Zu Tisch mit Generation V

Unter Teenagern und jungen Erwachsenen gilt Veganismus immer ­häufiger als zeitgemäßer Ernährungsstil; sie lehnen die Fleischindustrie ab und auch der Klimawandel spielt eine Rolle. Was geschieht in Familien, wenn sich die Kinder ­plötzlich anders ernähren oder den Lebensstil ihrer Eltern infrage­­stellen? Was bedeutet das für den Alltag, die Freizeit, die Geselligkeit? Wir ­haben Familien besucht, die ganz unterschiedliche ­Erfahrungen gemacht ­haben und erzählen, wie sie weiterhin gut ­zusammen ­leben, auch wenn sie sich beim Speiseplan nicht einig sind.

Gestern hat Anton Troll seinen 25. Geburtstag gefeiert. Von der Feier ist noch veganer Karottenkuchen übrig, der nun auf dem Tisch steht, dazu Kaffee und drei Sorten Milch: Hafer, Kuh und laktosefrei. Am Tisch im Hinterhof seines Elternhauses in Nippes haben neben Anton, der als Software-Entwickler arbeitet, seine Freundin Lisa Vierhaus sowie Antons Mutter Susanne Platz genommen — Susanne ist Fotografin und hat auch die Bilder für diese Titelgeschichte fotografiert.

Seit etwa fünf Jahren leben Anton und Lisa vegan. Antons Bruder Jakob, 22, ist Vegetarier. Die Kinder wohnen nicht mehr zuhause, aber der Kontakt ist noch eng, man trifft sich gerne, auch zum gemeinsamen Essen. Manchmal gerät das nun etwas holprig. Einmal habe ihre Schwester zu einer großen Feier eingeladen, berichtet Susanne, ein Grillfest. »Da standen riesige Schüsseln mit Fleisch. Anton und Lisa hatten ihre veganen Würstchen dabei und wollten die dann nicht auf den Fleischgrill ­legen.« Anton und Lisa müssen lachen, als sie die Geschichte hören. »Keiner hat verstanden, was da jetzt los ist. Das war ein bisschen prekär«, sagt Susanne. Und an Weihnachten hätten die Kinder veganes Gulasch gemacht, aus Soja. »Das wird eingeweicht und später ausgewrungen. Ich dachte: Das soll hinterher schmecken?«, erzählt Susanne.

Doch es habe dann sogar sehr gut geschmeckt. Su­sanne sagt, dass sie selbst inzwischen auch anders esse. »Wenn ich bedenke, was ich in meinem Leben schon an Fleisch verbraten habe... Hier ein Schnitzel, da eine Wiener in die Suppe. Ich hatte das Gefühl, ich kann nur mit Fleisch gut kochen.« Inzwischen backt sie meist vegan und isst — ebenso wie Antons Vater — nur noch in Ausnahmefällen Fleisch. »Ich lebe bewusster, und das habe ich den Kindern zu verdanken«, so Susanne.

Heute kommt die vegetarisch-vegan-flexitarische ­Familie sehr gut zurecht, doch anfangs mussten alle sich herantasten. Susanne erzählt, wie Anton zuhause plötzlich nicht mehr mitgegessen habe. »Anfangs dachte ich: Oh Mann, der ist so blass und dünn! Das hat mir gar nicht gefallen.« Anton sagt: »Mama, das lag doch daran, dass ich damals mit dem Handball aufgehört habe.«

Den Anfang aber hat Antons Freundin Lisa gemacht. »Ich war zwar schon lange Vegetarierin, aber vegan zu ­leben, erschien mir zu extrem«, sagt sie. Dann sah sie die Dokumentation »Cowspiracy«, die sich mit den Folgen der Viehwirtschaft für Umwelt und Klima beschäftigt. »Danach war alles anders«, erzählt Lisa. Sie habe sich vorgenommen, eine Woche lang vegan zu essen, es einfach auszuprobieren. Aber ihr sei schnell klar geworden, dass es kein Zurück mehr gebe. »Es war anfangs nicht leicht. Hafermilch schmeckt anders, und ich liebe Naturjoghurt und Käse, wie sollte ich das ersetzen?« Aber sie habe es nicht mit sich vereinbaren können, wieder Milchprodukte zu essen. »Ich dachte: Damit muss ich jetzt wohl leben.« Inzwischen vermisse sie nichts mehr.

