Wenn der Begriff des Prozesses von entscheidender Bedeutung ist: Kurt Prödel, Susi Bumms und Dax Werner (von links) Foto: Stephan Pick

E bessche scheiv hät Godd gään

Musik oder Diskurs? The Screenshots liefern beides (und natürlich vieles mehr)

Der Rahmen: Unser Autor traf die Kölner Punkrock-Band The Screen­shots in der Kölner Institutsbibliothek für deutsche Sprache und Lite­ratur. Der Anlass: Am 13. Oktober wird ihr zweites Album »Wunderwerk Mensch« (Label: Musikbetrieb R.O.C.K.) erscheinen. Die Band: Susi Bumms, Kurt Prödel, Dax Werner, seit fünf Jahren gemeinsam unterwegs, bekannt geworden nicht zuletzt durch das Neo Magazin Royale.


Warum lohnt es sich, genauer auf die Texte eures neuen Albums zu achten?

Susi:Das ist ja eine Suggestiv-Frage, weil sie beinhaltet, dass es sich lohnen würde, sich mit unseren Texten auseinanderzusetzen. Das weiß ich aber nicht so genau. Vielleicht wäre die reine Lektüre unserer Texte in ihrer Betonung anders im Vergleich zu ihrer gesanglichen Intonation. Bestimmte Textstellen erhielten eine andere Deutungsebene.

Dax: Die Texte sind ja Teil der ­Musik, und ich weiß nicht genau, ob man da so viel weiterkommt, wenn man sich nur die Texte anschaut. Sie sind schließlich geschrieben worden, um gesungen zu werden. Und sie sollten daher im Kontext des Songs und des Live-Spielens ihre Wirkung ent­falten.

Kurt: Wenn ein Songtext ausschließlich abgedruckt funktionie­ren würde, dann müsste man keine Band mehr gründen. Musik und Texte kann man meines Erachtens nicht voneinander trennen. Es gibt ja Musiker:innen, über die sagt man, dass man deren Texte mal in einem Gedichtband sammeln sollte, weil die so gut sind.

Wie genau schafft ihr es dann in eurem Schaffens-Prozess, eurem textlichen Anspruch — einerseits auf der semantischen, andererseits auf der funktionalen Ebene — ge­­recht zu werden?

Kurt: Das ist ja ein extrem mechanischer Blick auf das Ganze. Aber der Begriff des Prozesses ist hier von entscheidender Bedeutung. Denn: Im Prinzip basiert alles auf reiner Improvisation. Niemand von uns hat an den Songtexten länger als eine Hinfahrt zum Proberaum gearbeitet. Das ist reine Intuition und reines Gefühl. Es mag sein, dass man einzelne Wörter nochmal überdenkt, zum Beispiel die Länge ihrer Silben, aber im Großen und Ganzen entstehen die Texte intuitiv. Spätestens bei der Probe merkst du dann, ob die funktionieren oder eben nicht. 

»Wunderwerk Mensch«? — zu lange in der Bibliothek gesessen und über einem Stapel Bücher ­eingeschlafen, oder was?

Kurt: Das ist eine geile Frage. Dieser leicht biedere, alte Vibe hier in der Bibliothek, dieser Geruch und diese leblose, beinahe sterile Atmo­sphäre. All das zusammen wäre tatsächlich der perfekte Platz für das imaginäre Buch mit dem Titel »Wunderwerk Mensch«. Man stelle sich dieses Werk leicht abgegriffen mit ein paar Kaffee-Flecken in einem Regal vor.

Dax: Ja, genau. Und in diesem Buch aus dem Jahr 1962 oder so wird dann der Querschnitt einer menschlichen Zelle beschrieben. Und natürlich auch das soziale, psychische und kulturelle Wesen des Menschen näher betrachtet. In seiner Ganzheitlichkeit. 

Es ist natürlich interessant zu erfahren, welche politische Haltung in einer deutschen Punkband schlummert, wie sie zu bestimmten gesellschafts-politischen Themen steht. Ist es generell nicht gut zu wissen, über wen man singt?

