Autor oder Autorfigur? Demian Lienhard

Seltsamer als Fiktion

Demian Lienhard stellt in seinem Roman »Mr. Goebbels Jazz Band« die Frage nach der Grenze zwischen Literatur und Propaganda

Manche Geschichten wirken auf den ersten Blick zu ausgedacht, um wahr zu sein. Die Geschichte von »Mr. Goebbels Jazz Band« ist so eine. 1940 gründete das NS-Propagandaministerium eine ­Musikgruppe, um musikalische Begleitung für die englischsprachigen Radiosendungen zu haben, mit denen die Nazis die Bevölkerung der britischen Inseln gegen die Regierung von Winston Churchill aufbringen wollten. Die Band bestand zum Teil aus homosexuellen und jüdischen Musiker:innen, die sich damit vor der Einberufung oder der Verfolgung in Sicherheit bringen wollten. Und sie spielten Jazz, eine Musik, die der nationalsozialistischen Reichsmusikkammer zutiefst suspekt war, deren Popularität im Berlin der 1940er Jahre sie aber nicht verhindern konnte.

Der Schweizer Autor Demian Lienhard hat die Geschichte dieser Band zu einem Roman verdichtet. Im Mittelpunkt stehen jedoch nicht die Musiker:innen, sondern der Mann, der sie zusammengebracht hat: Wilhelm Froehlich aka William Joyce. Der wiederum war ein  Faschist aus Großbritannien, der in Oswald Mosleys »British Union of Fascists« eine steile Karriere hinlegte, weil er als begnadeter Redner galt. »Frei gehalten hatte er die Rede, möchte betonen, ­vollkommen frei, und jeder seiner Sätze schien seinem Innersten entnommen zu sein«, schildert seine spätere Frau Margaret im Roman ihren ersten Eindruck von Joyce. Um einer drohenden Verhaftung zu entgehen, setzte sich das Paar 1939 nach Deutschland ab. Dort wurde Joyce zum Radiosprecher »Lord Haw-Haw«, der in seiner Sendung »Germany ­Calling« die britische Obrigkeit verspottete. Fast sechs Millionen Brit:innen hörten seine Show ­regelmäßig.

Joyce beziehungsweise Froehlich erinnert an die politische Rechte der Gegenwart: ein ehrgeiziger Aufsteigertyp, der sich im ­Irland des frühen 20. Jahrhunderts mit Kultur und Habitus der britischen Besatzer überidentifiziert. Wie Boris Johnson streut er bei jeder Gelegenheit seine Bildungsbeflissenheit ein, indem er aus den Klassikern der antiken Literatur und Geschichtsschreibung zitiert, auch wenn dies der Kohärenz seiner Argumentation nicht immer dienlich ist. Kein Wunder also, dass er die faschistischen Ideen von Restauration und gestählter Körperlichkeit aus voller Überzeugung nach außen vertritt. Selbst seine Propagandatätigkeit für die Feinde Großbritanniens rechtfertigt er mit der Aussicht auf einen Regierungsposten im Nachkriegsengland, weil Deutschland dann ja nun einmal gezeigt habe, dass es stärker als das Empire sei.

So ist zumindest das Bild, das Demian Lienhard in seinem Roman von Wilhelm Froehlich zeichnet. Oder besser gesagt, so zeichnet es Fritz Mahler. Der wiederum ist ein eher mittelmäßig ­erfolgreicher Schriftsteller aus der Schweiz, der von Froehlich angeheuert wird, um die Geschichte der Jazz-Band in einem Propaganda-Roman festzuhalten. Mahler tut sich schwer mit der Aufgabe: Er findet lange keinen Zugang zum Jazz, sondern vertieft sich lieber in die autobiographischen Details der Musiker. Und wovon soll sein Roman überhaupt handeln, wenn er seiner Aufgabe, ­erfolgreich Propaganda für die NS-Propaganda zu betreiben, überhaupt nachkommen will? Schließlich reist er — Caspar David Friedrich lässt grüßen — nach ­Rügen, wo ihm im Traum — schöne Grüße von Sigmund Freud — ­ die  entscheidende Idee für sein Manuskript kommt.

