Endlich wiedergefunden: Jussi Vatanen, Alma Pöysti, Foto: Malla Hukkanen, © Sputnik

Fallende Blätter

Aki Kaurismäki gibt Hoffnung auf eine etwas weniger graue und kalte Welt

Die Zeichen, Motive und ästhetischen Markierungen, die im Kino des Finnen Aki Kaurismäki seit mehr als dreißig Jahren zu einer unverwechselbaren Handschrift zusammenfinden, sind auch in »Fallende Blätter« da: die einsamen Randfiguren und menschenunwürdigen Arbeitsverhältnisse, die Bars, in denen Männer schweigend vor ihren alkoholischen Getränken sitzen, die Anspielungen auf die Kinogeschichte und die herzzerreißenden finnischen Lieder, die soziale Kälte und die menschliche Wärme. Und natürlich auch die knappen Dialoge, der staubtrockene Humor, die Pastellfarben und die Wurlitzer-Boxen, die Lederjacken und die unmodern geschnittenen Röcke.

Kaurismäkis Filme beschreiben einen eigenen Planeten, der sich parallel zu unserem Raum-Zeit-Kontinuum bewegt und gelegentlich Nachrichten herüberfunkt und empfängt. Auch »Fallende Blätter« ist trotz des Eindrucks einer konservierten Welt ein Film im Jetzt. Aus den 60er-Jahre-Radios schallen Nachrichten vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Aber auch abseits dieser demonstrativen Gegenwartsmarkierung haben sich die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre — Migration, Billiglohnarbeit, Überwachung am Arbeitsplatz — in Kaurismäkis Kosmos eingeschrieben.

»Wer keine Flügel hat, bleibt gebunden an diesen grauen, kalten Boden«, heißt es in einem romantischen finnischen Lied, das in einer Karaoke-Bar gesungen wird. An diesem Ort begegnen sich die Supermarktangestellte Ansa und der Arbeiter Holoppa zum ersten Mal. Das Musikprogramm ist zu einer traurigen Schubertserenade übergegangen, als ihre scheuen Blicke sich finden — und dann wieder verfehlen. Es ist der Auftakt zu einer Liebesgeschichte, die ganz ums Finden und Verlieren, ums Wiederfinden und Wiederverlieren und Endlichwiederfinden aufgebaut ist.

Kaurismäkis Filme beschreiben einen eigenen Planeten, der gelegentlich Nachrichten herüberfunkt und empfängt

»Fallende Blätter« ist nach »Schatten im Paradies« (1986), »Ariel« (1988) und »Das Mädchen aus der Streichholzfabrik« (1989) Kaurismäkis späte Fortsetzung seiner proletarischen Trilogie. Der Loner Holoppa, der als Sandstrahler in einem Gusswerk arbeitet und sich mit Kollegen einen rumpelig möblierten Container teilt, hat nichts zu lachen; aus Verbitterung greift er immer häufiger zur Schnapsflasche. Nach einem Arbeitsunfall wird er gefeuert, auch den Hilfsarbeiterjob auf dem Bau hat er nicht lange. Hoffnung verspricht allein die Begegnung mit Ansa, die er nach dem Karaoke-Abend zufällig wiedertrifft. Ansa hat gerade ihren Job im Supermarkt verloren, weil sie ein abgelaufenes Sandwich in die Tasche steckte. Das verbliebene Geld reicht gerade noch dafür, in einem Café den Laptop für die Jobsuche zu benutzen (zehn Euro die halbe Stunde). Holoppa spendiert ihr einen Kaffee und lädt sie ins Kino ein. Der Film — »The Dead Don’t Die« von Jim Jarmusch — gefällt ihr. »Die Polizei hatte keine Chance, es waren einfach zu viele Zombies«.

Das Blatt mit Ansas Telefonnummer trägt der Wind weg und so verlieren sich die beiden einsamen Menschen, kaum dass sie sich gefunden haben. Nachts liegen sie wach in ihren Betten und denken aneinander. Vor dem Kino, wo Holoppa sie immer wieder sucht, raucht er wartend eine halbe Schachtel weg; als Ansa, die ihrerseits auf der Suche ist, den Haufen Kippen entdeckt, ist er schon wieder weg. Als sie sich endlich doch finden, folgen weitere Hindernisse, Holoppas Gesaufe, ein Unfall, vielleicht sind beide einfach noch nicht so weit.

Ihren inneren Entwicklungen, die sich in knappen Gesten und Worten mitteilen, gibt Kaurismäki den notwendigen Raum: etwa, wenn Ansa ein zweites Set Teller und Besteck kauft, weil in ihrem Leben ein Mann bisher nicht vorgesehen war. Oder wenn Holoppa sich allmählich aus der trotzigen Selbstzerstörungshaltung löst und tut, was er tun muss, um mit Ansa zusammen sein zu können. Weil mit Liebe eine Welt, in der ein Scheiß-Krieg nicht aufhören will und in der man sich für eine erbärmliche Bezahlung den Rücken und die Lunge kaputt macht, einfach besser auszuhalten ist. Der graue, kalte Boden lässt sich damit nicht unbedingt verlassen, aber so gibt es zumindest die Hoffnung, ihn gemeinsam in etwas weniger Graues, weniger Kaltes zu verwandeln. Es wäre nicht wenig.

(Kuolleet lehdet) FIN/D 2023, R: Aki Kaurismäki, D: Alma Pöysti, Jussi Vatanen, Janne Hyytiäinen, Nuppu Koivu, 81 Min. Start: 14.9.