Zwischen Sakko und Lederjacke: Georg Herold. Foto: Toni Hermsdorf, © Georg Herold, 2023

Humor ist ein Zeichen von Freiheit

Der Bildhauer Georg Herold im Gespräch über die DDR, Lehraktivitäten und Bananen

Wie war es, in der DDR aufzuwachsen und diese später zu verlassen?

Tatsächlich bin ich geflüchtet, weil man nicht immer nur davon träumen kann, aus einem totalitären Staat zu flüchten. Auf das Wort totalitär bezogen, denke ich dabei weder in links noch in rechts. Totalitär ist totalitär. Ich muss sagen, dass ich nicht drangsaliert worden bin. Im Gegenteil, ich hatte viel Freiheit und viel Spaß. Man hat jedoch verhindert, dass ich fortgehe. Man hat verhindert, dass ich mich woanders umsehe oder eine andere Bildung erfahre. Die DDR war insgesamt sehr konservativ, fast vorbildhaft. Ein konservativer, ideologischer »Fortschritt«. Mit allem anderen, zum Beispiel Geld oder auch wenig Geld, kommt man ja irgendwie klar. Ich bin also nicht wegen einer Tüte voll Bananen geflohen. (lacht)

Also sind Sie aus einem Freiheitsgedanken heraus geflüchtet?

Ja, in der Tat.

Was verbinden Sie mit Freiheit?

Das ist ein sehr komplexes Thema. Freiheit beinhaltet zum Beispiel auch sehr viel Respekt und Toleranz vor anderen Menschen. Ich kann nicht nur machen, was ich will.

Viele fragten mich, warum ich in der Lehre gelandet bin. Vielleicht, weil man plötzlich so weit weg von der Kunst ist? Georg Herold

Schließlich sind Sie von der BRD freigekauft worden?

Ja, denn der Fluchtversuch ging schief. Ich kam daraufhin in Untersuchungshaft und es gab eine Gerichtsverhandlung. Insgesamt war ich neun Monate im Gefängnis. In dem Bus aus der DDR nach Westdeutschland saßen ganz unterschiedliche Leute. Ich habe immer gesagt, jeder wurde gegen einen Waggon voll Butter oder eine Tüte Bananen eingetauscht. (lacht)

Dann haben Sie das Studium bei Sigmar Polke begonnen?

Nein, ich habe mich zunächst für München entschieden, weil ich nicht nach Berlin wollte. Nach drei Jahren an der Akademie der Bildenden Künste bin ich wieder geflüchtet, und zwar nach Hamburg, weil München recht verschlafen und auch konservativ war. In Hamburg war es dagegen sehr lebendig. Drei Jahre war ich an der Hochschule für Bildende Künste und habe dort viele neue Freunde gefunden. Eigentlich bin ich nach Hamburg gegangen, um bei Franz Erhard Walther zu studieren, landete dann aber schnell bei Polke. Irgendwann musste ich natürlich Geld verdienen, sodass ich nach Berlin gegangen bin und dort gejobbt habe. Schließlich ging es von Berlin nach Köln.

Warum haben Sie Köln bis heute die Treue gehalten?

Ich habe ein sehr großes Atelier. Damit zieht man nicht mehr so einfach um. Also bin ich hier geblieben und komme immer noch gut klar.

Hat Ihnen die Lehrtätigkeit an der Kunstakademie Düsseldorf Spaß gemacht?

Ich habe davor zehn Jahre in Frankfurt an der Städelschule unterrichtet. Danach bin ich nach Düsseldorf gegangen, weil das für mich einfacher war. Parallel habe ich zudem zehn Jahre in De Ateliers in Amsterdam unterrichtet. Man lernt zwar nur einen kleinen Ausschnitt von jungen Leuten kennen, aber es ist immer interessant, wie die nächsten Generationen ticken. Viele fragten mich, warum ich in der Lehre gelandet bin. Vielleicht, weil man plötzlich so weit weg von der Kunst ist? Für mich war es wichtig, wenn ich diesen Job annehmen würde, dann nur mit vollem Einsatz. Also habe ich mich bemüht, mit jedem Einzelnen zu sprechen, um herauszufinden, was junge Künstler bewegt und umtreibt.

