Fack ju Shakespeare: Philippa und die wahre Geschichte

The Lost King

Ein Königreich für diese Träumerin: Stephen Frears schickt seine Heldin auf die Suche nach Richard III

Auch wenn sie teilweise skrupellos agierten, verehren viele Brit*innen ihre Royals von William the Conquerer über Bloody Mary bis hin zu Elisabeth II., ja betrachten sie gar als Teil ihrer kulturellen Identität. Wesentlichen Anteil daran, dass Richard III. lange nicht dazu zählte, trägt wohl Shakespeares gleichnamige Tragödie. Shakespeare schrieb sie gut hundert Jahre nach Richards Tod 1485 auf dem Schlachtfeld im Auftrag der siegreichen Tudors und stellt ihn darin als monströsen Buckligen dar, der nicht einmal davor zurückschreckte, seine Neffen zu ermorden. Viele nahmen diese Fiktion für bare Münze — heute dürfte das alles den meisten schlicht egal sein. In Stephen Frears »The Lost King« geht es auch nur vordergründig um die Ehrenrettung König Richards III. durch eine unscheinbare Frau. Deren Geschichte aber, die auf wahren Begebenheiten beruht, folgt man fasziniert.

Der 81-jährige ­Regisseur verwandelt wahre Geschichten in berührende ­Spielfilme

Das hat vielerlei Gründe: Zum einen verkörpert die bereits zwei Mal für den Oscar nominierte Sally Hawkins (»Shape of Water — Das Flüstern des Wassers«) Philippa Langley, jene Alltagsheldin, die hier unbeirrbar ihrer Intuition folgt. Zum anderen versteht der mittlerweile 81-jährige Regisseur es immer noch, wahre Geschichten in berührende, von feinstem britischen Humor geadelte Spielfilme zu verwandeln. Man denke an »Philomena« mit Judy Dench als 70-jährige Frau, die man ebenso wie Philippa aus »The Lost King« nicht unterschätzen darf, und die verzweifelt ihren Sohn sucht, den ihr die katholische Kirche in Irland entriss und zur Adoption freigab.

Steve Coogan ist in »Philomena« als misanthropischer Journalist zu sehen, der ihr bei der Suche hilft, in »The Lost King« verkörpert Coogan, der auch am Drehbuch beteiligt war, den Ex-Mann Philippas. Trotz Trennung kümmert er sich ganz selbstverständlich um die gemeinsamen Kinder und steht seiner Ex-Frau zur Seite. Eine Szene, in der Philippa bewusst wird, dass John ihrem Seelenheil zuliebe den eigenen Plan aufgegeben hat, sein klappriges Auto durch ein neues auszutauschen, und ihr lieber heimlich eine fette Spende für die Suche nach dem Grab des geächteten Monarchen hat zukommen lassen, gehört wohl zu den romantischsten Momenten des laufenden Kinojahres. Zunächst aber hat die Mittdreißigerin Philippa keinen guten Lauf: Neben der gescheiterten Ehe mit John ist sie auf der Karriereleiter wieder einmal übergangen worden, zudem leidet sie an einem chronischen Erschöpfungssyndrom. Kein Wunder, dass sie bei einer Theateraufführung von Shakespeares »Richard III.«, gespielt von Game-of-Thrones-Darsteller Harry Lloyd, mit dem beeinträchtigten und ungerecht behandelten Außenseiter auf dem Thron sympathisiert.

Richard III. schleicht sich in ihre Tagträume. Eine gute Drehbuchidee, um Philippas Innensicht sichtbar zu machen. An der ein oder anderen Stelle hätte man sich ein wenig mehr Dialog zwischen den beiden gewünscht, aber immerhin darf König Richard, der auch berühmt ist für seinen angeblichen Ausruf »Ein Königreich für ein Pferd!« — hin und wieder einen Schimmel reiten. Philippa ist durch die »Gespräche« mit ihm wild entschlossen, seine Gebeine zu finden. Sie beginnt exzessiv Nachforschungen über ihren Leidensgenossen anzustellen, wobei man anfangs unwillkürlich denkt, dass die willensstarke Träumerin sich völlig verrennt. Besonders als sie sich der Richard III Society anschließt, einem Haufen sympathischer Vollnerds, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Richards Weste reinzuwaschen. Doch nichts kann Philippa aufhalten, nicht mal eingebildete Geschichtswissenschaftler. Gegen Ende startet die Hobby-Historikerin sogar ein Crowdfunding, um auf einem Parkplatz in Leicester mit Grabungen beginnen zu können. Ausgerechnet unter dem auf dem Boden aufgemalten »R« — für reservierte Parkplätze — vermutet sie das vergessene Grab des vermeintlichen Usurpators, den man angeblich achtlos in die Soar geworfen habe. Der Rest ist Geschichte rewritten, und Philippas Familie ist am Ende mächtig stolz auf ihre »Königsfinderin«.

Königskult hin oder her — Stephen Frears Tragikomödie feiert das Vertrauen in die Intuition und zelebriert weibliches Empowerment.

The Lost King
GB 2023, R: Stephen Frears, D: Sally Hawkins, Steve Coogan, Harry Lloyd
109 Min., Start: 5.10.