Anton war zunächst skeptisch. »Veganismus erschien mir als eine sehr unsympathische Bewegung.« Doch Lisa überzeugte ihn. Kochen und Essen habe für ihn nie einen großen Stellenwert gehabt, so Anton. »Die Umstellung fiel mir relativ leicht.« Im Freundeskreis sei ihr Vega­nismus keine große Sache gewesen. Das gemeinsame ­Kochen sei kein Problem, man stellt sich aufeinander ein. Blöde Sprüche seien selten. In der Eifel, wo Lisa vor einigen Jahren ein Freiwilliges Jahr absolvierte, hat sie jedoch andere Erfahrungen gemacht. »Für die war ich nur das vegane Mädchen aus der Großstadt. Jeden Tag hat mir jemand Sprüche gedrückt.«

Lisa arbeitet in einem Lokal in Nippes, sie trägt dort eine stattliche Anzahl von Schnitzeln aus der Küche, um sie den vornehmlich älteren Gästen zu servieren. Schön sei das nicht, sagt Lisa. Pauschal für ihren Fleischkonsum verurteilen will sie ihre Elterngeneration aber nicht. »Vielleicht fällt es uns Jüngeren leichter, uns zu informieren, über Dokus und Soziale Medien«, sagt sie. Sich mit den Hintergründen von Veganismus auseinanderzu­setzen, könne überfordernd sein. Sie verstehe das. »Da wird ja auf einmal der ganze Lebensstil infrage gestellt.« Ihre Mutter jedoch lebt seit einigen Jahren auch vegan. »Sie hat sich von mir mitreißen lassen und ist jetzt total happy damit.«

Ich habe mit meiner Familie Mega-Glück«, sagt auch Faye Brüning. Die 19-Jährige wohnt im Belgischen Viertel. Zunächst habe sie nur aus gesundheitlichen Gründen auf Tierprodukte verzichtet. »Ich hatte das Gefühl, Milch tut meinem Körper nicht gut.« Inzwischen aber gehe es ihr vor allem um Umwelt und Tierwohl. Auch Faye hat viele Dokus über die Milch- und Fleischindustrie gesehen. Für sie ist klar: »Ich will davon kein Teil sein!« Ihre Mutter habe auf ihren Entschluss »sehr positiv reagiert und super Rücksicht genommen«. Zwar ernährt sich die Mutter selbst nicht vollständig vegan, kocht aber zuhause im Sinn ihrer Tochter. »Meine Familie ist offen, und sie essen gerne vegan«, sagt Faye. Nur mit der Oma sei es schwieriger. »Sie ist überzeugt, dass vegane Ernährung nicht gut ist. Es ist schwer, mit ihr darüber zu reden, weil sie in ihrer Meinung sehr festgefangen ist«, sagt Faye. Kürzlich war die ganze Familie zusammen im Biergarten essen. Etwa die Hälfte der Karte sei vegan oder vegetarisch gewesen — Faye freute sich: »Ein mega guter und wichtiger Schritt in die richtige Richtung!« Doch ihre Oma habe sich furchtbar aufgeregt. »Das finde ich schade. Vor allem, weil sie gar keine Argumente hatte«, sagt Faye. Am Ende habe die Oma dann selber ein veganes Gericht bestellt.

Auch Familie Schultze aus Nippes ist gern bereit zu erzählen, wie es ist, vegan zu leben. Zuerst wollen wir uns zu Hause treffen, aber dann schlagen Schultzes ein Gespräch per Videochat vor. Der Vater, Arne Schultze, schaltet sich aus einem Tonstudio in Düsseldorf zu, wo er arbeitet. Mutter Jana und die beiden Kinder Tilda, 12, und Henri, 8, sitzen in der Nippeser Wohnung auf dem Sofa.

Alle vier leben vegan — aber das ­haben die Eltern entschieden. Etwa um das Jahr 2011, sagt Jana Schultze, hätten sich ihr Mann und sie nach der Lektüre von Jonathan Safran Foers »Tiere essen« überlegt, vegan zu leben. Foers Buch — eine Art Eltern-Version der Netflix-Dokus und Vegan-Influencer. »Damals waren wir schon Vegetarier. Vegan — das war erst mal ein Versuch, aber es hat sofort Sinn gemacht. Schrittchenweise haben wir beschlossen, auch keine Lederschuhe zu tragen oder Kleidung, die aus Tierprodukten hergestellt wird.«

Und weil die Eltern überzeugt waren, lebten Tilda und Henri seit ihrer Geburt zunächt schon vegetarisch. »Unsere Kinder konnten nicht selbst entscheiden, ob sie Fleisch essen oder nicht, das stimmt«, sagt Arne Schultze. »Aber man lässt Kinder ja auch nicht entscheiden, ob sie einen Film ­gucken, der erst frei ab 18 Jahre ist.« Wenn sich ihre Kinder später einmal entscheiden würden, nicht mehr vegan zu sein, sei das okay, sagt Arne Schultze. Doch danach sieht es bei dem Gespräch nicht aus.

Kann man Säuglinge vegan ernähren? Von der ­Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) wird aufgrund einer möglichen Unterversorgung und Nährstoffmangel »eine vegane Ernährung in Schwangerschaft und Stillzeit sowie im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter nicht ­empfohlen.« Allerdings gebe es auch Hinweise auf »positive Effekte«, weil dadurch mehr Ballaststoffe und weniger Zucker aufgenommen werde, aber »die Beurtei­lungs­­grundlage ist derzeit noch nicht ausreichend«, so die DGE.

