»Wir brauchen uns als Christen nicht zu verstecken«

Der Geistliche Wolfgang Rothe und die Gemeinde­referentin Marianne Arndt über ihre Pläne für einen Gottesdienst vor dem Dom, bei dem queere und ­wiederverheiratete Paare den kirchlichen Segen erhalten sollen

Nachdem er einen Segnungsgottesdienst für »alle sich liebenden Paare« abgehalten hatte, wurde der Mettmanner Pfarrer Herbert Ullmann von Kardinal Woelki abgemahnt. Aus Solidarität mit Ullmann und aus Protest gegen Woelki soll am 20. September eine große Segensfeier vor dem Dom stattfinden. Angeregt hat dies der Münchner Geist­liche Wolfgang Rothe, der 2021 mit der Initiative »Liebe gewinnt« einen Segnungsgottesdienst gehalten hatte. ­Organisiert wird die Feier vorm Dom von Marianne Arndt, Gemeindereferentin von St. Theodor und St. Elisabeth in Höhenberg-Vingst. Mit ihnen sprechen wir über Homo­sexuelle in der Kirche, die Hoffnung auf einen Wandel im Vatikan und ein »Klima der Angst« in Köln

Herr Rothe, Sie sagen, Kardinal Woelkis Weg führe ins Abseits. Aber handelt er nicht einfach nur lehrbuchgemäß, wenn er einem Pfarrer die Segnung homosexueller Paare verbietet?

Rothe: Die Lehre, die die katholische Kirche zur Homo­sexualität aktuell vertritt, gibt es in dieser Form erst seit etwa 50 Jahren. Das älteste lehramtliche Dokument, das sich mit Homosexualität befasst, stammt von 1976. Diese Fixierung auf moralische Themen ist erst im Zuge der 68er-Bewegung in die Kirche eingedrungen. Vorher war das kein Thema, wie auch in der Gesellschaft nicht. Das war tabu. Aus der Bibel lässt sich aber keine Diskriminierung homosexueller Menschen ableiten.

Die offizielle kirchliche Lehre ist aber doch eindeutig: Homosexuelle Paare dürfen den kirchlichen Segen nicht erhalten.

Rothe: Ja, 2021 hat der Vatikan eine entsprechende ­Verfügung herausgegeben. Das hatte zur Folge, dass in Deutschland die Initiative »Liebe gewinnt« entstand, an der ich mich auch beteiligt habe. Deutschlandweit wurden in über 100 Gottesdiensten, auch in Köln, alle sich liebenden Paare gesegnet: gleichgeschlechtliche, wiederverheiratete, wer auch immer gesegnet werden wollte. Passiert ist danach nichts. Es gab zwar Gespräche, aber keine Sanktionen seitens der Bischöfe.

Die Aktion hat viel Aufsehen erregt. Aber ist es in den Gemeinden nicht schon lange Alltag, dass auch schwule Paare den Segen erhalten?

Arndt: Viele Kollegen segnen queere und wiederverheiratete Paare, aber immer in Verschwiegenheit. Das wird den Menschen nicht gerecht. Da spielt man mit im System der Verdeckung und der vermeintlichen Schuldhaftigkeit. Die Menschen haben aber keine Schuld auf sich ­geladen!

Rothe: Man muss immer mit Denunziationen rechnen. Wir mussten den Liebe-gewinnt-Gottesdienst unter ­Polizeischutz feiern, weil es Drohmails fundamentalistischer Gruppierungen gab. Es gehen auch ständig Beschwerden über mich beim Münchner Erzbischof und im Vatikan ein. Aber der öffentliche Aufschrei bei einer Sanktion wäre gewaltig. Das kann sich eigentlich kein Bischof mehr leisten, weil er der Kirche damit massiv schadet.

Woelki hat es trotzdem getan, nachdem beim Vatikan eine Anzeige gegen den Pfarrer aus Mettmann eingegangen war. Musste er Angst davor haben, dass der Papst andernfalls sein Rücktrittsangebot doch noch annimmt? Woelki ist ja immer noch Bischof auf Probe.