Kurt: Ja, das stimmt. Aber es ist zu einfach betrachtet, zu sehr Low Hanging Fruits irgendwie. Außerdem haben wir niemals gesagt, dass wir eine Punkband sind.
Stilistisch mag das stimmen — der Sound, die Art der Produktion, wie es sich anfühlt. Wir sind eine Hobby-Band aus Köln.

Dax: Am punkigsten war ich damals, als ich illegal im Internet Sachen heruntergeladen habe, glaube ich. Wenn man das als punkig betrachten will.

Also sind The Screenshots keine Punks, sondern eher Vertreter der guten alten Leistungsgesellschaft? So etwa: Jedes Kind, jeder Depp, jede noch so beschissene Punkband kann erfolgreich werden (Chartplatz 45)?

Dax: Heute haben wir zum Beispiel unter Hochdruck 250 Platten signieren müssen. Das war schon ­Arbeit. Aber es hat auch Spaß gemacht. Und ich muss zugeben: Im stillen Kämmerlein habe ich mich schon über unseren Chartplatz ­gefreut. Wenn ich aber jemanden kennenlerne, ist es nicht unbedingt das Erste, was ich ihr oder ihm von mir erzähle. So frei nach dem Motto »Hey, du weißt schon, dass ich mal in den Charts gewesen bin?«

Susi: Für uns selbst war die Chartplatzierung ein altes Wertungskriterium aus der Musikbranche, das wir noch aus MTV-Zeiten kannten. So wie man früher als Band hoffte, irgendwann einmal im Fernsehen auftreten zu können. Das war unser Mantra. Im Kleinen haben wir uns daher schon über unseren Platz 45 gefreut. Von der höheren Ebene aus betrachtet ist die Platzierung allerdings ziemlich unernst von uns gemeint.

Kurt: Ein Chartplatz suggeriert eigentlich immer mehr, als er wirklich ist. Es ist weniger Aufwand, in die Charts zu kommen, als irgendwelche Reels zu drehen und irgendwo stattzufinden.

Ist das nicht Imagepflege — sinngemäß zu behaupten, das alles sei euch so zugeflogen, wirklich hart dafür gearbeitet hättet ihr nicht?

Kurt: Nein, wirklich nicht. Das Musik-Machen passiert genau so. Und das Anstrengende ist nicht das Musizieren, sondern die Arbeit, die dahintersteckt: Die Organisa­tion über eine lange Strecke, die ­finanziellen Risiken, die man eingeht. Tritt man einen Schritt aus dem Hobby-Bereich, dann muss ich sagen, das stimmt: »Von nichts kommt nichts«.

»Viele Dinge sind so kompliziert / bitte glaub’ mir, das wird schon vorübergeh’n«: Hartmut Engler singt diesen Vers in… Ach ne, sorry. Jetzt bin ich im falschen Interview gelandet. Das ist ja ein Vers aus eurem Song »Wie es vorher war«.

Dax: Ach, das ist überhaupt nicht schlimm. Im Gegenteil: Ich habe das sogar als kleine Ehre verstanden, dass du Hartmut Engler in unsere Nähe rückst. Neulich habe ich nochmal zusammen mit meinem Bruder das erste Live-Album von Pur gehört. Es ist unfassbar, wie gut dieser Mann singt, und ich finde diese Band leider auch ein bisschen unterschätzt. Man kennt nur den Hit-Mix, der nervt.

Kurt: Man sollte endlich mal mit diesen Vorurteilen, was bestimmte Bands angeht, aufräumen. Wolf­gang Petry zum Beispiel, 1990er-Jahre, auf Schalke oder sowas. Das war einfach anders.

Fräulein Susi Bumms trällert auf dem neuen Album zum Thema »Scheitern« das Liedchen »Modern Dance«. Was sind denn eure »Modern Dances«, Dax und Kurt?

Dax: Puh…wo wäre ich gerne gut, aber es gelingt mir nicht? Und es fühlt sich so unglaublich kompliziert an. Zumindest komplizierter, als es sein sollte. Da fällt mir gar nicht so viel ein.

