Was verbirgt diese Frau? Sabine Schiffner in vermeintlicher Vorstadtidylle, Foto: Lisa Sanat

Auf Messers Schneide

Die Kölner Autorin Sabine Schiffner erzählt in ihren Texten von Frauen am Scheideweg. In ihrem aktuellen Roman »Nachtigallentage« wird die Kölner Vorstadtidylle von einem Mord erschüttert

Etwas seltsam finde sie es schon, erzählt Sabine Schiffner, dass sie neuerdings auf Lesungen von Männern gefragt werde, ob sie wegen des Messers nun bei ihr vorsichtig sein müssten. Dabei ist es nicht Schiffner, sondern ihre Protagonistin Sigune, die einen toten Ehemann im Keller versteckt hält. Eigentlich wollte Sigune nur das zu scharfe Küchenmesser entsorgen — als ihr Mann Andreas plötzlich tot im Hausflur liegt. In ihrem aktuellen Roman »Nachtigallentage« erzählt die Kölner Autorin Sabine Schiffner ebenso amüsant wie tiefgründig von einem Gattenmord und der Täterin, die ungeschoren davonzukommen scheint.

Bis zur Mordnacht führt Sigune ein unscheinbares Leben. Sie ist Mitte dreißig, seit sieben Jahren mit Andreas verheiratet und Mutter zweier Kinder. In einem Vorstadtidyll von Köln hat sie sich mit Haus und Garten einen kleinen Zufluchtsort geschaffen. Doch unter der Oberfläche zerreißt Sigune die eigene Unzulänglichkeit. »Warum hat sie nur so oft das Gefühl, alles falsch zu machen?« Die Beziehung zu Andreas ist unglücklich, als Ehemann und Vater ist er kaum anwesend. Sie selbst ernährt die Familie mit Gelegenheitsjobs als Lektorin. Durch das Ritzen ihrer Arme trägt Sigune den Schmerz nach außen — bis sie eines Tages das Messer gegen ihren Mann richtet. Freunden und Familie sagt sie, Andreas sei nach Berlin gegangen. Erzählt wird Sigunes Geschichte als Geständnis an ihre neue Liebe, einen Polizisten, den sie nach Andreas’ Verschwinden kennenlernt. Die Nachtigall, heißt es im Volksmund, verkünde als Symbol der Liebe den Frühling, bei Schiffner beginnt der Frühling ihrer Protagonistin mit einem Mordfall.

Dass das Buch als Krimi rezipiert wird, war mir zuerst ein bisschen peinlich Sabine Schiffner

»Ich habe das Buch eigentlich überhaupt nicht als Krimi geschrieben. Dass es jetzt in den Kritiken so rezipiert wird, war mir zuerst auch ein bisschen peinlich«, gesteht Schiffner. Entstanden sei die Idee zum Roman nämlich in Gesprächen mit Freundinnen über die Unzufriedenheit der Rollen­aufteilung in den eigenen Familien. »Wir waren alle Akademikerinnen, wir hätten eigentlich auch mit Familie weiterarbeiten wollen, aber viele von uns konnten es nicht, weil die Männer ihre Arbeit nicht aufgeben wollten und sich wenig zuhause beteiligten.«

Nach Köln kommt Schiffner Mitte der 80er Jahre aus ihrer Geburtsstadt Bremen, um Theaterwissenschaften, Germanistik und Pädagogik zu studieren. Nach ihrem Abschluss arbeitet sie zunächst als Regisseurin am Theater, später auch als Lektorin, Übersetzerin und Dozentin. »Es ist ja nicht so, als wenn ich damals schon gewusst hätte, dass ich Schriftstellerin werden will. Ich wollte Regisseurin werden.« Gedichte habe sie allerdings schon seit ihrer Jugend geschrieben. »Bei mir hat das Schreiben auch immer ganz viel mit Musik zu tun.« Oft setze sie sich während des Schreibens ans Klavier, spiele und schreibe weiter. Auch bei der Arbeit an ihrem aktuellen Roman habe sie das Nachtigallenlied immer im Hinterkopf gehabt.

