Kommunikation auf Augenhöhe: Therapeutin und Patient, © Grandfilm

Auf der Adamant von Nicolas Philiberts

Nicolas Philiberts Berlinale-Gewinner beobachtet das Leben auf einem Klinik-Schiff auf der Seine

Etwas überraschend wurde im Frühjahr ein Dokumentarfilm in Berlin mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet: »Auf der Adamant«, eine ruhige, zurückhaltende, dem Ethos des direct cinema verbundene Beobachtung einer Tagesklinik für Erwachsene mit psychischen Störungen. Auf einem Holzschiff, das dauerhaft am Ufer der Seine liegt, kehren Tag für Tag Menschen ein, die therapeutisch begleitet werden, aber keineswegs dem entsprechen, was man oberflächlich betrachtet als »krank« bezeichnen würde. Im Gegenteil, die Menschen, die Regisseur Nicolas Philibert beobachtet, sind äußerlich kaum von den Therapeuten zu unterscheiden, die vielfältigen Interaktionen lassen die Grenzen verwischen.

Auf der Adamant hat man sich der Kunst-Therapie verschrieben. Manche der Patienten — eigentlich ist man vielmehr versucht, von Besuchern zu sprechen — malen eindrucksvolle abstrakte Gemälde, andere spielen auf Gitarre oder Klavier eigene Kompositionen oder bekannte Stücke, auch ein kleines Filmfestival wird abgehalten, das von den Patienten selbst kuratiert wird und Klassiker wie »8 ½« oder »Die amerikanische Nacht« zeigt.

Vor gut 20 Jahren hatte Nicolas Philibert mit »Sein oder Haben« einen internationalen Erfolg. So sehr sich das dokumentarische Kino seitdem verändert hat, so sehr ist der Ansatz des inzwischen 72-jährigen Regisseurs gleichgeblieben: Einen erklärenden und dadurch oft vereinfachenden Voice-Over-Kommentar gibt es ebenso wenig wie Texteinblendungen oder narrative Zuspitzungen. Und wenn mal ein Patient frontal in die Kamera spricht, wirkt das weniger wie ein typisches Interview, sondern wie ein loses Gespräch, bei dem die Kamera zufällig anwesend ist.

Mit allen diesen filmischen, stilistischen Entscheidungen stellt sich Nicolas Philibert dem Zeitgeist entgegen, gerade auch dem das aktuellen dokumentarischen Kinos: Er erklärt nicht, sondern beobachtet, er gibt keine Antworten, sondern wirft Fragen auf, er ist nicht eindeutig, sondern ambivalent. Erst ganz am Ende berichten einige Texteinblendungen von der fragilen finanziellen Situation der Adamant, die im Zuge von Einsparungen im Gesundheitssystem um ihr Überleben kämpfen muss. Als Ort des Widerstands beschreibt Philibert die Tagesklinik, als Ort, um den es zu kämpfen gilt, genauso wie für diese andere Form des dokumentarischen Kinos.

(Sur L’Adamant) F/J 2023, R: Nicolas Philibert, 109 Min. Start: 14.9.