Performerin Céline Bellut: Ungehorsam erkunden, © Hans Diernberger

»Was machen wir, wenn man uns lässt?«

Die queerfeministische Performerin Marje Hirvonen kuratiert in diesem Jahr das tanz.tausch Festival

Bona Dea trägt ein durchsichtiges Plastikkleid und eine Perücke: sehr langes, weißes Haar, das auf ihre Schultern herabfällt, ihren Rücken herunter fließt. Zu Aretha Franklins »You make me feel like a natural woman« wandelt sie, scheinbar erschöpft und lustlos, über die Bühne, sammelt ihre silbern glitzernden Highheels, mit Absätzen, mindestens zehn Zentimeter hoch, vom Boden und steigt langsam hinein — als würde sich eine Sexarbeiterin auf einen langen Arbeitstag vorbereiten, auf den sie nicht die geringste Lust hat. Zumindest scheint Bona Dea genau dieses Bild bei den Zuschauer*innen auslösen zu wollen.

2021 ist das Video bei einer Performance in Zagreb entstanden. Hinter Bona Dea, dieser wandelbaren Kunstfigur, deren Auftreten hin und wieder auch an die frühe, theatrale Ästhetik des US-amerikanischen Musikerinnen-Duos Coco Rosie erinnert, steckt Marje Hirvonen. Choreografin, Tänzerin, aufgewachsen in dem Zehntausend-Seelen-Städtchen Kitee in Ostfinnland und seit fast zehn Jahren in Köln zuhause. Bona Dea sei eine »One-WoMan-Show« schreibt Marje Hirvonen zu dem Projekt: »A body that is free from the structures of power.«

Beim Sommerblut-Festival 2022 war Bona Dea Teil der queeren, sexpositiven Performance »Queertopolis« in der Phoenix-Sauna. Aktuell arbeitet Marje Hirvonen mittels Ganzkörpersuite und Apps an einer Avatar-Version. »Erfunden habe ich Bona Dea, weil ich Lust hatte, mit mir selbst zu experimentieren und irgendwann bemerkte: Die Darstellung einer anderen Figur verschafft mir eine enorme Freiheit. Wie bewegt sich diese Figur? Wie begegnet sie anderen?« Zusammengeflossen seien in Bona Dea verschiedene Themen, die Marje Hirvonen künstlerisch beschäftigen: Auflösung der Gender-Binarität, der ­eigene Widerstand gegen dieses System, aber auch Themen wie Sexarbeit oder die Kunst des Voguings. Was schließlich in ihrer Performance »like, realy cunt« im Frühjahr 2023 mündete, zusammen mit Voguing-Künstler*innen.

Die Darstellung einer anderen Figur ­verschafft mir eine enorme Freiheit. Wie bewegt sich diese Figur? Wie begegnet sie anderen?
Marje Hirvonen

Gewissermaßen auf der anderen Seite der Bühne steht Marje Hirvonen nun beim tanz.tausch-Festival, das im elften Jahr zeitgenössischen Tanz auf die Bühnen Kölns holt. Gemeinsam mit Gründerin und Kulturmanagerin Mechtild Tellmann hat sie in der Rolle der Ko-Kuratorin die Programmgestaltung übernommen — was der Auswahl der eingeladenen Kompanien deutlich anzumerken ist. Eines ihrer persönlichen Highlights, sagt Marje Hirvonen im Interview: die DAGADA Company aus Freiburg mit ihrer Performance »pussy lounge oder was machen wir, wenn man uns lässt?«. Für sie ­laden eine Musikerin, eine Slam Poetin und vier Tänzer*innen ins Clubambiente ein, um mit dem Publikum biografische Unmöglichkeiten, binären Blödsinn, ­aktuelle Statements und mehr zu diskutieren. »Wer sind wir, wenn niemand hinsieht? Welche Vorstellungen teilen wir? Was fürchten wir? Wo ecken wir an?«, heißt es im Programm.

Ein weiteres Highlight: »Ich freue mich sehr auf das Stück ›Ernst‹ von der Tänzerin Alma Toaspern und dem dänischen Komponisten Mathias Monrad Møller«, ­erzählt Hirvonen, » es ist eine sprühende Hommage an die Humor­losigkeit, in der sich Alma Toaspern zum Affen macht und fragt, wie es eigentlich ist, jahrzehntelang ­domestiziert worden zu sein.«

Neben weiteren Performances — etwa zur »Erfindung der Mutter« von der Kompanie PLAN MEE oder der Premiere »Modus H2O« von der Flamencotänzerin Nati Blanco und der zeitgenössischen Tänzerin Lena Visser — gibt es Ausstellungen und Filme. »Wir wollen auch einladen, vor oder nach den Stücken noch gemeinsam etwas zu trinken und ins Gespräch zu kommen,«, so Marje Hirvonen. Für das Festival wünscht sie sich vor allem: »Eine Menge Girlpower!« und meint damit vermutlich etwas, das schon Coco Rosie mit der Gründung der Gruppe Future Feminism 2014 in New York forcierten: ein Aufruf zu den Waffen (»a call to arms«), um uns als Spezies neu zu organisieren und archetypisch weibliche Werte zu bekräftigen. »Empathie, Fürsorge, das sind für mich enorme Kräfte, die in allen Körpern wirken«, sagt Hirvonen. »Wir sollten sie mehr wertschätzen und ihnen einen Raum und eine Bühne geben.« 

31.8.–2.9., TanzFaktur, tanztausch-festival.de