Kein Mangel an Fachpersonal: Louwrens Langevoort

»Wir sind zuständig für Emotion und Hirn«

Wie geht’s der Philharmonie? Wann kommt die Sanierung? Welche Pläne hat Louwrens Langevoort? Im Interview bezieht der Intendant Stellung

Mitten in der größten Kölner Party- und Event-Zone liegt die Philharmonie. — Dieser Satz knüpft nicht nur an unsere letzte Titelgeschichte über die Partystadt Köln an, er verweist auch auf das aktuelle Selbstbild der Philharmonie. Sie ist umzingelt von Baustellen, Verkehrsmaßnahmen, ausgelassenen Scharen von Feierwütigen. Wenn Louwrens Langevoort an diese Situation denkt, schnellt ihm der Puls nach oben.

Langevoort ist Jahrgang 1957 und seit 2005 Intendant der Philharmonie, eigentlich ein guter Zeitpunkt, um zurückzublicken. Aber dafür, sagt er, liegt noch zu viel vor ihm — die anstehende Sanierung des Gebäudes, auch ­seine Zukunft als Intendant in Köln. Ganz konkret findet einige Tage nach unserem Interview ein Triathlon in der Innenstadt statt, er mache sich ernsthaft Sorgen, wie dann die Besucher zu einem zeitgleich stattfindenden Konzert kommen sollen. Na, da sind wir ja jetzt auf Temperatur — er reibt sich die Hände. Los geht’s.

Herr Langevoort, wir haben uns das letzte Mal vor drei Jahren zum Interview getroffen, Damals steckten wir mitten in der Corona-Krise. Sie waren zuversichtlich: Prominent besetzte Konzerte werden — Krise hin oder her — immer noch ausverkauft sein. Trotzdem hat die Kultur, nicht zuletzt das Konzertleben, sehr unter der Krise gelitten. Wenn Sie zurückblicken: Welche Musik hat es besonders hart getroffen?

Man kann das nicht pauschal sagen, das ist nicht auf eine Sparte beschränkt. Konzerte von Orchestern oder Ensembles, zu denen früher 1500 bis 1800 Leute gingen, haben heute weniger Zuschauer — unabhängig von der gespielten Musik. Das hat damit zu tun, dass wir bei den Abo-Zahlen noch nicht zurück sind bei den Verkäufen von 2019, was jetzt zusätzlich auf die Inflation zurückzuführen ist. Das betrifft klassische Musik, Jazz… und die zeitgenössische Musik hat es sowieso immer schwer, auch in einer Stadt wie Köln, deren Konzertpublikum immerhin den Anspruch hat, großen Wert auf Experimente zu legen. Selbst für unsere karnevalistische Matinee gab es dieses Jahr noch Karten, das war schon schon ungewöhnlich. Aktuell aber läuft der Vorverkauf sehr gut.

Geben Sie Prognosen für die weitere Entwicklung ab?

Ich bin kein Kaffeesatzleser. Aber vielleicht soviel: Private oder freie Veranstalter nehmen sich die Freiheit, auch kurzfristig ihr Programm umzustellen, um wieder Erfolg zu haben. Das möchte ich nicht machen: Wir haben den Auftrag, und dafür werden wir auch subventioniert, das Musikleben in Köln in seiner Breite und Vielfalt abzubilden. Das betrifft gerade die Musik, die mit dem fürchterlichen Wort »Nischenprogramm« belegt ist — die ermöglichen wir, das Experiment gehört zu unserem Programm. Aber dann muss man auch aushalten, wenn wir zum Beispiel bei Kammermusik-Konzerten nur 500 Zuschauer haben. Genauer: Man muss sich dann daran erinnern, dass Köln keinen Kammermusik-Saal hat und die Philharmonie da sehr häufig einspringt.

Dass Köln ein Kammermusik-Saal fehlt — die Diskussion darum kenne ich seit den 1990ern. Das scheint die Achillesferse der Musikstadt Köln zu sein.

