Mit Orden bedacht: Wilhelm Joest, Foto: Rautenstrauch-Joest-Museum

Kolonialist ohne ­Kolonien

Zwei Bücher geben Einblick in das Leben und Denken des Kölner Museumsbegründers Wilhelm Joest

Er ist der Mann hinter dem Bindestrich: Wilhelm Joest. Seine ­nachgelassene Sammlung führte 1901 zur Gründung des ethnolo­gischen Museums der Stadt Köln, des Rautenstrauch-Joest-Museums (RJM). Schon zu Lebzeiten war Joest einem großen Publikum bekannt. In der Kölner Zeitung ­erschienen Berichte seiner Weltreisen, auch seine Bücher verkauften sich gut, und Joests akademische Arbeiten trugen dazu bei, dass sich die Ethnologie an deutschen Universitäten etablierte. Als er 1897 mit 45 Jahren auf einer Südpazifik-Reise starb, war er kein Unbekannter im deutschen Bürgertum.

Die Journalistin und Wissenschaftlerin Anne Haeming hat das Leben Wilhelm Joests im Rahmen eines Forschungsprojekts am RJM untersucht. Neben einer kommentierten Ausgabe von Joests Schriften liegt nun auch das Ergebnis von Haemings Forschung als Buch vor: »Der gesammelte ­Joest: Biographie eines Ethnologen«. Der Titel verrät den Fokus: Das Buch ist keine Rekonstruktion von Joests Leben von der ­Geburt als Sohn eines Kölner ­Zuckerfabrikanten bis zu seinem Tod. Stattdessen nähert sich Haeming Joest über die Objekte an, die dieser gesammelt hat und die nun im klimatisierten Archiv des RJM liegen. Jedes dieser Objekte ist mit einer Forschungsreise verknüpft, deren Aufzeichnungen Haeming unter Rückgriff auf das ethnographische Wissen über das Objekt analysiert.

Joests nicht immer präzise Ausführungen sind dabei als Quelle zu unzuverlässig, um Auskunft über seine gesammelten Objekte zu geben. Aber sie verraten viel darüber, wie er selbst die Welt, die er bereiste, sah. In Haemings Darstellung erscheint Joest als ein Draufgänger, der den Reichtum seiner Familie dafür nutzte, sich einen Namen zu machen. Sein Blick auf Frauen ist oftmals sexualisiert, seine Reiseplanung bisweilen chaotisch. Mit seinen Aufzeichnungen reüssiert er in den Kreisen der Berliner Intellektuellen, die damals die deutsche Ethnologie begründen. Er selbst sieht sich als reinen Gelehrten, spricht verächtlich über den militärischen und ökonomischen Kolonialismus der Briten, spart aber die Verstrickungen seiner Familie in den Zuckerhandel bei seiner Kritik aus. Gerade die Offenlegung dieser blinden Flecken macht diese Studie auch für die Gegenwart interessant: Als Erinnerung, bei der Aufarbeitung der Kölner Kolonialgeschichte nach Dingen zu schauen, die nicht ­sofort in den Blick fallen.

Anne Haeming: »Der gesammelte Joest: Biographie eines Ethnologen«, Matthes & Seitz, 303 Seiten, 25 Euro

Carl Deußen und Anne Haeming (Hg.): »Aus Indien nach Santa Cruz durch die Ethnologie. Fragmente des Forschungsreisenden Wilhelm Joest«, Matthes & Seitz, 255 Seiten, 28 Euro.