Schöne Grüße von die Füße

Cocktailschirmchen zwischen den Zehen

Materialien zur Meinungsbildung

Erinnert sich noch jemand an die »Flugscham«? So lang ist das noch gar nicht her, doch hat sich die Flugscham schon zu den anderen ausrangierten Wörtern wie Bandsalat, Flimmerkiste und Gurtmuffel gesellt. Die Scham ist ohnehin ein Gefühl, gegen das man sich heute abhärtet. Allenfalls als »Fremdscham« tritt sie auf, aber das ist etwas ganz anderes, denn die dient bloß dazu, sich vor anderen mit einer vorgeblich vornehmen Empfindsamkeit zu adeln. Nur für andere, nicht für uns selbst, können wir uns noch schämen. Die Scham erscheint unzeitgemäß wie ein Beichtstuhl. Wir alle haben schließlich unsere Gründe, Versprechen zu brechen, Absprachen zu missachten oder an unseren Ansprüchen zu scheitern; und die Gründe sind stets irgendwie ungünstige Umstände, die »Strukturen« und gern auch die anderen Menschen.

Die Flugscham kam mir wieder in den Sinn, als ich Urlaubspost las. Früher landeten diese Grüße auf einer Postkarte im Hausbriefkasten, heute kommen sie per Messenger direkt bimmelnd in die Hose. Es ist etwas aufdringlich. Ich vermisse die behäbigen, dezenten Postkarten. Bald werden sie abgeschafft. Das Bestreben, zeitgemäße Postkarten zu entwerfen, gilt ja als gescheitert. Gruppierten sich in alten Zeiten noch Fotos von Sehenswürdigkeiten um ein stolzes Stadtwappen, wurde auch diese Kommunikationsform zuletzt von der üblichen Ironie durchsetzt: Als Motiv diente nun Unbedeutendes und Abseitiges — was dem Empfänger vermittelte, dass der Schreiber keinen touristischen, sondern einen individuellen, zudem kritisch-distanzierten Blick auf Städte und Landschaften warf. Der Tourist wollte mit Tourismus nichts mehr zu tun haben — wenngleich auch diese Jux-Karten touristische Konfektionsware waren.

Nun sollte man annehmen, dass der Blick auf die Reiseziele durch das Handy tatsächlich individueller geworden sei. Die Urlaubsgrüße zeigen ja nicht mehr die Sehenswürdigkeiten an sich, sondern die Weise, wie sich der Tourist diese mit einer persönlichen Betrachtung aneignet: die viel zu lange Schlange vor dem Petersdom, der bedenkliche Zustand thailändischer Fähren, die kitschigen Souvenirs vom Eiffelturm, die söderesken Fleischportionen auf den Tellern eines fränkischen Wirtshauses. Motive, die kein Fremdenverkehrsamt in der Nähe des Stadtwappens dulden würde.

Aber noch etwas anderes fällt mir auf: Die Menschen halten neuerdings immer ihre Füße ins Bild! Ja, schickt sich das denn? Denke etwa nur ich sogleich an Platt-, Senk-, Spreiz- und Schweißfuß? Selbst bei schönen Menschen, sind deren Füße ja selten so schön wie der Rest. Die Füße im Bild sollen aber die erfolgreich bewerkstelligte Relaxtheit belegen. »Schaut mal, ich hab’s geschafft, ich chille! Viele Urlaubsfüße aus Slowenien!« Hallux aus Holland, Spreizfuß aus Slowenien — mein Handy ähnelt dem eines Podologen in der Telemedizin. Ich will meine Postkarten zurück! Womit hab ich das verdient? Ist gar der Stinkefuß der neue Stinkefinger?

Als ich mich bei Tobse Bongartz (Cocktailschirmchen zwischen den Zehen, Kreta)  beschwerte, erhielt ich zur Antwort, Postkarten seien »so ein voll piefiges Boomer-Ding« und außerdem sei ein Urlaubsgruß per Handy »klimaneutraler«. Da zogen sich mir die Zehennägel hoch! Das von einem Flugreisenden gesagt zu bekommen, ist nun wieder etwas, für das ich mich verdammt noch mal sogar fremdschämen könnte — wenn ich mich denn über andere aufregen wollte, um selbst besser dazustehen; was zugegebenermaßen manchmal ganz erhebend sein kann.