Falsch. Man muss immer wiederholen: Die Kölner Philharmonie ist sehr gut für Kammermusik geeignet. Aber man muss der Politik immer wieder sagen: Wir haben keinen Kammermusik-Saal, daher ist eine Auslastung von 30 Prozent in unserem Saal nicht schlimm. Das wäre die Kapazität eines Kammermusik-Saals. Ich will keinen neuen Streit um einen solchen Saal vom Zaun brechen, Köln hat genug andere Baustellen. Aber dem Vorwurf — es ist ja nicht voll! —, will ich entgegentreten.

Welchen Planungshorizont hat die Philharmonie?

Das können je nach Projekt oder Konzert auch schon mal bis zu vier Jahren sein. Wir planen zum Beispiel jetzt für die ACHT BRÜCKEN-Festivals 2026 und 2027. Im Jahr 2026 steht »40 Jahre Kölner Philharmonie« an, da sind wir auch schon in der Planung. Die Stadt hat uns für die nächsten Jahre ein ›eingefrorenes‹ Budget zugebilligt, es wird sich also nicht erhöhen. Wir werden auf Rücklagen zurückgreifen, die wir genau für solche Wechselfälle der Politik gebildet haben. Das wird aber nicht gerne gesehen, auf Rücklagen zurückzugreifen hat immer den Beigeschmack, man habe nicht gut gewirtschaftet. Das ist nicht logisch. Ich habe manchmal den Eindruck, es ist gefährlich, in dieser Stadt Rücklagen zu bilden. Das weckt Begehrlichkeiten. Auf Dauer ist die Lage nur politisch zu lösen: Die Stadt muss Haltung zeigen, um einen Spielort mit internationaler Ausstrahlung zu haben, der umgekehrt auch internationale Stars anlockt.

Meine Frage nach der Planung zielte noch auf etwas anderes: die anstehende Sanierung der Kölner Philhar­monie. Wie sind langfristige künstlerische Planung und Sanierung zu vereinbaren?

Wie alt sind Sie jetzt?

49.

Denken Sie, dass Sie die Sanierung noch erleben werden?

Naja, sie ist für 2031 angesetzt.

Richtig, die Diskussionen darüber laufen schon. Aber man muss erst mal eine Be­­standserhebung machen: Wo besteht Sanierungsbedarf? Wie wird die Sanierung umgesetzt? Ich bin mir sicher, dass man zu dem naheliegenden Schluss kommt, dass eine Sanierung bei laufendem Betrieb nicht möglich sein wird. Dann wird man sich fragen müssen: Wollen wir, während der Sanierung, eine Philharmonie in der Stadt haben? Parallel zur Diskussion um die Sanierung, müsste also sehr bald die Diskussion um eine Interimsphilharmonie beginnen. Das kann kein Staatenhaus sein. Es geht nicht nur um den schönen Luxus, Orchester einzuladen, sondern: Wir haben zwei Hausorchester — das WDR-Sinfonieorchester und das Gürzenich-Orchester. Die proben tagtäglich — hier im Haus. Die geben hier mehrere Dutzend Konzerte im Jahr. Wir sollten auch nicht die Aufnahmen und digitalen Produktionen der beiden Orchester vergessen. Diese Orchester müssen im Fall einer Sanierung gut untergebracht werden.

Was wären die Voraussetzungen einer guten Unterbringung?

Die Akustik. Die Philharmonie hat eine exzellente Akustik. Ein Interim müsste mindestens so gut sein. Das ist übrigens kein Hexenwerk, in München hat man das mit der in zwei Jahren fertiggestellten Isar-Philharmonie, eigentlich auch »nur« eine Zwischenstation, gut gelöst. Man hat das Interimsquartier von Anfang an mitgedacht, in Zürich hat man das auch gemacht. Ähnlich müsste es in Köln laufen.

Es bedarf eines neuen Gebäudes…

Es gibt in Köln derzeit kein Ausweichquartier für eine Philharmonie mit zwei festen Orchestern und der Infrastruktur für eine groß­zügige Gastbespielung, das dafür in Frage käme. Wenn man das auch zukünftig nicht will, dann muss man sich ehrlich und offen dazu bekennen.