Glauben Sie, Ihre Arbeiten aus den 80er Jahren wären heute noch in der Form möglich?

Ich würde vieles wahrscheinlich anders formulieren, weil ich weiß, wie gefährlich alles sein kann. Früher war es nur der Staat, die DDR, und jetzt sind es Instagram, Twitter usw. Da wird ungefiltert alles veröffentlicht, viele sind der Meinung, dass das auch zur Freiheit gehört, allerdings kann es Menschen aus dem Verkehr ziehen. Dabei ist es völlig egal, ob an einer Sache etwas Wahres ist.

Was halten Sie von heutiger sozial engagierter Kunst?

Das ist ja nichts anderes als früher. Früher gab es Künstler, wie zum Beispiel Käthe Kollwitz, die sehr engagiert waren. Es besteht kein Zweifel, dass das Engagement jedem Menschen gegeben ist. Kunst lässt sich aber nicht für Zwecke missbrauchen oder einsetzen, auch wenn der Missbrauch vehement und überall und für jeden Zweck versucht wird — ein großes Thema.

Sie verwenden Materialien, die nicht kunsthistorisch aufgeladen sind.

Ich habe mir damals eine kleine Unterscheidung zu Hilfe genommen. Wenn ich zum Beispiel ein fast neutrales, dummes Material wie eine Dachlatte habe, nehme ich ein Wort oder eine Metapher und schreibe es auf das Holz. Sofort ist das Holz in eine Arbeit verwandelt und hat plötzlich eine Aura. Doch ganz so einfach ist das alles trotzdem nicht.

Woran arbeiten Sie im Moment?

Faulheit. Ich versuche, mich freizuschwimmen. Das hat bestimm­te Gründe, wie zum Beispiel die Pandemie. Ich pausiere derzeit im kulturpolitischen Geschehen, damit Zeit für das Arbeiten bleibt. Heute einen Standpunkt zu finden, ist nicht mehr so einfach, aber es hat mich schon immer interessiert, wie man sehr nah am Zeitgeschehen bleibt. Wo geht das Ganze hin? Geht es vielleicht in eine Zukunft von Staaten oder Gemeinschaften, in denen man gar keine Kunst mehr braucht oder in denen die Kunst verordnet wird? Dann ist nach unserem Kunstbegriff Kunst keine Kunst mehr, sondern etwas anderes. In Nordkorea oder China gibt es ja schon solch assoziative Modelle.

Ein interessanter Gedanke, dass es vielleicht irgendwann eine Gesellschaft gibt, die keine Kunst mehr benötigt.

Diesen Gedanken habe ich damals während des Jugoslawienkrieges in den 90er Jahren meinen Studenten unterbreitet: Meint ihr, wenn man in Sarajevo ist und um jede Ecke fliegen Kugeln und warten Scharfschützen, dass man da noch ein Bild an der Wand braucht? Kunst ist jedoch vielschichtiger und reicher. Musik oder Literatur haben in solchen Zeiten viel mehr Berechtigung und spenden Trost.

Braucht es Humor in der Kunst?

Humor ist ein Zeichen von Freiheit. Leute, die humorlos sind, haben in der Regel Angst, dass ihr zu ernst gezimmertes Weltbild Schaden nimmt. Es gibt im Grunde ein sehr, sehr weites Feld von Humor. Humor zeigt sich oft erst auf den zweiten Blick.

Georg Herold
wurde 1947 in Jena geboren. Seit 1982 lebt und arbeitet Herold in Köln. Damals war er erst Teil der Jungen Wilden und emanzipierte sich und seine Position kurz danach: Introvertierter, nachdenklicher — der Humor ging ihm nie verloren. Von 1999 bis 2014 hatte er eine Professur an der Kunstakademie Düsseldorf inne. Anfang September eröffnete er im Zuge der DC Open eine große Retrospektive in der Galerie ­Thomas Zander, die sowohl historische als auch neue Arbeiten zeigt.

Galerie Thomas Zander
Schönhauser Str. 8, Bayenthal
Di–Fr 11–18 Uhr, Sa 11–17 Uhr, bis 17.11.