Hommage an Virginia Woolf: »Orlando, meine politische Biografie«

Jenseits von Normen

Das Queerfilmfestival widmet sich gesellschaftlichen Kämpfen und Gendertransitionen weltweit

»Orlando, wo bist du?« steht auf den Plakaten, die Paul B. Preciado nachts an Hauswände klebt. Für den spanischen Queertheoretiker (»Ein Apartment auf dem Uranus«) ist Virgina Woolfs 1928 erschienener Roman ein Schlüsseltext, wie er nun in »Orlando, meine politische Biografie« erklärt. Preciados erste Arbeit hinter der Kamera ist eine Art filmischer Brief, in dem diverse Menschen zwischen acht und 70 Jahren über Genderkonstrukte, ihr Selbstverständnis und ihre Transition sprechen. Das ist nie trocken akademisch, sondern geradezu verspielt und ebenso fluide wie sein Gegenstand, zugleich autobiografische Erzählung, Manifest und burleskes Theater. Eine Utopie, camp, queer und dissident im allerbesten Sinne und einer der Höhepunkte des Queerfilmfestivals.

Das Programm aus weiteren 16 Langfilmen reicht dabei von Dramen über trashige Satire bis zu Dokumentarfilmen, sie erzählen von schwulen Comingouts und lesbischer Liebe, gesellschaftlichen Kämpfen und Gendertransitionen. Eröffnet wird das Festival mit dem französischen Liebes­film »Hör auf zu lügen« nach dem gleichnamigen Bestseller von ­Philippe Besson über einen Roman­autor, der nach vielen ­Jahren in seine Heimatstadt zurückkehrt und sich dort an seine erste große Liebe erinnert.

Der kolumbianische Film »Anhell 69« ist ein filmischer Exorzismus über die queere Jugend in Medellín, deren Zukunft durch Gewalt und Drogen zerstört wird. Ein wütender, verstörender Film, poetisch und politisch zugleich. Im Mittelpunkt des deutschen Spielfilms »Drifter« steht der 22-jährige Moritz, der gerade von seinem Freund verlassen in Berlins Partyszene eintaucht, Fetische auslebt und sich in Drogenexzessen zu verlieren droht — bis er mit Hilfe seiner queeren Clique herausfindet, wer er wirklich sein will. Ein authentisches Porträt der Jugend im heutigen Berlin jenseits von Normen, das Regisseur Hannes Hirsch persönlich vorstellen wird.

»Orlando, meine ­politische Biografie« ist  camp, queer und dissident im allerbesten Sinne

Aus Kanadas queer-asiatischer Community stammt das sehenswerte Drama »Golden Delicious« von Jason Karman über den Teenager Jake und dessen Abschlussjahr an der Highschool zwischen Basketballtraining, den Erwartungen seines Vaters, der Freundin und Social Media. Als der offen schwule Aleks nebenan einzieht, hat Jake plötzlich ganz eigene ­Prioritäten. Und der queere Science-­Fiction-Klamauk »Captain Faggotron Saves the Universe« erweist sich als herrlich überdrehtes Fest für Freund*innen des schlechten Geschmacks.

Das Programm wird online erweitert durch eine Hommage an den argentinischen Regisseur Marco Berger, der sich in Filmen wie »Taekwondo« mit sexuellen Dynamiken in Gruppen junger, vermeintlicher Hetero-Typen auseinandersetzt. Während ältere Werke wie »Plan B«, »Hawaii« und »Ausente« nur im Stream verfügbar sind, läuft Bergers neues Werk »Horseplay« auch im Kino. Im Film trifft sich eine Clique Kumpels für ein paar Tage in einer Villa. Sie trinken Bier, albern am Pool rum, die Stimmung ist sexuell aufgeladen. Als sich zwei ernsthaft näherkommen, droht sie zu kippen.

Ebenfalls online ist ein wenig bekannter Klassiker des britischen Queer-Cinemas zu sehen. Ron Peck drehte 1978 ohne staatliche Förderung, aber mit Hilfe zahlreicher Unterstützer den dokumentarisch anmutenden Spielfilm »Night Hawks« über das Doppelleben eines Londoner Lehrers zwischen Schulunterricht tagsüber und der Homoszene nachts. Das Festival zeigt diese bemerkenswert selbstbewusste und präzise Alltagsbetrachtung zusammen mit Pecks 1991 entstandenem Dokumentarfilm »Strip Jack Naked«. Eine ebenso persönliche wie erhellende Geschichtsstunde.

Ein weiterer Höhepunkt des Festivals ist »Blue Jean«, das Regiedebüt der jungen Britin Georgia Oakley. Ende der 80er Jahre ist England noch fest in der Hand der »Eisernen Lady«. Thatchers »Section 28«-Gesetz verbietet die Förderung von Homosexualität. Deswegen darf auch niemand an der Schule wissen, dass Sportlehrerin Jean auf Frauen steht. Als sie in einer Lesben-Bar einer ihrer Schülerinnen begegnet, ist sie zu einer weitreichenden Entscheidung gezwungen. Das Gegenstück zu »Night Hawks« aus lesbischer Perspektive, entstanden 42 Jahre später, ist aber nicht minder aufwühlend. 

Do 7.9.–Mi 13.9., Filmpalette, Filmhaus. Infos: queerfilmfestival.net

Online-Festival: salzgeber.club