Hast du denn während des Songwritings nicht darüber nachgedacht, was denn bisher dein ­Scheitern gewesen ist? Schließlich performt ihr das Lied und ihr wollt doch sicherlich ein gewisses ­Nachdenken bei den Zuschauern anstoßen?

Dax: Jetzt fühle ich mich ein bisschen ertappt. Über den Song an sich habe ich nachgedacht, als Susi ihn eingesungen hat. Da fand ich ihn total geil. Aber ehrlich gesagt habe ich bisher nicht über mein eigenes Scheitern nachgedacht.

Kurt: Da sind wir wieder bei der Frage, inwiefern man als Musiker über seine eigenen Texte nachdenkt. Es geht vielmehr um das Gefühl, das durch den kompletten Song in mir ausgelöst wird, weniger um den Text an sich.

Macht es dich denn glücklich, am Ende einen Umgang mit dem Scheitern zu finden, Susi?

Susi: Es gibt diesen Moment, in dem man es schafft, über etwas zu lachen, das man vorher vielleicht als unüberwindbar betrachtet hat. Wenn man diesen Moment findet, dann kann ich glücklich sein. Der Song »Modern Dance« und vielleicht auch das Zitat darin aus der Psychologie Heute bezieht sich ja auf das Samuel Beckett: »Try Again. Fail Again. Fail Better«. Dieses Zitat entdecke ich aktuell vorrangig im Selbstoptimierungsumfeld. Das ändert das Zitat so, als könne man nicht mal mehr in Ruhe scheitern. Daher: Wenn man den ersten Buckel in einer schwierigen Sache überwunden hat, ja, dann macht mich das in diesem Moment glücklich.

Ihr als Band wirkt glücklich.

Kurt: Danke. Ich persönlich freue mich auch immer über Interviews, da bekommen wir die Möglichkeit, über Dinge nachzudenken, über die man sich in seinem kleinen Dunstkreis bisher keine Gedanken gemacht hat. Das macht mich glücklich. Aber es gibt eben auch mit der Band Aufs und Abs. Dennoch: Et hät noch immer jod je­jange.

Ein Lied auf eurem neuen Album singt ihr auf Kölsch. Es heißt »Die Liebe weiß nit wo se hinfährt«. Dialekte in Deutschland dagegen wissen hingegen sehr genau, wohin sie fahren: in die ewigen Jagdgründe der Sprachnutzung. Dialekte sterben aus. Behaupten zumindest viele Sprachforscher.

Kurt: Ich verstehe die Definition von »Aussterben eines Dialekts« nicht so richtig. Ein Dialekt, der doch eigentlich kulturell weitervererbt wird und sich währenddessen natürlicherweise verändert: Ab wann gilt der denn als ausgestorben? Wer definiert das denn? Der Taxifahrer, der uns hierhin gefahren hat, hat jetzt kein einwandfreies Kölsch gesprochen, aber man hat es ihm angehört: Der Mann kommt aus Köln.

Susi: Doch, Kurt. Da gibt es schon Erhebungen. In Norddeutschland beispielsweise wurde gezielt die Dialekt-Nutzung einzelner Dörfer untersucht. Da wird genau gezählt: Wie viele Personen haben noch vor etwa 70 Jahren Platt gesprochen, wie viele waren es vor etwa 40 Jahren und wie viele sind es noch heute.

Kurt: Verstehe. Bei manchen Dialekten wäre das ehrlich gesagt auch gar nicht so schlimm. Denn nicht alle Dialekte sind ja schön.

Dax: Aus meiner Sicht ist es völlig egal, ob wirklich alle jedes Kölsche Wort verstehen. Es ist ja
ein Gefühl, das durch die Mundart transportiert wird. Wenn ich BAP höre, verstehe ich ja auch nicht jedes Wort. Ich spüre einfach, was der Wolfgang mir sagen will.

Susi: Übrigens habe ich eine tolle Überschrift für das Interview (Susi blättert in einer ­Enzyklopädie der Kölner Redensarten): E bessche scheiv hät Godd gään.

stadtrevue präsentiert
The Screenshots

Fr 11.12., Luxor, 20 Uhr