Schicksalhafte Sehnsucht: Yoo Teo, Greta Lee

»Past Lives« von Celine Song

Celine Song erzählt ohne toxisches Drama von einer Liebe zwischen ­romantisch und platonisch

»Past Lives« beginnt mit einer Frau und zwei Männern, die sich in einer Bar unterhalten. Nur hören wir sie nicht reden. Stattdessen spekulieren Stimmen aus dem Off, wie die drei wohl zusammengehören: Sind es Kollegen? Dafür wirken sie eigentlich zu vertraut. Vielleicht ein asiatisches Ehepaar zu Besuch beim gemeinsamen amerikanischen Freund? Gegen Ende des Films wird sich der Kreis schließen. Wir werden bei genau dieser Szene wieder ankommen und dann nicht nur die Antwort auf die Frage kennen, sondern auch an Wissen und komplexen, teils widerstreitenden Emotionen reicher sein.

»Was für eine gute Geschichte das ist«, sinniert eine Figur in »Past Lives«, und hat recht. Zwei ineinander vernarrte Teenager aus Korea werden voneinander getrennt, weil die Familie des Mädchens nach Kanada auswandert. Nach zwölf Jahren finden sie einander über das Internet wieder, verlieren sich aber erneut aus den Augen. Es vergehen zwölf weitere Jahre bis zum Wiedersehen. Immer ist sofort das alte Gefühl von Verbundenheit wieder da. Nur dass er, Hae Sung, sich vielleicht noch immer etwas mehr erhofft und sie, Nora, mittlerweile glücklich verheiratet als Schriftstellerin in New York City lebt.

Die Regisseurin stellt die Frage, wer am Ende das Mädchen kriegt, in dieser platten Form gar nicht

»Past Lives« ist das Regiedebüt der Theaterautorin Celine Song und lässt sich am ehesten als Romantische Komödie einordnen. Das große Erfolgsgenre des beginnenden Millenniums schickt sich nach Jahren im Relevanz-Nirvana zu ­einem zaghaften, für heutige Zuschauersensibilitäten aktualisierten Comeback an. Wäre der Film in den Nullerjahren in die Kinos gekommen, hätte er womöglich von einer liebenswert-fehlerhaften Kindfrau erzählt, die hin- und hergerissen ist zwischen zwei Männern, mit einer spektakulären Kehrtwende vor der unausweichlichen Hochzeit am Ende.

Stattdessen stellt Song die Frage, wer hier am Ende das Mädchen kriegt, in dieser platten Form gar nicht. Sie hat gewissermaßen eine RomCom ohne das toxische Drama geschaffen. Stattdessen geht es um diese schöne Form von Liebe für besondere Menschen in unserem Leben, die sich irgendwo zwischen romantisch und platonisch einpendelt, dabei aber gar nicht zwingend alles verkompliziert, sondern vielmehr reicher macht. Eine kleine Utopie emotionaler Intelligenz. Auch ohne spektakuläre Gefühlsausbrüche geht es dabei um viel: Wie gehen wir mit unseren Wünschen und Prioritäten um, mit persönlichen Grenzen und Verletzlichkeiten, unseren und denen unseres Gegenübers?

Ein Wissenskrumen, den sie uns dabei mit auf den Weg gibt, ist eine koreanische Vokabel: in-yeon, was Vorhersehung oder Schicksal heißen kann. Menschen, die einander begegnen, so sagt man, müssen sich in einem vorherigen Leben schon begegnet sein. Liebhaber haben viele Dutzende Schichten in-yeon angesammelt. »Past Lives« macht diese schicksalhafte Sehnsucht nacheinander, das unausgesprochene Verlangen im geisterhaften Schein der Bildschirme bei nächtlichen Videotelefonaten, deutlich fühlbar, im Schweigen in der Leitung, wenn beiden die Worte fehlen. Als Hae Sung Nora und ihren Ehemann in New York besucht, vermittelt sich ihre ganze Gefühlspalette in den verstohlenen Seitenblicken, in unbeholfenen Körperhaltungen, nervösen Gesten, der zufälligen Berührung der Hände beim Festhalten in der U-Bahn. In »Past ­Lives« kommt zu der rein zwischenmenschlichen allerdings noch eine dezidiert migrantische Dimension des Verlangens hinzu.

Nach einer beachtlichen Welle asiatisch-amerikanischer Literatur nehmen inzwischen vermehrt auch Filme diese spezifische Sehnsucht, mitunter auch Zerrissenheit in den Blick, wie etwa der Oscar­gewinner »Everything Every­where All at Once« oder das Familien­drama »Minari«. Auch Nora sieht, wenn sie in »Past Lives« ihre erste Jugendliebe anblickt, die Möglichkeit einer alternativen Existenz in einem Paralleluniversum vor sich, wie ihre Geschichte wohl verlaufen wäre, hätte sie Korea nie ver­lassen — nur eine weitere Ambi­guität des Lebens.

Past Lives

USA 2023, R: Celine Song
D: Greta Lee, Yoo Teo, John Magaro
106 Min., Start: 10.8.