Mit immer neuen Eruptionen und vielen zärtlichen Momenten ist Aki Takases Klavierspiel jedesmal ein Ereignis, Foto: Frank Siemer

Mit Humor, Freude und ­Experimentierlust

Es ist jedes Mal ein magischer Moment: Wenn sich die heute 75-jährige ­japanische Jazzpianistin Aki Takase an den Flügel setzt und zu spielen beginnt, scheint die Musik abzuheben und sich

im ganzen Raum zu verteilen

Geboren 1948 in Osaka, begann Aki Takase bereits mit drei Jahren, Klavier zu spielen, es folgte eine klassische Ausbildung an der Musikakademie in Tokio. 1968 ging sie gemeinsam mit anderen Studierenden gegen den Vietnamkrieg auf die Straße, der Soundtrack dazu war Jazz, den sie in den damals populären Jazzcafés Tokios hörte. Besonders die Aufnahmen von Albert Ayler, Sun Ra und Charles Mingus ließen sie nicht mehr los, diese freie, energiegeladene, auch zornige, aufwühlende Musik. Danach spielte sie tagsüber Ravel und Brahms und nachts freien, losgelösten Jazz.

»Ich war 22 Jahre alt und habe in Tokio Klassik studiert«, so Takase. »An meiner Hochschule gab es private Jazzkurse und Jam-­Sessions, von denen die Professoren aber nichts wussten. Damals gab es Jazzcafés in Tokio, mit ­riesengroßen Lautsprechern, um Schallplatten zu hören. Meistens Straight-Ahead-Jazz, Oscar Peterson, Stan Getz usw. Ich war aber immer in einem Café, in dem die Musik von Albert Ayler und Carla Bley gespielt wurde. Als Arrangeurin ist Carla Bley mein Idol. Ich habe Avantgardemusik gehört, neben Ayler und  Bley mit dem Liberation Music Orchestra vor allem Mingus, Sun Ra, Ornette Coleman und Eric Dolphy. An Mainstream war ich nicht interessiert. So habe ich langsam angefangen, mich in die Musik hineinzuhören und zu verlieben. Ayler und Mingus zu hören, war ein Schock: So eine Energie, so ein brennendes Gefühl. Auch Paul Bley war wichtig. Er hat so delikat gespielt.«

Auch der später als Schriftsteller weltbekannt gewordene Haruki Murakami betrieb als  Enthusiast ein Jazzcafé in Tokio, das Peter Cat. »Murakamis Jazzcafé war eine Art Kneipe, wo man auch essen konnte und Jazzplatten aufgelegt wurden«, erinnert sich Takase. »Einmal pro Woche hat er auch eine Session organisiert und mich eingeladen, dort zu spielen. Zu dieser Zeit hat er als Übersetzer gearbeitet und war als Schrift­steller noch nicht bekannt, das war Mitte der 1970er Jahre.«

Es sei, so Takase weiter, damals nicht einfach gewesen, Platten zu kaufen, sie mussten extra bestellt werden. Zu dieser Zeit habe es etwa 50 bis 60 dieser Jazzcafés in Tokio gegeben, vor allem im Stadtteil Shin Yuku. US-amerikanischer Jazz war das Vorbild. Sie erinnert sich an ein Konzert von Miles Davis in Tokio, das sie begeistert hat. Auch Weather Report und Sonny Rollins hörte sie live. Eine Möglichkeit, mit amerikanischen Jazzmusiker*innen zu ­spielen, war das Sanno Hotel: »Das Sanno war nur für amerikanische Gäste, nicht für japanisches Publikum. Viele Offiziere wohnten dort und einmal pro Woche haben amerikanische Jazzmusiker*innen dort gespielt — wie Carmen McRae, das Stan Kenton Orchestra oder Peter Erskine. Ich wurde auch dort engagiert und habe so schon in Japan mit vielen amerikanischen Musiker*innen gespielt — wie mit Joe Chambers, auch mit Lester Bowie und dem Art Ensemble of Chicago, die ich auf ihrer ­Japan-Tournee begleitet habe.«


Ayler und Mingus zu hören, war ein Schock: So eine ­Energie, so ein ­brennendes Gefühl

