»Warum tut die Stadt uns das auch noch an?«: Ayten Balik mit ihrem Sohn Teoman auf dem Schulweg

»Das ist kein Wahlrecht«

Förderschulkindern wird viel häufiger ein Fahrdienst genehmigt als Inklusionskindern an Regelschulen

Teoman ist 14 Jahre alt, er hat Downsyndrom und Autismus, kann nicht sprechen, auch das Laufen macht Probleme. Er wohnt in Dellbrück und hat einen Inklusionsplatz an der Willy-Brandt-­Gesamtschule in Höhenhaus. Den drei Kilometer langen Schulweg wird er nie alleine bewältigen ­können. Dennoch hat die Kölner Stadtverwaltung den Antrag der Eltern auf Schülerbeförderung zuerst abgelehnt, weil der Vater, der bis 15.45 Uhr in Leverkusen arbeitet, »selbst in der Lage sei, seinen Sohn zum Unterrichtsende um 16 Uhr abzuholen«. Bei Verspätungen sei es »einem Kind in der Sekundarstufe 1 zuzumuten am Schulstandort bis zu 60 Minuten zu warten«. Ayten Balik, Teomans Mutter, sagt: »Das ist Kindeswohlgefährdung« und rechnet vor, dass ihr Mann selbst ohne Stau die Strecke nicht in 15 Minuten schafft. »Teoman würde loslaufen! Wir würden ihn vielleicht nie wieder finden oder er hätte einen Unfall.« Familie Balik ist aus Hagen nach Köln gezogen, um Teoman eine inklusive Schulbildung zu ermöglichen. Die ersten beiden Jahre wurde die Beförderung bewilligt, dieses Jahr jedoch abgelehnt. Erst als der Vater Widerspruch einlegte und mit einem Anwalt drohte, wurde der Antrag bewilligt, befristet bis Ende Januar. Die Eltern haben ihre Arbeitszeit reduziert, das monatliche Einkommen verringert sich um 1500 Euro. »Die Leute haben keine Kraft mehr und melden ihr Kind an der Förderschule an, wo der Transport immer genehmigt wird«, sagt Ayten Balik. »Warum tut die Stadt uns das auch noch an?«, fragt sie.

Der Kölner Inklusionsverein »Mittendrin« prangert diese Ungleichbehandlung schon lange an. Im Schulausschuss wurden jetzt Zahlen vorgelegt. Besonders beim Förderschwerpunkt Geistige und Körperliche Entwicklung ist der Unterschied gravierend: An Förderschulen wurden im Schuljahr 2021/2022 von 678 Anträgen nur zwei nicht genehmigt, an inklusiven Schulen von 37 Anträgen 17 abgelehnt und sechs nur teilbewilligt, was laut den Eltern einer Ablehnung nahezu gleichkommt.

Ute Berger von Mittendrin sagt: »In den beiden Förderschwerpunkten stehen 62 Prozent Ablehnungen an inklusiven Schulen 0,29 Prozent an Förderschulen gegenüber« und verweist darauf, dass viele Eltern den Antrag wegen der schlechten Aussichten gar nicht erst stellen. Familien würden sich für die Förderschule entscheiden, weil sie den Fahrdienst nicht schaffen. »Wenn an der inklusiven Schule die Rahmenbedingungen fast nicht zu schaffen sind, ist das kein Wahlrecht«, so Berger. Das Recht auf Teilhabe werde verletzt: »Es haben nur die Kinder die Chance auf eine inklusive Schule, deren Eltern es sich leisten können.«

»Die Zahlen haben uns misstrauisch gemacht. Die Verwaltung muss uns den Unterschied erklären«, fordert Bärbel Hölzing (Grüne). Mitte September warten die Schul­politiker noch immer auf einen Termin für ein versprochenes Fachgespräch mit der Verwaltung. Schuldezernent Robert Voigtsberger (SPD) bestreitet, dass Unterschiede gemacht würden. In allen Verfahren würden die Regelungen der Schülerfahrkostenverordnung angewandt. »Die individuellen ­Voraussetzungen und Lebensumstände der Kinder und ihrer Familien sind unterschiedlich, so dass diese naturgemäß zu unterschiedlichen Ergebnissen führen«, so eine Stadtsprecherin.

Angelika Stellmacher hat andere Erfahrungen gemacht. Sie fährt ihre 15-jährige Tochter, die körperlich beeinträchtigt ist, zur Heliosschule — neun Kilometer Umweg, zwei Stunden täglich. Zwei Anträge auf Schülerbeförderung wurden abgelehnt. »Ich arbeite Teilzeit, manchmal im Homeoffice. Das heißt anscheinend für die Stadt, man kann jederzeit bringen und abholen«, sagt sie.Nach der Grundschule besuchte ihre Tochter ein Jahr eine Förderschule — die Beförderung wurde sofort bewilligt.