Zum 100. Geburtstag von Ousmane Sembène: »La noire de ...«

Facetten der Dekolonisierung

Das Afrika Film Festival präsentiert Vergangenheit und Gegenwart des Filmschaffens des gesamten Kontinents und noch viel mehr

Ein kurzer Zug an einer imaginären Zigarette, ein Schluck aus einem imaginären Glas und dann ein paar Töne auf der Luftgitarre. Motorradkurier Bambino zelebriert seine kleinen Fluchten aus dem Alltag in Lagos. Als der Mitarbeiter eines Wettbüros ihn nach einer Lieferung bittet, den Motorradhelm wieder aufzusetzen und Fotos von ihm macht, posiert er eher genervt. Doch Bawa, der junge Mann aus dem Wettbüro, gibt nicht nach, nutzt Vorwände, um Bambino wiederzusehen. Auf dem Motorrad fahren die beiden durch Lagos von einem Fotoshooting zum nächsten. Als die beiden sich immer näherkommen, stellen sich für den eher introvertierten Bambino Fragen nach der Art seiner Beziehung zu Bawa. Das Spielfilmdebüt des nigerianischen Regisseurs Babatunde Apalowo »All the Colours of the World Are Between Black and White« zeichnet ein komplexes Bild schwulen Begehrens in einer Gesellschaft, in der Homosexualität illegal ist. Im September läuft der Film, der bei der diesjährigen Berlinale mit dem Teddy-Award für den besten Spielfilm ausgezeichnet wurde, im Rahmen des 20. Afrika Film Festivals in Köln.

Ein weiterer Teil des Festivalprogramms ist »Shimoni«, das viel beachtete Regiedebüt der kenianischen Cutterin Angela Wanjiku Wamai. Ihr Film zeigt ebenfalls einen jungen Mann im Ringen mit sich selbst. Als Geoffrey aus dem Gefängnis entlassen wird, erwartet ihn ein Priester, ein Freund seiner Familie, mit offenen Armen am Tor. Zusammen fahren die beiden durch das ländliche Kenia in die Heimatgemeinde des Priesters. Um Geoffrey zu einem Neuanfang zu zwingen, verbietet er ihm, seinen Beruf als Englischlehrer wiederaufzunehmen und gibt ihn stattdessen in die Hände von Martha, die den Bauernhof leitet, der zur Kirche gehört. Schweigsam und störrisch verrichtet Geoffrey seine Arbeit. Doch der Ort ist schlecht gewählt für einen Neuanfang. Der Priester hat Geoffrey zurückgebracht in das Dorf seiner Kindheit, und es dauert nicht lange, bis die Geister der Vergangenheit ihn einholen und nicht mehr loslassen. Hauptdarsteller Justin Mirichii spielt Geoffrey wortkarg mit einem sichtbaren inneren Brodeln.

Mehrere Dokumentarfilme des Programms widmen sich Facetten der Geschichte der Dekolonisierung. Milisuthando Bongela arbeitet in ihrem essayistisch-autobiographischen Film »Milisuthando« ihre Kindheit in der Transkei auf. Bongela geht der Frage nach, wie sie ausgerechnet in ­einem Land, das nur scheinbar von Südafrika unabhängig war, nichts von der Apartheid bemerken konnte und wie das ihre Familiengeschichte geprägt hat. Daniyal Harris-Vajda und Arlen Harris zeichnen das Leben des antikolonialen Historikers Walter Rodney nach, der am 13. Juni 1980 in ­Guyana von der Armee durch ein Sprengstoffattentat ermordet wurde. »Walter Rodney: What They Don’t Want You to Know« ist Teil einer Wiederentdeckung eines der Protagonisten der frühen antikolonialen Geschichtsschreibung.