Später reiste sie durch die USA und lebte zeitweise in New York. Es folgten Aufnahmen und Konzerte mit Dave Liebman, John Zorn, mit Bowie, Sheila Jordan, Cecil McBee und Miroslav Vitouš. Im November 1981 gab sie ihr erstes Europakonzert in der Berliner Philharmonie bei den Berliner Jazztagen. Für einen Japan-Schwerpunkt waren der künstlerische Leiter George Gruntz und der Plattenproduzent Horst Weber nach Tokio gereist, um die damals 33-jährige Pianistin zu hören. ­Dieses Konzert mit ihrem japanischen Trio ist auf dem 1982 erschienenen Album »Song For Hope« (enja/edel) zu hören, einem intensiv verdichteten, hymnisch melodischen Debüt, das ab dann zu Europa-Tourneen führte.

1987 lernte Takase über einen Kompositionsauftrag für das Berlin Contemporary Jazz Orchestra ihren späteren Ehemann und musikalischen Partner Alexander von Schlippenbach kennen, seitdem lebt sie in Berlin. Ab 1988 begann sie ihre fortlaufende Reihe intensiver Duo-Projekte mit Maria Joao, von Schlippenbach, David Murray, Rudi Mahall, Louis Sclavis oder Han Bennink.

Mit ihrer Spielpraxis und ihren Aufnahmen hat sie in den vergangenen 40 Jahren den deutschen, europäischen und internationalen Jazz geprägt, auch als Dozentin und Gastprofessorin an der Berliner Universität der Künste und der Hochschule für Musik Hanns Eisler, wo sie junge Musiker*innen unterrichtet hat, die heute  einflussreich in der Szene Jazz weiterentwickeln — wie zum Beispiel den Trompeter Till Brönner, die Pianistin Julia Hülsmann oder die Saxofonist*innen Silke Eberhard und Daniel Erdmann.

Takase war stets daran interessiert, ihre Musik über das Klavierspiel hinaus zu erweitern. Sie setzt ihren ganzen Körper ein und bespielt den gesamten Korpus des Flügels. Sie hat Ping Pong-Bälle auf den Saiten zum Springen ­gebracht und die performative Erweiterung der künstlerischen Idee des Fluxus in ihr Spiel integriert. »Ich hatte bereits in Japan angefangen, mit präpariertem Klavier zu experimentieren«, erinnert sie sich, »doch ich wollte mich nicht im Voraus durch Präparationen festlegen, sondern es gerne spontan machen — deswegen die Ping Pong-Bälle. Dann entstehen spontane Klänge, mit denen ich spielen und auf die ich reagieren kann.«

Takase hat die Musik der afroamerikanischen Altvorderen des Jazz, Duke Ellington, Thelonious Monk, W.C. Handy, Eric Dolphy und Fats Waller oftmals neu- und re-interpretiert — ein fulminantes, funkensprühendes, großartiges, beeindruckendes Ereignis. Das ­Album »Plays Fats Waller« (enja/edel) mit Eugene Chadbourne ­(Gitarre), Nils Wogram (Posaune), Rudi Mahall (Bassklarinette) und Paul Lovens (Drums) wurde mit dem »Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik« ausgezeichnet. Weitere Projekte sind Lok.03 mit von Schlippenbach und ihrem Stiefsohn DJ Illvibe aka Vincent von Schlippenbach, ihr Trio Auge mit Christian Weber und Michael Griener, das Duo Klang & Texte mit der Schriftstellerin Yoko Tawada, »Die Stadt im Klavier« mit der Tänzerin Yui Kawaguchi, das H.A.L. Trio mit Han Bennink und Louis Sclavis und »Carmen Rhapsodie« mit der Opernsängerin Mayumi Nakamura, dem Cellisten Vincent Courtois und dem Sax­o­fonisten Erdmann.

Mit ihrem Humor, ihrer Neugier und Experimentierfreude, hat sie ihr Spiel vom Modern Jazz zur freien Form entwickelt. Niemand vermag es wie sie, in atemloser Schnelligkeit, wie eine Collage der gesamten Jazzgeschichte, Zitate und Motive des Swing, Bebop und Stride virtuos in ihr Spiel einzuweben, zu überlagern, zu fragmentieren und in eine neue Form zu bringen. Mit immer neuen Eruptionen und vielen zärtlichen Momenten bleibt ihr Spiel jedesmal ein Ereignis.