Meditativ beruhigend (aber nicht immer!): Angelika Express, Foto: Klaus Rosen

»Wir können gar nicht mehr verlieren, komm wir spiel’n mit den Ruinen«

Immer noch rastlos, immer noch unterwegs: Die Kölner Band Angelika Express und ihre Mission

Am Ende eines regenreichen ­Tages lässt sich die Sonne am Gottesweg noch einmal kurz blicken. Von der jedoch bekommen Annick, Dani, Robert und Sascha von Angelika Express nicht mehr viel mit. Stehen die vier da doch schon längst in ihrem Proberaum, fest verkabelt, fokussiert und völlig bei sich. Schließlich müsse der Song-Ablauf am Samstag für das Sommerfest der Karnevals-Gesellschaft Ponyhof im Friedenspark sitzen, witzelt Robert.

Das Witzeln aber, das nimmt man ihm nicht ab. Nicht, weil der mittlerweile 56-jährige Kopf und Frontmann der Kölner Indie-Rocker:innen so extrem unglaubwürdig daherkäme. Im Gegenteil: Seine unaufdringliche Ausstrahlung, die ein bisschen etwas von einem mittelgroßen Gebirgsfluss hat — meditativ beruhigend und einer klaren Richtung folgend — und seine damit verbundene Unbedingtheit, mit der er seine Gitarre umschnallt und ­die anderen drei dabei anschaut, vertragen kein Witzeln in puncto »das nächste Konzert«. Nein. Das nächste ist das wichtigste. Immer. Und weil Annick, Dani und Sascha das wissen und es aller Wahrscheinlichkeit auch so sehen, beginnen sie erst gar nicht zu lachen.

Den Damen und Herren von Angelika Express ist es nach wie vor ziemlich ernst mit der deutschsprachigen Post-Punk-Pop-Idee, die Robert Drakogiannakis damals zusammen mit Bassist Jens Bachmann und Schlagzeuger Alex Jezdinsky irgendwann zu Beginn des neuen Jahrtausends ausbaldowerte — als er eines Morgens irgendwo zwischen Luxor, Blue Shell, Stereo Wonderland und Rose Club in der ersten Morgendämmerung glückselig auf den Beton herausgeschoben wurde, während andere schon zur Arbeit fuhren. Zumindest so oder so ­ähnlich muss das gewesen sein. Schließlich heißt es in einem ihrer ersten veröffentlichten Songs aus dem Jahre 2003: »Allein mit dir / Allein um Viertel nach vier / Die Nacht ist um und wir sind immer noch hier«. Robert rotzt das auf der Aufnahme so mir nichts dir nichts ins Mikro. Herrlich. So ungezähmt. So simpel. Und Ausdruck einer ganzen Kölner Indie-Generation. Oder einer halben. Mindestens.

Jetzt erwartet man von diesen Indie-Helden kein Probe-Feuerwerk, aber ein Feuerwerkchen, das würde ihrem vorauseilenden legendären Ruf am besten entsprechen, könnte man meinen. Doch: weit gefehlt. Die beiden Fräulein — Selbstdarstellung und Hochnäsigkeit — sucht man vergeblich bei ihnen in dem containerförmigen Räumchen, das fast ein wenig zu lechzen scheint unter der Last von zwei Drumsets, drei Mikrofon-Ständern und einem zart quietschenden Disco-Strahler, dessen besten Jahre vorbei zu sein scheinen. Jeder Handgriff, jeder Körperschwenk der beiden Gitarreras und des einen Gitarrero müssen sitzen. Denn wenn die das nicht tun, besteht die Gefahr, sich untereinander und miteinander zu verknoten.

Und weil Annick, Dani und ­Robert heute Abend keinen Bock auf diese mühseligen Endknotungs-Spielchen haben, palavern sie nicht lange herum. Stattdessen gibt’s vier Takte Gitarren-Riff à la The Killers oder Razorlight und ab geht die Post mit Vinylbeton: »Wir bau’n euch eine Stadt aus Vinylbeton«, singt Drakogiannakis. Seine Augen sind geschlossen. Vinylbeton. Von wegen. Kleben oben an der Decke des Raums doch unzählige Seiten verschiedenster Tageszeitungen. Titel wie »Derrick kommt zurück«, »Scharfe Kurven für die Traumkarriere« oder auch »Beleidigen Sie bitte nicht Ihre und meine Intelligens« (!) geben sich regelrecht ihre Vergilbung in die Hand. Wie ein Fels in diesem Gazetten-Brimborium überstrahlt das Foto eines Mannes alle anderen skandalträchtigen Textchen und Bildchen aus längst vergangenen Zeiten: das von Nelson Mandela. Und auf dessen Kopfhöhe steht »Mandelas Mission«.

Als Musikjournalist muss man manchmal die Dinge einfach abwarten. Irgendwann dann kommt schon der Moment mit dem perfekten Song. Gekommen ist der an diesem Abend nicht. Dafür aber zwinkert einem Nelson und seine »Mission« freundlich von da oben zu, während die beiden expressiven Mädels und Jungs bei »Hartes Glück« abgehen. So richtig. Glücklich sehen die vier dabei aus. So richtig. Saschas Bassdrum presst einen an die Wand. So richtig. Und auf dem Weg nach Hause frage ich mich, was für eine Mission Angelika ­Express eigentlich nach so vielen Jahren »Proberaum-Abhänging« noch haben können?

