Wim Wenders über Ozu Yasujirō: Passt wie Arsch auf Eimer. © 2023 Master Mind

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Das Film Festival Cologne zeigt lokale Produktionen, exquisite Vorpremieren, taucht tief ein in die Werke alter Meister und bittet zahlreiche internationale Gäste auf die Bühne

Das Film Festival Cologne trägt ­einen kosmopolitischen Namen, ist aber in gewissem Sinne eine angenehm lokale Angelegenheit. Statt Weltpremieren um jeden Preis gibt es wohlausgewähltes Arthouse-Kino, das meist schon in Cannes oder Venedig zu sehen war, damit auch die örtlichen Filmfans in seinen Genuss kommen. Diese Haltung erfreut mehr denn je in Zeiten, in denen die Berlinale in den Abgrund schlittert, weil sich deren gerade geschasste Macher*innen nie um das Lokale gekümmert haben und sich lieber in einer letztlich anonymen Kunstweltläufigkeit sonnten. Dabei lautet eine zentrale Frage für jedes Festival, egal welcher Hausnummer: Was leistet es für den Standort? Das Film Festival Cologne gibt die Antwort: NRW hat einen eigenen Wettbewerb und kann sich noch dazu von seiner internationalen Seite zeigen, auch dank prestigeträchtiger Vorpremieren im Filmpalast. Diesmal sind es Justine Triets Palme-d’Or- und Palm-Dog-Gewinner »Anatomie eines Falls« oder Kore’eda ­Hirokazus in Cannes ebenfalls zweifach ausgezeichneter »Monster«. Andernorts Über­sehenes wie Amat Escalantes »Lost in the Night« geben dem Kölner Programm Charakter und Fülle, Gäste wie Hamaguchi Ryūsukes Stammkomponistin Ishibashi Eiko sorgen persönlich für Glanz. Es herrscht Trubel in der Stadt, das Publikum darf sich freuen.

Gondry und Gondry

Besonders sympathisch ist das ­Michel-Gondry-Doppel, bestehend aus »The Book of Solutions« und einer Doku. »Michel Gondry — Do It Yourself« wurde gestaltet vom Weggefährten François Nemeta. Der geht sehr liebevoll mit seinem Freund um, konzentriert sich auf die erste Hälfte seiner Filmografie, das heißt auf die Musikvideos sowie die Spielfilme bis einschließlich »Be Kind Rewind« (2008). Die Enttäuschungen, speziell die zwar kommerziellen, jedoch entschieden nicht künstlerischen Desaster »The Green Hornet« (2011) und »Der Schaum der Tage« (2013) behandelt Nemeta nur am Rand. So ist »Michel Gondry — Do It Yourself« hauptsächlich eine Nacherzählung der ­Karriere Gondrys, weder Form noch Inhalte werden jenseits der Oberfläche untersucht — ein idealer Einstieg in eines der eigenwilligsten Kino-Œuvres der letzten 35 Jahre. Dazu passt perfekt Gondrys jüngster eigener Film »The Book of Solutions«, gedreht im Haus der Familie in den Cevennen. Da gibt es eine Nebenfigur namens Tante Denise, die an ­Gondrys reale Tante Suzette an­gelehnt ist, die wiederum im ­Zentrum seines spielerischen Essays »The Thorn in the Heart« (2010) stand. Das autobiografische Bezugsfädenknäuel ist dicht gewickelt, aber da Gondry ein guter Geschichtenerzähler ist, was man wegen des visuellen Furors, für den er ja viel eher bekannt ist, gerne vergisst, verliert man sich sehr leicht und aufs Angenehmste in dieser Annäherung daran, wie einer die Welt retten will — und es vielleicht sogar tut.