Rothe: Auch im Vatikan beginnt sich der Wind zu drehen. Papst Franziskus hat vor wenigen Wochen einen neuen Präfekten des Glaubensdikasteriums ernannt. Dieser hat in Interviews gesagt, dass er persönlich kein Problem mit der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare habe, und dass man das Verbot dringend auf den Prüfstand stellen müsse. Franziskus selbst hat am Katechismus zwar noch nichts geändert. Aber er hat einen Mentalitätswechsel herbeigeführt. Priester können nun unbefangen in der Öffentlichkeit die kirchliche Sexualmoral anzweifeln.

Vor zehn Jahren wäre das undenkbar gewesen.

Arndt: Im Frühjahr hat Woelki gegenüber Out in Church, einer Initiative von queeren Mitarbeitern der katholischen Kirche, noch gesagt: Seelsorgern, die queere Menschen segnen, passiert nichts. Ist Woelki sein Wort nichts wert? Auch beim Synodalen Weg hat eine große Mehrheit dafür gestimmt, dass homosexuelle Paare den Segen ­erhalten können sollen. Woelki hat sich enthalten. Aber wir zeigen mit unserem Segnungsgottesdienst, dass ­diese Menschen in der Kölner Kirche ihren Platz haben. Sie fordern durch ihr Dasein auf, dass sich auch Kölner Verantwortliche dafür öffnen!

Ist die Aktion nicht vor allem ein politisches Statement? Einige Mitglieder von Out in Church befürchten, die Paare würden dabei zu bloßen Statisten.

Rothe: Ja, aber andere aus der Initiative sehen das anders und nehmen auch teil. Natürlich gibt es dabei einen ­Protestgedanken. Aber wir halten keine Plakate hoch, sondern erfüllen den ursprünglichen Auftrag der Kirche, nämlich Menschen Gottes Segen zuzusprechen, für sie da zu sein, ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen. Wir möchten dem kalten, abweisenden Gesicht von Kardinal ­Woelki das freundliche Gesicht von Jesus entgegenhalten.

Arndt: Wir geben den Queeren, den Wiederverheirateten, die schon so viel Leid erfahren haben und jetzt erneut durch Herrn Woelki geschädigt wurden, in aller Öffentlichkeit den Segen. Wir brauchen uns als Christen nicht zu verstecken.

Es ist offensichtlich, dass im Erzbistum Köln ein Angstklima herrscht
Wolfgang Rothe, Initiative »Liebe Gewinnt«

Prominente Kölner Geistliche gibt es aber nicht, die ihr Gesicht für die Segnungsfeier zeigen.

Arndt: Es werden auch Kölner Diözesanpriester dabei sein. Aber natürlich gibt es Angst. Seit Joachim Meisner 1989 Erzbischof wurde, lebt die Kölner Kirche in einem System der Angst. Ich erinnere nur an den Aufruf von Meisner, Priester zu denunzieren, die nicht in rechter Form die Messe feiern. Das hat eine ganze berufliche ­Generation geprägt.

Rothe: Es ist offensichtlich, dass in Köln ein Angstklima herrscht. Vom Kölner Klerus hat man bisher nur wenig vernommen. Deshalb kommen Geistliche aus anderen Bistümern wie ich, um die Kölner Mitbrüder zu ermutigen. Dann kann uns Woelki nichts.

Herr Rothe, Sie haben Woelki im vergangenen Jahr ­an­gezeigt, was letztlich zur Razzia durch die Staatsanwaltschaft im Juni geführt hat. Die Segensfeier findet auf Ihren Vorschlag hin am 20. September statt, dem ­Jahrestag der Amtseinführung Woelkis. Man bekommt den Eindruck, Sie tun alles, um Köln endlich von seinem ungeliebten Erzbischof zu befreien.

Rothe: Katholikinnen und Katholiken überall in Deutschland wären erleichtert, wenn das Erzbistum Köln endlich zur Ruhe käme. Selbst in München treten Leute aus der Kirche aus mit der ­Begründung: Wir können Kardinal Woelki nicht mehr ­ertragen.