Was stünde denn bei der Sanierung an?

Derzeit wird an einer Machbarkeitsstudie gearbeitet, auf deren ­Grundlage der Rat der Stadt Köln 2025 entscheidet, was gemacht werden muss. Die perfekte Akustik, die wir haben, darf sicherlich nicht verspielt werden.

Ende 2018 haben Sie das dritte Mal Ihre Intendanz verlängert, bis 2025 zum Spielzeit-Wechsel. Gerade haben wir über Pläne geredet, die weit über 2025 hinausgreifen. Wo sehen Sie sich denn da?

Sie meinen vielleicht in 2031?

Ja, zum Beispiel.

Auf einer schönen Insel im Mittelmeer. Oder wie jetzt — total aktiv im Musikbetrieb. Das bleibt hier und jetzt offen. Nun, ich hörte, es gebe einen Mangel an Fachkräften …

Ich wollte natürlich darauf hinaus, wie es mit Ihnen hier nach 2025 weitergeht.

Die Frage müssen Sie nicht mir stellen, sondern der Behörde, die für meinen Vertrag zuständig ist. In der Satzung der KölnMusik ist festgelegt, dass eine Periode als Intendant fünf Jahre dauert, die verlängert werden kann. Das kann man aber auch verkürzen, wenn man sich darauf einigt.

Haben Sie damit gerechnet, dass Sie so lange in Köln bleiben?

2005? Nein, damals nicht. (lange Pause) Ich kam ja von der Oper, und viele Bekannte und Freunde haben mir prophezeit, dass meine Leidenschaft für die Oper mich wieder zu ihr zurückkehren lassen wird. Im Laufe der Jahre kamen dann auch einige Angebote, die ich alle ab­­gelehnt habe. Es gefiel mir immer besser hier — und wir konnten ja immer neue Möglichkeiten für Musikpraxis schaffen, Platz für neue Genres, neue Festivals. Die Musikpraxis ist anders als die Arbeit an einem Theater, an dem man mit einem festen Ensemble arbeitet. Ich lade Orchester ein — die dann auch in München oder Hamburg spielen. Aber: Wir haben uns hier einen Reichtum an Möglichkeiten erarbeitet — von Barockmusik bis zu zeitgenössischem Pop –, der dazu geführt hat, dass die Philharmonie ein starkes, eigenständiges Profil bekommen hat.

Was hat sich in der zeitgenössischen Musik in den letzten Jahren entwickelt, was sich auch im Programm der Philharmonie widerspiegelt?

Die Musik hat eine unglaubliche künstlerische Breite entwickelt, das war vor zwanzig Jahren so nicht absehbar. Wir halten den Finger am Puls und bilden die Entwicklungen so in unseren Konzerten ab, allerdings ohne einen kritischen Blick zu verlieren.

Die Philharmonie spiegelt nicht nur wider, sondern setzt auch eigene Akzente — gerade im pädagogischen Programm für Kinder und Familien, der Musikvermittlung.

Das möchte ich gar nicht so abgrenzen: Jedes Konzert ist Musikvermittlung. Die ist nicht didaktisch gemeint, sondern als offenes Angebot, Musik auf eine Art kennenzulernen, die man vorher nicht kannte. Musik hat mit Emotionen zu tun — aber auch ein bisschen mit Hirn. Wir sind hier für beides zuständig.

Zum Abschluss: Sie können auf fast zwanzig Jahre Kölner Kommunalpolitik zurückblicken. Was hat sich in der Politik geändert?

Es ist schwieriger geworden. Polarisierter. Das muss nicht schlimm sein. Aber Kulturpolitik wird heute viel parteipolitischer gedacht, dabei, so mein Eindruck, droht das Gesamtbild — welche Bedeutung hat welche Kultur für diese Großstadt — kaputt zu gehen. Es wird sehr viel diskutiert, aber es kommt nicht dabei raus, was rauskommen könnte.