Pfeifend am Broadway: Jeanette Baroness Lips von Lipstrill, Foto: Melike Benli/pexels

Drauf gepfiffen!

Jeanette Baroness Lips von Lipstrill war Österreichs letzte Kunstpfeiferin — und eine beeindruckende Persönlichkeit

Die »Tritsch-Tratsch-Polka« von Johann Strauß Sohn und die »Bacarole« von Jacques Offenbach — das waren ihre bekanntesten Stücke. Auf den Bühnen der Welt gab sie diese zum Besten, allerdings nicht mit der üblichen Instrumentalisierung, sondern gepfiffen: Jeanette Baroness Lips von Lipstrill war eine Virtuosin im Dienste einer, in Österreich durchaus verbreiteten Kunstform. Bereits zur Zeit der Schrammel-Brüder am Ende des 19. Jahrhunderts traten in den Wiener Varietés, Cabarets und Volks­bühnen Kunstpfeifer*innen auf, gemeinsam mit dem Schrammel-Quartett etwa Baron Jean, in dessen Tradition sie sich — die Ähnlichkeit der Namen verrät es bereits — durchaus sah.

Doch von vorne: Geboren wurde Jeanette Baroness Lips von Lipstrill am 6. November 1924 als Rudolf Schmidt im böhmischen Wallern. Nach einer Ausbildung zum Fotograf folgte die Einberufung in die Wehrmacht, aufgrund einer Bauchtyphuserkrankung dann die vorzeitige Entlassung aus dem Militärdienst, und schließlich — hier bricht die Geschichte zum ersten Mal: der Beruf als sogenannter »Damenimi­tator« in München. Die Nummer war erfolgreich: Die Künstlerin, die sich nun zum ersten Mal

Jeanette nannte, begann durch Europa zu touren, sogar bis nach Teheran, um vor dem damaligen Schah und dessen Ehefrau auf­zutreten. Doch weil das spärliche Kostüm dort kurz vor Beginn des Tanzauftritts verboten wurde, schwenkte Jeanette kurzerhand um — und pfiff etwas.

Für die Künstlerin war dies der Durchbruch. In den folgenden Jahren tourte Jeanette Baroness Lips von Lipstrill als Kunstpfeiferin mit Frank Sinatra, Edith Piaf, Marlene Dietrich und Josephine Baker durch die Welt, ihr Hauptwohnsitz: Kairo. Dort erlebte sie ihre Transition, stark und mutig, denn nicht nur auf der Bühne, sondern auch in ihrem eigenen Leben pfiff die Künstlerin auf gesellschaftliche Zwänge. »Ich pfeife mich durchs Leben, bis ich tot umfalle«, sagte sie, fast 80-jährig, als sie nach dem Ende ihrer Karriere gefragt wurde. Gestorben ist die große Ausnahmekünstlerin, die nicht mehr als ihre Lippen und die Luft zum Atmen brauchte, um eine Kunst bis zur Per­fektion zu treiben, nur ein Jahr später in ihrer letzten Wohnung in Wien-Leopoldstadt an einer Grippeerkrankung.