Dieses Manuskript ist »Mr. Goebbels Jazz Band«. So erklärt es zumindest der Schweizer Archivar Samuel Tribolet in seinem Nachwort. Nur war dieser ein Magistrat im Bern des 17. Jahrhunderts, der wegen Verrats und Korruption ­abgesetzt wurde — und zudem ein real existierender Vorfahre des real existierenden Schriftstellers Demian Lienhard. Der wiederum lässt über seinen Vorfahren ­anklingen, dass sich Bücher über die NS-Zeit mit autobiographischen Bezügen besser verkaufen, und wie es der Zufall so will, hat Lienhard zwei Vorfahren, die wegen Hochverrats hingerichtet wurden, so wie es auch dem echten William Joyce 1946 widerfahren ist.

»Mr. Goebbels Jazz Band« verhandelt die Frage von Literatur im Dienst eines faschistischen Regimes

»Mr. Goebbels Jazz Band« ist ein Lehrbuchbeispiel für Metafiktion, also literarische Texte, die das Schreiben von Literatur zu ihrem expliziten Thema machen. Und auch wenn die seitenlange Darstellung von Fritz Mahlers innerer Schreibblockade das nahelegt, ist es keine Nabelschau. Vielmehr verhandelt der Roman die Frage von Literatur im Dienst eines faschistischen Regimes und betrachtet ­dabei sowohl die Rolle des Autors als auch die seiner Mittel.

Dazu passt auch, dass Lienhard eine Sprache gewählt hat, die manieristisch, fast schon altmodisch bieder daherkommt und sich vor allem durch ein Scheitern am Humor auszeichnet. »Über dem Reich, über der Hauptstadt, über Berlin, da war an diesem ­Vormittag eine durch und durch deutsche Sonne am blankgeputzten Himmel zu sehen«, heißt es zu Beginn des Romans und sofort kommt der Verdacht auf, dass hier ein wenig talentierter Schreiberling am Werk ist. Als genau solcher wird sich Mahler dann im Laufe des Romans entpuppen und das Bewusstsein darüber macht ihn vulnerabel für die subtilen Drohungen der NS-Funktionäre, denen er begegnet. Mahler versucht, Verbündete unter den Jazz-Musiker:innen zu finden: »Im exakt gleichen Maße, wie das Orchester und seine Mitglieder Schaden nehmen, wird auch sein Vorhaben leiden.« Der jüdische Schlagzeuger Fritz Brocksieper macht ihm jedoch schnell deutlich, dass ihm im Falle des Scheiterns ein schlimmeres Schicksal droht als Mahler.

In Momenten wie diesen bemerkt man, wie zeitgenössische Diskussionen den historischen Stoff überformen — Diskussionen um soziale Privilegien oder auch die oft zu kurz gedachte Debatte um Fake News und Verschwörungserzählungen. Fakten seien der Rahmen für »das unentwirrbare Gemälde aus Wahr und Falsch«, das zu Propaganda und ­literarischer Fiktion werden kann, denkt Mahler an einer Stelle und es wirkt wie ein Kommentar zu der  Naivität, mit der Fakten als Gegengift zu Verschwörungserzählungen beschworen werden, so als sei  die generelle Überlegenheit von Fakten über Unwahrheiten nicht auch eine Erzählung, die man wider besseren Wissens gerne glauben will.

»Mr. Goebbels Jazz Band« wirft diese Fragen mit viel Charme auf, der sich nicht zuletzt daraus speist, dass Lienhard seine Hauptcharaktere immer wieder in ihrer Borniertheit vorführt und damit selbst an eine gute Tradition anglo-amerikanischer Darstellungen der Nationalsozialisten und ihrer Enkel im Geiste anknüpft. Schließlich hilft bei aller Ernsthaftigkeit, mit der man sich ihnen entgegenstellen sollte, doch der Gedanke, dass es sich bei Faschos letztlich um zutiefst lächerliche Gestalten handelt.

stadtrevue präsentiert:
Fr 22.9., King Georg, 21 Uhr

Demian Lienhard: »Mr. Goebbels Jazz Band«, Frankfurter Verlagsanstalt, 320 Seiten, 24 Euro