Vereint im Widerstand: Aktivist*innen vor Drohkulisse

»Wie macht man Politik mit dem Körper?«

Der Filmemacher Steffen Meyn starb bei der Räumung des Hambacher Walds. Drei Kölner Regisseur:innen haben aus seinem Material den Film »Vergiss Meyn nicht« gemacht

Bei der polizeilichen Räumung des Hambacher Forstes stürzt Steffen Meyn 2018 aus 20 Meter Höhe in den Tod. Der 27-jährige Studierende der KHM arbeitete als Journalist, Künstler und Filmemacher an einem Langzeitprojekt über den Wald. Drei Kommiliton*innen haben sein Drehmaterial zu einem Film verdichtet.

Wie habt Ihr drei euch ­zusammengefunden?

Kilian Kuhlendahl: Über die Kunsthochschule für Medien. Wir waren alle mit Steffen befreundet, und als er dann gestorben ist, haben seine Eltern dieses Material geerbt und sich gewünscht, dass etwas damit passiert. Den Film zu machen war emotional schon krass … auch die Auseinandersetzung mit den Eltern, die uns ja dieses Vertrauen geschenkt haben — und wir drei hatten auch unseren eigenen Trauerprozess. Ein großer Vorteil war auf jeden Fall, dass wir zu dritt waren. So konnte jemand auch mal sagen: Ich kann nicht mehr, ich brauche Abstand, und die anderen konnten weitermachen.

Was für Material habt ihr ­bekommen?

Fabiana Fragale: Als Steffen gestorben ist, hatte er Speicherkarten bei sich, eine Handkamera und eine 360-Grad-Kamera auf dem Kopf — Teile des Materials hat die Polizei direkt eingesackt. Die Staatsanwaltschaft hat das dann einbehalten, bis wir mit dem Anwalt gedroht haben. Wir wussten, dass Steffen seinen eigenen Tod aufgezeichnet hat. Als wir die Karten dann endlich gekriegt haben, war dieses Material nicht drauf. In Spanien haben wir aber eine Firma gefunden, die auf Daten-Restaurierung spezialisiert ist. Die hat uns dieses Material wieder zurückgeholt — auch die Szene in der Polizeistation und die Eröffnungsszene des Films direkt nach dem Sturz — also sehr krasses Material, das einfach von der Polizei gelöscht wurde!

Ungewöhnlich sind die extremen Weitwinkel der 360-Grad-Kamera.

Jens Mühlhoff: Eine 360-Grad-Kamera hat zwei Linsen, die ein rundes Bild ergeben, in dem zu den Seiten hin die Sachen sehr verzerrt sind. Es hat sehr lange gedauert, bis wir verstanden haben, dass in diesen äußeren Bereichen sich noch ganze Bildinhalte verstecken, die spannend sein könnten. Wir mussten im Schnittraum genau rausarbeiten: Was ist die Essenz eines Moments, in dem über zehn verschiedene Sachen geredet wird? Was ist der wichtigste Baustein?

Vielleicht war einer der spannendsten Punkte an diesem Leben im Hambacher Wald, dass Konflikte nicht zu Ende geklärt wurden Jens Mühlhoff

Ihr habt dann noch selber Interviews mit den Aktivist*innen gedreht, die Steffen im Wald gefilmt hatte.

Fabiana Fragale: Wir sind tatsächlich mit Fotos von vermummten Leuten mit Decknamen durch den Wald gelaufen: »Leute, wir sind keine Bullen, aber kennt ihr diese Person?« Als wir sie dann gefunden hatten, war es schön, sich auszutauschen und die Trauer noch mal gemeinsam zu verarbeiten. Es war dann einfach Glück, dass sie viele politische Themen aus einer zeitlichen Distanz so tief reflektieren konnten: Wie macht man Politik mit dem Körper? Ist dieser individualistische Anarchismus in dem Wald eine gute Lösung?

Tatsächlich sind sehr kontroverse Positionen in diesen Interviews — etwa zur Gewaltfrage.

Jens Mühlhoff: Vielleicht war einer der spannendsten Punkte an diesem Leben im Hambacher Wald, dass Konflikte nicht zu Ende geklärt wurden. Es gab einerseits eine geschlossene Gruppe nach außen, um sich verteidigen zu können, aber innerhalb dieser war der Wald dann in verschiedene Lager aufgeteilt: das eine vegan und drogenfrei, im nächsten wurde gekifft, in dem einen haben die Macker gewohnt, in dem anderen gabs FLINTA*-Spaces — also viele unterschiedliche politische Meinungen, die sich frontal gegenüberstanden.

Kilian Kuhlendahl: Aber das Schöne ist ja zu sehen, dass das trotzdem funktioniert hat, auch ohne einen klaren Aktionskonsens oder sowas.

Fabiana Fragale: Und im Film funktioniert Steffen als Identifikationsfigur für die Zuschauer*innen, als Bindeglied zwischen der Mikro-Gesellschaft im Wald und dem bürgerlichen Außen. Er ist der bürgerliche Junge, der in eine neue Welt reinkommt, und er kann das so verpacken, dass seine Mutter das auch cool fände — er konnte einfach gut Leute verbinden. Und das erfahren wir dann auch von Zuschauer*innen bei den Gesprächen nach dem Film.