Bellocchio und Unterbau

Während sich Michel Gondry an jenem Schreckenspunkt namens Mid-Career befindet, für den es anscheinend keinen deutschen Ausdruck gibt, sind Wim Wenders und Marco Bellocchio schon weiter. Möge es ein langes Endspiel für sie sein, haben sie sich doch jeweils in ihrer finalen Schaffensperiode zu erstaunlichen Höhenflügen aufgeschwungen. Nun, der italienische Altmeister hat nie einen wirklichen Durchhänger gehabt, auch wenn die internationale Kritik des Öfteren an seinem Genie gescheitert ist. Zeitgeistbefindlichkeiten... Bellocchio ist sich halt immer treu geblieben, so wie er recht konsequent bestimmte Themen aus immer neuen Perspektiven behandelte. In »Die Bologna Entführung« kreuzen sich jetzt zwei seiner Leitmotive: einerseits die Kirchen-, andererseits die Politkritik. Beides macht er am Vater fest, in diesem Fall dem Heiligen Vater. Gemeint ist Pius IX, der am 24.6.1858 den jüdischen Buben Edgaro Montara entführen ließ unter dem Vorwand, er sei getauft, also Christ und deshalb von seiner andersgläubigen Familie zu entfernen. Die Sache wurde publik, und zu einem Skandal seiner Zeit, grob vergleichbar mit der Dreyfus-Affäre einige Dekaden später in Frankreich.

»Die Bologna Entführung« reicht in mancher Hinsicht zurück in die Anfänge Bellocchios, andererseits steht er in einer Linie mit seinen jüngsten Arbeiten, dem Mafiathriller »Il traditore« (2019) und der TV-Serie zu den bleiernen Jahren Ende der 1970er, die geprägt waren von der Auseinandersetzung zwischen den Roten Brigaden und dem italienischen Staat: »Und draußen die Nacht« (2022). »Die Bologna Entführung« ist also auch als Einladung zu verstehen, tiefer einzutauchen in das Wirken eines der größten Filmemacher der Nachkriegszeit, verleiht doch auch jeder weitere seiner früheren Filme der »Bologna Entführung« neue Dimensionen. Zu entdecken bleibt eine ganze Filmografie als Hohelied an den Klassizismus, wie ihn Bellocchio versteht: klare Inszenierung, konzentriertes Schauspiel, Wucht und Druck im Gestus, sowie ein elegant gestalteter allegorischer Unterbau — zum Beispiel die Parallelisierung von Soutane und Mutterrock.

Wenders und Japan

In der Laufbahn von Wim Wenders ging es dagegen künstlerisch schwer auf und ab. Auch so gesehen, dass Filme, die mal als ganz groß galten, heute nahezu peinlich wirken, während Arbeiten, die zuerst kamen und gingen, sich erst im Laufe der Zeit als bleibende Meisterwerke erwiesen. Der neue »Perfect Days« reicht tief zurück in Wenders’ persönliche Geschichte und verweist auf seine wiederholte Beschäftigung mit dem Kino von Ozu Yasujirō — das er nun endlich verstanden zu haben scheint. Waren Wenders’ ­»Tokyo-ga« (1985) und die Japan-Szenen von »Bis ans Ende der Welt« (1991) noch arg spiritualitätssinnig, geht es in »Perfect Days« nun im nobelsten Sinne um quasi nichts. Oder anders gesagt um die Massen an Details, die ein Leben ausmachen, gesehen als Tatsachen, Gegebenheiten der Welt. Fast mag man glauben, Wenders habe Ozus Notizbücher gelesen, die vielen Listen studiert, sich davon inspirieren lassen, wie Ozu über Gartenpartys und Kneipenbesuche schreibt, und darauf die Struktur seines Films aufgebaut. Das Film Festival Cologne hat darüber hinaus zwar mit zwei Filmen von Hamaguchi Ryūsuke allerhand an gegenwärtiger japanischer Kinokultur am Start. Doch die Zeitlosigkeit und die schöne Sentimentalität von »Perfect Days« offeriert einen Raum, in dem man sich besonders gern ­einrichtet.

stadtrevue präsentiert
Film Festival Cologne

Do 19.–­Do 26.10.
filmfestival.cologne