»All the Colours of the World Are Between Black and White« zeichnet ein komplexes Bild schwulen Begehrens
in einer Gesellschaft, in der Homosexualität illegal ist

Neben dem Blick von heute auf Dekolonisierung und antikoloniale Kämpfe präsentiert das Festival auch eine Reihe historischer Filme aus afrikanischen Kinematografien und lädt so zu Entdeckungen oder Wiederentdeckungen ein. Anlässlich des 100. Geburtstags des senegalesischen Schriftstellers und Regisseurs Ousmane Sembène zeigt das Festival dessen ersten Spielfilm »La noire de …« von 1966. Sembène verarbeitet darin eine Zeitungs­notiz über den Selbstmord einer jungen Frau und entwickelt in ­einer fiktiven Rückblende deren Geschichte. Die junge Diouana wird von ihren weißen Arbeitgebern eingeladen, ihnen als Hausangestellte nach Frankreich zu folgen. Dort angekommen verlässt sie nur noch selten die modernistische Wohnung ihrer Arbeitgeber, und die kolonialen Verhältnisse an Diouanas Arbeitsplatz treten immer unverdeckter an die Oberfläche.

Anfang vergangenen Jahres präsentierten die Regisseurinnen Valérie Osouf und Dyana Gaye, die auch Schirmfrau des diesjährigen Festivals ist, in Paris 126 Filme aus Geschichte und Gegenwart des afrikanischen Kinos unter dem Titel »Tigritudes«. Fünf Filme aus dieser Auswahl werden nun auf dem Festival in zwei Programmen präsentiert. Im ersten erzählt Moustapha Alassane in seinem Film »Le retour d’un aventurier« (1966) von einem jungen Mann, der mit Cowboy-Kostümen in ein Dorf im Niger zurückgekehrt. Alassane spielt hier mit Topoi der Western-Mode der späten 60er Jahre. Im zweiten Programm findet sich mit Julie Dashs »Four Women« (1974), in dem sie sich tänzerisch einer Ballade von Nina Simone nähert, ein frühes Beispiel der L.A.-Rebellion um Filmemacher wie Charles Burnett und Haile Gerima. Der Film trifft im selben Programm auf Sara Gómez’ unlängst restaurierten kubanischen Klassiker »De cierta manera« aus dem selben Jahr. Ergänzt werden die historischen Programme durch zwei Dokumentarfilme zur Filmgeschichte: Salam Zampaligrés Porträt des burkinischen Regisseurs Drissa Touré und Thierno Souleyman ­Diallos Spurensuche zur Kinokultur Guineas.  

 

20. Afrika Film Festival

Einen Überblick über das Programm zu bekommen, ist wie immer nicht leicht: Das buchdicke, dreisprachige Programmheft überwältigt mit seiner Materialfülle und ist wenig übersichtlich gestaltet. Besser ist es, über die Website zu navigieren: entweder über die Programmleiste, die chronologisch nach Tagen geordnet ist, oder über die Aufteilung des Programms nach Bereichen wie Spielfilme, Dokumentationen, Kurzfilme.

Zum Begleitprogramm gehören drei Panel-Diskussionen auf Englisch, unter anderem zum Thema »Evolving African Cinema — Redefining Narratives, Aesthetics and Social Discourse«. Außerdem wird in der Alten Feuerwache in Kooperation mit dem Goethe-Institut Bonn die Ausstellung »Afri­comics« präsentiert mit wiederum eigenem Rahmenprogramm aus Workshops, Live-Musik und Diskussionen. Workshops werden auch für Schüler*innen angeboten, unter anderem mit der Regisseurin, Fernsehmoderatorin und Bestsellerautorin Mo Asumang. Für Familien sind zwei Gratisvorstellungen der beiden Zeichentrickfilme rund um den Jungen Kirikou geplant. Und natürlich wird auch gefeiert werden, mit Live-Musik und DJ-Sets, unter anderem von DJ Loca aus dem Kamerun.

Erstmals wird dieses Jahr ein mit 2000 Euro dotierter Jurypreis vergeben, den drei Juror*innen aus nicht weniger als 29 Spiel- und Dokumentarfilmen auswählen werden.

Infos: afrikafilmfestivalkoeln.de