Allein mit dir / Allein um Viertel nach vier / Die Nacht ist um / Und wir sind immer noch hier
Angelika Express

Zwei Tage später: Das Gemäuer des Fort I in der Südstadt riecht modrig. Weil es Stunden vorher geregnet hat und jetzt immer noch regnet. Der Boden ist verschlammt. In der einen Ecke steht ein aufgebauter Zelt-Pavillon mit der Aufschrift »Wein«. In der anderen Ecke steht ein aufgebauter Zelt-Pavillon mit der Aufschrift »Waffeln«. Und dazwischen: eine kleine Bühne. Überdacht, versteht sich. Ein DJ legt Kölsches Liedgut wie »Lass uns nicht geh’n« von Cat Ballou oder »Nur nicht aus Liebe weinen« von Brings auf. Die meisten der etwa 200 Sommer-­Jecken singen mit. Ein paar Bewegungshungrige schmeißen ihre Schirme in den Morast und tanzen. Dani Hilterhaus, »das Bassmädchen« von Angelika Express, steht im Zugangs-Bereich der Festungstoiletten. Dort ist es trocken. Sie betrachtet die Szenerie. Ein bisschen nachdenklich wirkt sie. Ihr Atem bildet kleine Nebelwölkchen. Im Backstage-Raum verschwinden die dann aber schnell wieder.

In dem sitzt auch schon Annick Manoukian auf einem der zahlreichen kleinen Kinder-Höckerchen. »Unter der Woche ist das hier wohl eine Art Kinder- und Jugendzentrum«, vermutet sie. Seit mittlerweile zehn Jahren malträtiert sie die Saiten für die Band. Ihren Fingernägeln hat sie einen peppigen Glitter-Anstrich verpasst. Apropos: Annicks spontanes »Ja klar!« hin auf die Frage, ob denn auch Punkrocker:innen das Recht hätten, melancholische Songs zu spielen, bringt das erste, aber weiß Gott nicht das letzte Mal Schwung in meine zweite Meet-and-Greet-Runde mit den vieren. Auslöser für Annicks klares Statement und für das breite Grinsen in Roberts Gesicht ist der Song »Die Hamburger Hand«, den man sich ab Oktober auf dem neuen Album »Köln ist kaputt« anhören kann, so oft man möchte.  

»Köln ist kaputt?« — Bevor Robert zu einer langen Erläuterung des neuen Album-Titels ausholen kann, stellen wir zunächst mal wikipedia-mäßig klar: »Das Adjektiv kaputt bedeutet entzwei, zerbrochen, zerrissen, zerstört.« Oha. Ganz schön harter Tobak. »Oder etwa nicht, Sascha?« Sascha »Tscherno Copter« Brans, seit 2018 Schlagzeuger der Punker, schaut kurz etwas verdutzt und haut dann einen raus: »Architektonisch wird in Köln doch mittlerweile alles vereinheitlicht.« Überall würden nur noch diese kasernenartigen Neubauten hingesetzt. Verirren könne man sich da. Passiert sei ihm das erst vor kurzem selbst, als er einen Freund in einem dieser abgeriegelten Wohnparks besucht habe, erzählt Sascha. Alle lachen sich schlapp, weil man ­diese Situation kennt.

Sascha hätte eigentlich auch Lehrer werden können, denkt man. Schildert er doch mithilfe dieses Bausünden-Bildes recht eindringlich, worum es ihm und seinen Mitstreiter:innen mit dem Titel und der gleichnamigen ersten Nummer des neuen Albums eigentlich geht: Die gesellschaftlich-kulturelle Entwicklung in Köln, die sei besorgniserregend, betont Robert. Die für jeden gut sichtbare städtische Architektur diene da »nur« als eine Art evidentes Stilmittel ganz im Sinne eines Bindeglieds zwischen Gesagtem und Gemeintem. Geil, wenn man nach so einem Gespräch den Vers »Köln ist kaputt, wir können gar nicht mehr verlieren, komm wir spiel’n mit den Ruinen« später noch einmal hört.

Nicht mit, aber in den Ruinen des Forts spielen Angelika Express ein paar Minuten später. Was ist das für ein Bild: Da stehen die vier auf der zügigen und klammen Bühne, der Regen, na klar, der regnet halt, aber den Kölner Halblegenden ist das egal, und zwar sowas von; liefern sie doch eine Punkrock-Show der Superlative ab. Fast so, als sei das heute und hier die letzte Gelegenheit für alle Beteiligten abzurocken. Fast so, als hätte niemand mehr etwas zu verlieren. — »Schließlich muss

der Song-Ablauf am Samstag für das Sommerfest sitzen.« — Ein Schmunzeln streichelt meine Lippen. Und auf dem Weg nach Hause kommt er dann doch noch, der Moment mit dem perfekten Song: »These Boots Are Made For Walking« von Lee Hazlewood. Gehen, einfach weitergehen, das ist die Mission von Annick, Dani, Robert und Sascha. Natürlich.

Aktuelle Musik unter: angelikaexpress.bandcamp.com

Ihr neues Album »Köln ist kaputt« erscheint am 25.10.