Doch bevor Schiffner ihren ersten Gedichtband »Besteck im Kopf« 1994 im Emons-Verlag veröffentlichte, sei es ihr langjähriger Freund, der Dichter Norbert Hummelt gewesen, der sie überredet habe, erstmals eigene Texte vorzutragen. »Die Anfänge meines Schreibens war die Autorenwerkstatt hier in Köln.« Die 1980 durch eine Flugblattaktion von Student:innen gegründete Kölner Autorenwerkstatt ist ein bis heute existierendes Netzwerk für angehende Autor:innen. Dort habe Schiffner das Schreiben erlernt und sich mit Schriftsteller:innen wie Marcel Beyer, Dieter M. Gräf oder Ute-Christine Krupp ausgetauscht. Das wäre in ihrer Heimatstadt Bremen nicht möglich gewesen, meint die Autorin. »Köln ist für mich absolut eine große literarische Stadt.« Hier werde sie von vielen bedeutenden Schriftsteller:innen inspiriert: Direkt um die Ecke ihrer Wohnung befindet sich das Geburtshaus von Heinrich Böll, auf ihrer Straße hat sich Edith Stein im Kloster vor den Nazis versteckt und in Braunsfeld lebte sie viele Jahre schräg gegenüber des ehemaligen Wohnhauses von Irmgard Keun, erzählt sie.

Braunsfeld ist nicht zufällig auch der Schauplatz ihres neuen Romans, irgendwann zu Beginn der 2000er Jahre. Biografische Bezüge hätten zwar all ihre Arbeiten, sagt Schiffner, trotzdem versuche sie, eine konkrete Verwechslung mit ihrer Person zu vermeiden. Und so wird die eigene Mutterschaft — anders als für ihre Protagonistin Sigune — für Schiffner Mitte der 90er Jahre zum Antrieb des kreativen Schaffens. »Für mich als Schriftstellerin war die Mutterschaft wirklich der Auslöser, richtig durchzustarten. Da bin ich erst zu mir gekommen. Als die Kinder zur Welt kamen, hat es irgendwie etwas ausgelöst. Das war ein Wirbel, der in der Nacht der Geburt meines ersten Kindes begann und nicht mehr aufgehört hat.« Es verwundert nicht, dass dieser Wirbel das Mutter-Sein als literarisches Motiv durch Schiffners gesamtes Werk trägt.

Bereits in ihrem hochgelobten Debütroman »Kindbettfieber«, der 2005 im S.Fischer-Verlag erschien, portraitiert sie die Lebensrealität von vier Bremer Frauen im 20. Jahrhundert. Über mehrere Generationen erzählt sie von Müttern und Töchtern, vom Mutter-Sein und Mutter-Werden zwischen Pflichtbewusstsein und Emanzipation. Dass die jüngste Frauenfigur ihres ersten Romans denselben Namen wie die Hauptfigur in Schiffners aktuellem Buch trägt, sei kein Zufall, sagt sie, sondern eine bewusste Fortschreibung der Geschichte. Denn ihre Romane seien immer auch Entwicklungsromane: »Es geht darum, als Frau stark zu sein, ein eigenes Leben zu haben und sich unabhängig zu machen, auch vom männlichen Denken.« Veröffentlichen wollte der Verlag den Roman »Nachtigallentage«, an dem Schiffner bereits nach Erscheinen von »Kindbettfieber« zu schreiben begann, trotzdem nicht. »Es passte nicht in die Zeit.« Damals habe es noch kein literarisches Publikum für die gegenwärtigen Belange und Probleme von Frauen und Müttern gegeben. Der Verlag riet ihr stattdessen, noch einen historischen Roman zu schreiben, was die Autorin ablehnte. Weitere Gedichtbände folgten.

Doch auch mit dem aktuellen Roman ist die Geschichte von Sigune noch nicht zu Ende, verrät Schiffner. Immer wieder liegt das Schicksal der Protagonistin auf Messers Schneide, doch mit viel Glück scheint sie den Konsequenzen ihrer Tat zu entkommen. Gebannt folgt man Schiffners eigenwilliger Frauenfigur, die sich fast unbemerkt aus ihrem gesell­schaft­lichen Korsett als Ehefrau und Mutter befreit. »Ich will keine deprimierenden Geschichten schreiben, sondern zeigen, dass eine Frau aus eigener Kraft ihr Leben besser machen und glücklich sein kann.« Mit »Nachtigallentage« hat Sabine Schiffner ein kleines literarisches Kunstwerk geschaffen, das von großen gesell­schaft­lichen Themen erzählt.

Lesung

Di 1.8., Lesebühne am Neumarkt. 17 Uhr, Eintritt frei

Roman

Sabine Schiffner: »Nachtigallentage«
Quintus, 200 Seiten, 22 Euro