Die Täter kamen aus dem Ort: Gerhard Wolff vor dem evangelischen Jugendtreff in Worringen, Foto: Mark Muehlhaus

Verdrängt und vergessen

Die 90er Jahre waren von rassistischer Gewalt gekennzeichnet. Köln bildet dabei keine Ausnahme. Wir erzählen die Geschichte zweier unaufgeklärter Brandanschläge, an die sich heute kaum noch

jemand erinnert — oder erinnern mag?

Hoyerswerda, Mölln, Rostock und Solingen — das sind die Orte, die für rechte Gewalt in den 90er Jahren stehen. Wir erinnern uns an sie, weil Hinterbliebene und ihre Unterstützer:­innen sie vor dem Vergessen bewahrt haben. Auch in Köln gab es in den 90er Jahren einen Anstieg rechter Aktivitäten und rassistischer Gewalt, aber viele der Taten sind heute nicht mehr bekannt. Nach dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen wurde im Oktober 1992 in Köln eine »Ermittlungsgruppe für fremdenfeindliche Straftaten« eingerichtet. In den ersten beiden Monaten wurde bereits in rund 110 Strafverfahren gegen 61 Tatverdächtige ermittelt. Anfang 1993 stieg die Zahl auf 30 Angriffe täglich. Heute können nur noch Überlebende oder damals politisch Aktive von diesen Angriffen berichten.

Einer von ihnen ist Gerhard Wolff. Im Rahmen des Foto-Workshops »Orte rechter Gewalt in Köln« hat er über einen dieser vergessenen Angriffe gesprochen: Den Brandanschlag auf ein Wohnhaus in Worringen im Jahr 1993. In der Nacht vom 4. Februar hatten unbekannte Täter drei Einfamilienhäuser, die von Aussiedler:innen und einer türkischen Familie bewohnt waren, angezündet. In einem der Häuser breiteten sich die Flammen aus, und versperrten zwei Dutzend Hausbewohner:innen den Fluchtweg. »Überall Rauch. Das Treppenhaus brannte. Ich hatte Angst, die Gasheizung würde explodieren«, beschrieb der Sohn der Familie im Kölner Stadt-Anzeiger seine Erlebnisse. Die Familie konnte sich lediglich über den Balkon retten, drei Personen erlitten schwere Verletzungen. An die Fassade des Hauses hatten die Täter »Ausländer raus« und Hakenkreuze gesprüht, seitens der Polizei gab es »kaum Zweifel, daß der Anschlag einen fremdenfeindlichen Hintergrund« hatte. Aber die hinterlassenen NS-Symbole und die rassistischen Parolen waren fast alle falsch — seitenverkehrt oder mit Schreibfehlern. Daraus schlossen die Ermittlungsbehörden, dass die Täter nicht zu einer straff organisierten rechtsextremen Gruppe gehörten. Die Betroffenen leben heute nicht mehr in Worringen, die Häuser stehen noch.

Gerhard Wolff war damals als Jugendleiter in der evangelischen Gemeinde aktiv. »Wir ­haben zwei Wochen lang in Wechselschicht Nachtwache vor dem Haus gehalten, damit die Familien schlafen können«, erzählt er. Zwei Wochen vor dem Anschlag hatte er Schicht im evangelischen Jugendzentrum, wo er von einer Gruppe Neonazis mit einer Waffe bedroht wurde, sie hatten vor der Tür andere Jugendliche angepöbelt und rechtes Propagandamaterial verteilt.

Kurz nach dem Anschlag gab es in Wor­ringen Kundgebungen und Aktionen gegen rassistische Gewalt. »Die Welle der Hilfsbereitschaft ist groß«, sagte der im Jahr 2021 ver­storbene Pfarrer Wolfgang Rosemeier der evangelischen Gemeinde damals. Bereits am Tag nach dem Anschlag waren sich viele Worringer einig: Da die Häuser völlig unauffällig aussahen, müssen die Täter aus dem Stadtteil stammen. Schon in den Wochen vor dem Anschlag waren in Worringen verstärkt Naziaufkleber und Sprühereien aufgetaucht. Es war auch bekannt, dass zwei von vier Söhnen einer im Dorf lebenden Familie in der extrem rechten »Deutschen Liga für Volk und Heimat (DLVH)« aktiv waren. Die DLVH wurde 1991 gegründet, und positionierte sich rechts von den Republikanern, aber moderater als die NPD.

