Umsonst und draußen: Stummfilm mit Live-Begleitung im Arkadenhof der Uni Bonn, Foto: Thilo Beu

»Es muss nicht immer alles ­harmonieren«

Das Köln-Bonner Duo Cellophon macht Musik für Stummfilme. Wir haben mit Cellist Tobias Stutz darüber gesprochen, wie er sich auf die Auftritte bei den Bonner Stummfilmtagen vorbereitet

Von der Kinokrise ist oft die Rede, weniger davon, dass Filmfestivals und insbesondere Filmevents mit Gästen durchaus weiterhin ihr Publikum finden. Die Internationalen Stummfilmtage Bonn sind nicht nur bekannt für ihre tolle Open-Air-Kulisse im Arkadenhof der Universität, sondern auch das Livemusik-Programm, das sowohl internationale Stars der Stumm­filmmusik anlockt, als auch jüngeren, ungewöhnlicheren En­sembles eine Plattform bietet. Zu letzteren gehört das Köln-Bonner Duo ­Cellophon, Tobias Stutz und Paul Rittel, die mit ihren beiden Celli eklektisch unterschiedliche Einflüsse in ihrer Musik verbinden. Rittel ist klassisch aus­gebildeter Cellist, hat aber auch Jazz und Pop studiert und spielt unter anderem mit einer Reggae-Band. Stutz ­arbeitet auch als bildender Künstler und macht unter anderem Musik in ­einer Hiphop-Formation.


Bei Stummfilm-Begleitung denkt man zuerst an einen Mann oder eine Frau am Klavier. Ihr seid zwei Cellisten, schränkt diese Besetzung nicht ein?

Auf einem Cello kann man zum Beispiel nicht gleichzeitig Akkord und Melodie spielen. Tobias Stutz: Da muss ich natürlich widersprechen. Mein Cello-Lehrer hat einmal gesagt, ein Klavier sei eigentlich ein kastriertes Instrument. Als Pianist kannst du die Töne nicht modellieren oder großartig ziehen wie etwa bei einem Blas- oder Streichinstrument. Natürlich kannst du auf einem Klavier viele Noten gleichzeitig anstimmen, das kann ein Cello nicht. Aber auch auf einem Cello kannst du Akkorde spielen. Dennoch ist es richtig: Die große Mehrzahl der Stummfilm-Begleitungen wird auf einem Klavier gespielt. Mit den Celli haben wir sicherlich ein Alleinstellungsmerkmal. Was für das Cello spricht: Seine Tonlage ist von allen Instrumenten der menschlichen Stimme am nächsten. Man kann also gewissermaßen durch dieses Instrument dem stummen Film eine Stimme geben und ihm damit Leben einhauchen — vielleicht mit einer anderen Intensität, als das ein Klavier könnte.

Was ist der Vorteil von zwei Celli?

So können wir auch mehrstimmig spielen — was das Klavier auch alleine kann. Es gibt in den Filmen ja oft Dialoge zwischen zwei Figuren, die können wir wunderbar nachahmen.

Wie viel improvisiert Ihr bei einer Stummfilmbegleitung?

Die meisten Stummfilmmusiker, die ich bisher erlebt habe, improvisieren sehr viel. Das ist dann mal mehr und mal weniger passend. Ich habe den Eindruck, dass wir es mit dem Cello schon schaffen, recht genau auf den jeweiligen Film einzugehen. Ungefähr 80 Prozent dessen, was wir spielen, ist wirklich einstudiert oder in Stichpunkten notiert und 20 Prozent heben wir uns bewusst auf für Improvisationen. Manchmal zitieren wir auch bekannte Melodien, wenn wir es passend finden. Das wurde ja auch schon zur Stummfilmzeit so gemacht.

Wie bereitet Ihr Euch auf ein Konzert vor?

Ich gucke mir den Film mehrmals an und schreibe mir auf, was ich mir vorstellen kann, zu den einzelnen Szenen zu spielen. Paul macht das ebenfalls unabhängig von mir. Erst danach treffen wir uns, gucken den Film zusammen und sprechen darüber. Wenn ich eine Melodie mitgebracht habe, dann denkt sich Paul eine zweite Stimme dazu aus, macht sich Notizen oder auch umgekehrt. Wir spielen uns auch mal den Ball zu: An der Stelle kannst du ja dann mal übernehmen, oder man wechselt ins Zupfen und macht dann Variationen von diesem Thema. Wenn ein Thema gut ist, schlachten wir das in allen möglichen Variationen aus.
Eine gängige Methode der Stummfilmbegleitung besteht darin, für eine bestimmte Figur ein Thema zu wählen, das immer wiederkommt, wenn die Figur zu sehen ist. Was gibt es noch für Methoden? Wir machen auch gerne Geräusche mit unseren Instrumenten. Mit einem gewissen Augenzwinkern kann man eine knarzende Tür etwa wunderbar mit dem Bogen imitieren. Da sind wir sehr experimentell, was dann für die Ohren vielleicht manchmal gar nicht so angenehm klingt, aber halt auch erfrischend ist. Es kann manchmal umso wirkungsvoller sein, wenn die Musik scheinbar gar nicht passt. Ein Schlaflied für Kinder kann unglaublich schön und beruhigend sein. Aber man kann es auch für eine Horrorszene verwenden.

