»Standortmitte« 2008, in Köln (li) und Bonn (re), Foto: Atelier Lutz Fritsch

Drüber, drunter, knapp vorbei

Lutz Fritsch, Standortmitte, Bonner Verteiler

Viele dürften sie kennen, die dünne rote Säule. Jedenfalls alle, die sich schon mal mit dem Auto von Bonn nach Köln bewegt haben — oder andersrum. Die Autobahn 555, die beide Städte verbindet, endet in je einem Kreisverkehr, auf dem wiederum je eine Säule steht. »Standortmitte«, wie der Kölner Bildhauer Lutz Fritsch seine Doppel-Skulptur entlang Deutschlands ältester Autobahn nannte, steht dort seit 15 Jahren: auf den von Grünflächen umgebenden Mitten der Kreisel, um die sich täglich viele Autos drehen. Der Kreisverkehr als hochfunktioneller Ort, der aber in seiner Mitte Freifläche bietet, ist die optimale Heimat für die je 50 Meter hohen und 90 cm durchmessenden Säulen. Ein Kunstwerk, das sowohl auf- und unauffällig zugleich ist, ins Auge sticht oder übersehen wird. Wie eine riesige Nadel erinnert sie an jene auf Landkarten, die erzählen: da war ich schon oder da möchte ich hin. In Köln weist sie ganz allein unaufdringlich spektakulär in den Himmel. Fährt man kein Auto, bekommt man die Skulptur eher weniger

zu Gesicht. Das kann sich nun ändern — zum Missfallen von Fritsch und Kunstkritiker*innen, kann sich das nun ändern, denn... die Stadt Köln hat sich für den Bau ­einer Brücke über den Kreisverkehr entschieden, in sieben bis zehn Meter Höhe direkt vorbei an »Standortmitte«. Über die Brücke soll die geplante Stadtbahn Süd fahren, um die Vororte Rondorf und Meschenich an das Straßenbahnnetz anzubinden. So werden womöglich in Zukunft hunderte Menschen aus Straßenbahnfenstern die Säule aus unmittelbarer Nähe sehen, während der intendierte Eindruck — und die Parallelität zum Pendant in Bonn — zerstört wird. Laut der Website der Stadt Köln ist der Entscheid für den Verlauf der Straßenbahn über den Kreisverkehr der »beste Kompromiss« zu Gunsten des Schutzes von Trinkwasser und Grün­flächen, räumt aber ein, dass »das urheberrechtlich geschützte Kunst­werk ›Standortmitte‹ mit den Skulpturen und Grünflächen auf den Verteilerkreisen […] durch den Bau der Brücke direkt betroffen« ist. Alternativen, die unter dem Kreisverkehr oder in einem großen Bogen herumgeführt hätten, wurden verworfen. »Standortmitte« wird so plötzlich zu ­einem Konfliktherd »Kunst vs. Gemeinwohl«, ohne je Schaden verursacht zu haben. Um das zu lösen, stehe man im Kontakt mit Fritsch, heißt es auch. Zu welchem Ergebnis dieser Kontakt führen mag, bleibt abzuwarten. »Standortmitte« wird sich schon bald verändern, also vielleicht doch bei einer nächsten Fahrt durch den Kreisverkehr eine extra Runde drehen?