Zu den Gründungsmitgliedern gehörte auch Markus Beisicht, der spätere Vorsitzende von »Pro NRW«. Aufsehen erregte die DLVH, als Mitglieder im Jahr 1993 in Köln auf öffentlichen Plakaten ein Kopfgeld von 1.000 Mark auf eine von Abschiebung bedrohte, untergetauchte Roma-Frau aussetzten. Presserechtlich dafür verantwortlich zeichnete der damals zwanzigjährige Herausgeber der DLVH-Schülerzeitung Der Hammer, Michael S. aus Köln-Worringen. Kritiker nannten die Zeitung ein ausländerfeindliches »Hetzblatt«, die Redak­tionsadresse war das Worringer Elternhaus. Sein Bruder Daniel S. war damals Landesvorstand der DLVH. Im Dorf waren die politischen Aktivitäten der beiden jungen Männer bekannt, ihre Familie tolerierte diese.

Worringen stand mit seinen damals 9600 Einwohner:innen exemplarisch für die sich frisch als »bundesdeutsch« gerierende Gesellschaft. Pfarrer Wolfgang Rosemeier berichtete, dass einem Polizisten nach dem Anschlag in Kneipen eine Welle von Fremdenhass entgegengeschlagen sei. Es seien Sätze gefallen wie: »Das mit den Brandsätzen ging zu weit, aber …«.  


In Worringen waren sich viele einig: Die Täter müssen aus dem Ort stammen

Der Pfarrer galt als umstritten, weil er damals sagte: »Fremdenfeindlichkeit gibt es schon lange in Worringen.« Lange verleugnete soziale Spannungen seien zum Tatzeitpunkt lediglich »für alle sichtbar in einem versuchten Mord« hervorgebrochen, so Rosemeier. Manche meinten gar, ein »Kreis um Rosemeier« habe mit dem Aufkleber »Nazi-freie-Zone«, den sie in Worringen verteilten, den Brandanschlag erst heraufbeschworen. Im Jahr 2023 auf den Anschlag angesprochen, hören wir bei unseren Workshop-Recherchen vor Ort: »Wir waren hier immer für die Flüchtlinge.« Der Anschlag konnte bis heute nicht aufgeklärt werden.

Knapp ein Jahr später, am 26. Januar 1994, wurde in einer Einrichtung für Wohnungslose in Humboldt-Gremberg Feuer gelegt. Dort war damals auch eine bosnische Romafamilie untergebracht,die ein halbes Jahr zuvor aus dem Bürgerkriegsgebiet geflohen war. Das Feuer verbreitete sich durch den Einsatz von Brandbeschleunigern schnell über den gesamten Flur. Fünf Personen kamen mit schwersten Verbrennungen und Rauchvergiftungen ins Krankenhaus, zwei Personen starben in den darauffolgenden Wochen an ihren Verletzungen. Bei dem Feuer wurden die Papiere der aus dem bosnischen Kriegsgebiet geflohenen

Familie bis auf einen Führerschein vernichtet. Als sie ihre Identität bei der Stadt Köln nicht durch Vorlage von Ausweispapieren nachweisen konnte, wurde ihr eine Ausreiseaufforderung vorgelegt. Gegen einen Deutschen, der öfter in der städtischen Notunterkunft übernachtete, bereits mit rassistischer Hetze aufgefallen war und gedroht hatte, einen Brand zu legen, wurde ermittelt. Nachdem der interkulturelle Verein Rom e.V. Vorwürfe erhoben hatte, dass zum Tatzeitpunkt keine Feuerlöscher im Haus gewesen seien, wurde auch die Rolle von städtischen Brandschutzbeauftragten des Wohnungsamtes vor Gericht verhandelt. Es konnten keine Verantwortlichen ermittelt werden, der Anschlag ist bis heute nicht aufgeklärt. Alle Angeklagten wurden wegen unzureichender Beweise freigesprochen.

Seit Ende 2022 prüft das LKA NRW 25 Fälle aus den vergangenen 40 Jahren, bei denen 30 Personen starben. Hier stehen laut LKA Fälle im Fokus, »bei denen eine Diskrepanz zwischen der polizeilichen Nicht-Erfassung als Todesopfer rechter Gewalt und einer gegenteiligen Bewertung der Öffentlichkeit vorliegt«. Ziel ist es, die Gesamtzahl der Todesopfer rechter Gewalt in NRW (ToReg NRW) zu ermitteln. Der Brandanschlag von Köln-Worringen fällt nicht darunter, der antiziganistische Brandanschlag in Humboldt-Gremberg könnte nachträglich als rechtsmotivierter Mord bewertet werden. Neue Ermittlungen würden ­jedoch nicht aufgenommen, sagt die Staatsanwaltschaft Köln: »Das ist quasi ein statistisches Forschungsprojekt.« 

Die Autorin ist Mitarbeiterin der Ausstellung »Un|sichtbarer Terror — Orte rechter Gewalt in Deutschland«, EL-DE Haus, 13.8.; Di–Fr 10–18 Uhr, Sa/So 11–18 Uhr