Es gibt sicherlich Traditionalisten, die das, was wir mit ­Cellophon machen, ablehnen. Aber damit kann ich leben Tobias Stutz

Ich habe eben unterbrochen, wie geht Ihr weiter bei der Vorbereitung vor?

Nach dem ersten Treffen, geht jeder wieder heim und schaut sich den Film nochmal an. Man probt seine Sachen und trifft sich dann wieder. Ungefähr nach dem dritten Mal sitzt das. Man könnte jetzt auch fünfmal oder zehnmal proben, aber dadurch wird die Musik nicht unbedingt besser. Sie muss sich immer noch frisch anfühlen. Und ich finde, man sollte in so eine Aufführung auch mit einem gewissen Risiko gehen. Und während der Aufführung guckt Ihr auf die Leinwand, oder wie läuft das Timing? Ja, wir gucken meistens auf die Leinwand. Ich habe zwei DIN-A-4-Blätter vor mir, da sind meine Notizen zum Film drauf. Das ist gar nicht so viel. Das sind auch keine Noten, sondern einfach Stichworte.

Einen Timecode gibt es nicht?

Nein, es gibt schon ein paar Sachen, die man wirklich auf die Sekunde genau spielen muss: Sirenen oder eine knarzende Tür zum Beispiel, aber da weiß man, wann die kommen. Wir hören ja auch nicht abrupt auf, wenn eine Szene endet, sondern faden aus. Die meiste Filmmusik funktioniert eher atmosphärisch. Bei uns spielt der eine die Atmosphäre und der andere ist für die Aktion zuständig.

Der Film »Einladung zu einer Reise« von Germaine Dulac, den Ihr in Bonn begleiten werdet, spielt hauptsächlich in einem Nachtclub, es gibt aber auch  Fantasiesequenzen, in denen die Hauptfigur sich auf einer Schiffreise wähnt. Wie geht Ihr da vor?

Der Film arbeitet mit vielen Überblendungen. Das eignet sich gut dafür, dass dann der eine ein Thema ausklingen lässt und der andere mit einem anderen reinkommt, und das darf sich dann auch beißen. Es muss also nicht immer alles harmonieren. Das Rauschen des Meeres oder den Wind kann man wunderbar lautmalerisch nachahmen, indem man mit dem Bogen über die Seite gleitet. Man kann auch mit der Hand über die Cellodecke streichen. Das klingt dann ungefähr so, wie wenn man Schlagzeug mit dem Besen spielt.

Inwiefern bildet Ihr für das Publikum Brücken in die Gegenwart?

In dem Film zum Beispiel schmachtet die weibliche Hauptfigur in langen Blicksequenzen einen Kapitän an, den sie im Nachtclub kennengelernt hat. Das würde man heute nicht mehr so inszenieren. Kann beziehungsweise darf man da mit der Musik gegensteuern? Das ist eine wichtige Frage, die uns immer umtreibt. Man muss aufpassen, dass es nicht so rüberkommt, als würde man sich über den Film lustig machen. Aber aus heutiger Sicht lacht man halt in bestimmten Szenen, bei denen man vor 100 Jahren nicht gelacht hätte. Das Frauenbild in diesen Filmen ist natürlich teilweise  sehr fragwürdig. Ich finde, da darf man dann schon auch mit einem Augenzwinkern etwas total Schnulziges oder aus der Zeit Gefallenes spielen. Aber wir müssen immer aufpassen, dass wir mit Respekt an die Sache herangehen. Das ist eine Gratwanderung. Und es gibt sicherlich Traditionalisten, die das, was wir mit Cellophon machen, ablehnen. Aber damit kann ich leben.

Cellophon bei den Bonner Stummfilmtagen:

Fr 11.8.: »Einladung zu einer Reise« (1927) von Germaine Dulac, 23 Uhr
Di 15.8.: »Mit Schlitten und Rentier in Inka Läntas Winterland« von Erik Bergström, 21 Uhr

Nähere Infos: internationale-stummfilmtage.de

Stummfilmbegleitungen von Cellophon im Stream: eyefilm.nl
(im Suchfeld »cinema fashionista« eingeben)