Visuelle Kunst in Beats und Trance umgesetzt: Courtesy, Foto: Amelie Amei Kahn-Ackermann

Aus der Euphorie geboren

Courtesy bewegt sich zwischen Auflegen und Produzieren, Track und Song, Trance und Wut

Das erste Mal begegnete mir Najaaraq Vestbirk 2014 in Tokyo. Die Dänin war Teilnehmerin der mittlerweile eingestellten »DJing-und-mehr-Uni« eines Energie-Drink-Herstellers aus Österreich. Vestbirk fiel mir damals sofort auf — vor allem aufgrund ihrer unglaublichen Zielgerichtetheit. Es kommt selten vor, dass kreative Ideen, Ehrgeiz und Disziplin sich derart organisch in einer noch jungen Künstlerin vereinen. Mittlerweile hat sie sich unter ihrem Künstlernamen Courtesy weltweit als DJ und Produzentin etabliert.

Wir blieben in Kontakt, über die Jahre erlebte ich sie oft auf Festivals wie dem Primavera, Sonar oder Flow sowie in Clubs wie dem Berliner Berghain und dem Kölner Jaki. Zunächst elektronisch-ambitioniert, dann immer härter. Das ging einher mit dem Start ihres eigenen Labels KULØR, auf dem sie Produzenten wie Schacke, Ibon, Kasper Marott aus ihrem ursprünglichen Kopenhagener Techno-Biotop um sich versammelte. Da lebte Vestbirk schon in Berlin, einer Stadt, die ihren Teil dazu beigetragen hat, dass sie sich mehr und mehr zu dystopischen Klängen hingezogen fühlte.

Davon ist auf dem nun erscheinenden Debütalbum »Fra Eufori« (auf deutsch: »aus der Euphorie geboren«) aber nichts zu hören, stattdessen hat Najaaraq Vestbirk Klassiker der Trance-Musik-Geschichte wie »You’re Not Alone«, »Saltwater« oder »Infinity 1990« gecovert und zu Songs im eigenen Klangbild werden lassen. Natürlich habe sie zwischendurch Momente des Zweifels gehabt, nicht zuletzt aufgrund des großen Erfolgs den sie mit klassischem Techno zuletzt gehabt habe, erzählt sie mir an einem Sommerabend in ihrem Berliner Studio. Das sei nicht bei allen in ihrem Techno Umfeld gut angekommen. »Einige Leute haben sich von mir distanziert, weil ich mich zu sehr an Sounds gewagt habe, die mit Popmusik spielen«, fährt sie fort. »Spiele ich für das 23-jährige ­Trance-Kid oder den 40-jährigen wütenden Mann, der mir Nachrichten auf Instagram schickt? Manchmal ist es sogar ein gutes Zeichen, dass man einige Leute verärgert.«

Manchmal ist es ein gutes Zeichen, dass man einige Leute verärgert
Najaaraq Vestbirk aka courtesy

Seit einiger Zeit präsentiert ­Najaaraq Vestbirk auch installative Arbeiten, produziert Soundtracks für Modeschauen und konzipiert DJ-Sets eigens für den Ausstellungskontext in Galerien. Aktuell hat sie deswegen eine Zweitwohnung in Mailand angemietet. »Ich habe mich schon immer sehr für Mode und Kunst interessiert«, merkt sie an. »Seit ich sprechen kann, wollte ich Künstlerin werden. Aber es gab niemanden in meinem Leben, der mich in zeitgenössische Kunstbewegungen einführen konnte. Später habe ich viel Energie in den Wunsch gesteckt, Designerin zu werden. Ich kam aber nie an einen Punkt, an dem ich meine Ideen in irgendeine Form visueller Kunst umsetzen konnte, sei es in Kleidung oder Malerei. All das habe ich erst durch die Musik gelernt.«

Ob sie das Team, mit dem sie ihre Courtesy-Welt aus Musik, Mode und Kunst kreiert, denn als Community verstehe? »Ich zögere sehr, dieses Wort in einem Kontext zu verwenden, in dem es um den Austausch von Geld geht«, gibt sie offen ihre ambivalente Beziehung zu dieser aktuell sehr populären Begrifflichkeit zu verstehen. »Ich arbeite viel mit Modemarken zusammen, die auch immer davon sprechen, dass sie mit ihrer Marke eine Gemeinschaft zusammenbringen möchten — ich sage dann: Nein, ihr verkauft Schuhe!«

Selbiges lässt sich auch über die elektronische Musikszene sagen. »Mit Dance-Music verdienen viele Leute eine Menge Geld«, kommentiert Najaaraq Vestbirk trocken. »Ich bin nicht wirklich daran interessiert, eine Gemeinschaft aufzubauen. Ich bin aber sehr froh, dass ich Leute bezahlen kann. Denn im Moment brauchen die jungen Menschen keine Plattform, sie müssen Geld verdienen, um ihre Miete zu bezahlen, damit sie nicht gezwungen sind als Sex­arbeiter:innen oder Drogendea­ler:innen zu arbeiten, wie es in New York schon lange der Fall ist und jetzt auch in Berlin passiert.«

Auch wenn »Fra Eufori« primär positive Klangwelten erschließt, so verleugnet Najaaraq Vestbirk keineswegs, dass die dystopischen Vibrationen um sie herum fortdauern. Ihre Musik und die Art, wie sie mit ihren Leuten interagiert, zeugen von tiefer Selbstreflektion und sind als Versuch zu verstehen, einen Teil dazu beizutragen, dass der Kulturbetrieb und vielleicht auch die Welt ein besserer Ort werden.

Tonträger: »Fra Eufori« erscheint am 12.9. auf KULØR, auch unter: kulorco.bandcamp.com