ort verbunden. Ihre Texte entsprechen dem, was von Jurys und Kritik als »Literatur« verstanden wird, denn gerade Jurys reagieren stark auf Reputation, die innerhalb des Betriebs erworben wurde. Und zum Schluss zeichnet sich diese Förderung durch ein Paradox aus: Die Schreibenden dürfen nicht darauf angewiesen sein, sondern auch ohne Förderung förderungswürdige Textfragmente produzieren.

»Die Form von Förderung stößt immer öfter an Grenzen«, sagt Reiner. Das habe man besonders in der Corona-Pandemie gemerkt. Weil Lesungen für Einkommen von Schreibenden besonders wichtig sind, sind diese Formate eins zu eins ins Digitale übertragen worden — oft in schlechter Qualität. »Die Frage ist, ob man Autor:­innen für eine andere Leistung als den öffentlichen Auftritt entlohnen kann«, sagt Svenja Reiner. ­Szenische Lesungen oder Audio-Essays seien eine Möglichkeit, eine andere sei es, die Förderung komplett von einem zu erstellenden Werk abzukoppeln.

Dabei dürfe die Förderung nicht bei den Schreibenden stehenbleiben. »Die Gewerkschaft ver.di hat einen Vorschlag für die Honorarmatrix der Kultusministerkonferenz erarbeitet, die in ­anderen Sparten auch Techniker:innen oder Garderobenpersonal einschließt«, sagt Reiner. Auch in der Projektförderung sei es wichtig, Mindestlöhne und Organisationskosten einzubeziehen.

Wie reagiert der Betrieb auf ihre Forschungsergebnisse und die Forderungen, die sich daraus ergeben? »Es ist nicht immer leicht«, sagt Svenja Reiner. Schließlich werde Kritik an Strukturen auch oft als Kritik an Personen und ihrem Lebenswerk wahrgenommen. Im Austausch bleiben sie trotzdem. Für den Herbst sind erste Workshops geplant.