»Wir hatten wie viele Eltern einen Ernährungsberatungskurs für Babykost. Dann habe ich die Leiterin gefragt, ob es vegetarisch geht«, erzählt Jana Schultze. Da stellte sich heraus, dass sie selbst fünf Kinder hat, die alle vegetarisch groß geworden sind. »Eine vegane/vegetarische Ernährung ist grundsätzlich kein Problem, man muss sich nur um ein paar Dinge kümmern — vor allem, sich ausgewogen zu ernähren und Vitamin B-12 zu substituieren.« Vitamin B-12 aber ist ausschließlich in tierischen Produkten enthalten, Veganer müssen daher auf Nahrungsergänzungsmittel zurückgreifen.

Auch Eisenmangel kann bei einer fleischlosen Ernährung eine Folge sein. »Wir lassen das bei den Kindern regel­mäßig checken«, sagt Jana Schultze. »Sicher auch mehr als manche anderen, die sich mit Fleisch ernähren.«

»Auch in rotem Fleisch gibt es längst kein Vitamin B-12 mehr«, sagt Arne Schultze. »Das wird zugefüttert. Inso­fern ist es obsolet, zu behaupten, man müsse Tiere essen, um an Vitamin B-12 zu kommen.« Vielen Kindern macht ohnehin ein ganz anderer Stoff Sorgen: Gelatine.  »Viele Produkte werden ja mit Gelatine gemacht, etwa Süßigkeiten«, erzählt Tilda, während ihr Bruder kurz einen Kopfstand auf dem Sofa zeigt. »Es ist sehr blöd, wenn man nach Geburtstagsfeiern eine Süßigkeiten-Tüte bekommt, in der Gummibärchen sind, die man nicht essen kann oder möchte — aber ich sollte mich nicht darüber aufregen, denn es ist ja meine Entscheidung, das nicht zu essen. Und es gibt ja auch gute Gummibärchen ohne Gelatine.«

In Tildas und Henris Schulklassen gibt es kaum Vegetarier, Veganer schon gar nicht. »Wir reden halt nicht darüber, dann würden wir uns streiten oder sehr krass diskutieren«, sagt Tilda. »Aber ich habe eine Freundin, mit der kann ich super darüber reden — die isst zwar Fleisch, versteht mich aber, und dass das eigentlich nicht gut ist.«

Während das Verständnis unter jungen Eltern offenbar wächst oder sie selbst vegan essen, ist es oft die Generation der Großeltern der heutigen Kinder, die irritiert ist. »Wir haben keine Konflikte mit den Eltern«, sagt Arne Schultze. »Aber wenn wir sie besuchen, will meine Mutter immer Essen machen. Wir sagen dann: Nee, wir kommen vorbei, um mit dir Zeit zu verbringen. Du musst nicht ­kochen.« Seine Eltern hätten das akzeptiert.

Anders als in der Kita, sagt Jana Schultze, wo es damals einmal in der Woche Fleisch gegeben habe. »Dann wurde mal darüber diskutiert, ob Henri sich ausgeschlossen fühlen könne, weil er keine Würstchen essen dürfe. Ich wurde gefragt, ob Henri nicht selbst entscheiden dürfe.« Aber Henri erzählt, er habe sich gar nicht ausgeschlossen gefühlt. Er wolle nur keine Tiere essen. »Mich hat sogar mal jemand gefragt, ob ich den schmie­rigen Fisch nicht mal probieren will«, sagt Henri. »Und was hast du gesagt?«, will Tilda jetzt wissen. »Nein!«, sagt Henri und beide müssen kichern und Henri purzelt fast vom Sofa. »Ich habe mich damals aber geärgert«, sagt Jana Schultze. »Wenn jemand aus religiösen Gründen kein Schweinefleisch isst, würde es nie jemand wagen, ihm zu sagen: Komm, iss das doch mal.«

Arne Schultze kennt ähnliches vom Job: »Zur Weihnachtsfeier wird oft diskutiert, wie und in welchem Restaurant ein klassisches Weihnachtsessen mit einer vegetarischen Alternative angeboten wird oder könnte — aber die vegane Alternative bleibt immer auf der Strecke.«  

Arne Schultze, dessen Mutter und Großmutter ein Reformhaus hatten, sagt, er habe einen ganzheitlichen Blick auf Ernährung und den Lebenskreislauf. Dazu gehöre auch, Lebensmittel mit Pestiziden zu vermeiden. »Ich habe keinen Bock, die Erdbeeren vom Aldi zu essen. Im Job höre ich dann: Ah, der feine Herr geht sich lieber im Reformhaus die Demeter-Erdbeeren holen.«

Sein Resümee: »Die Leute gucken nicht gern über den Tellerrand oder wissen das alles, aber sagen sich: Egal, ich zieh mein Ding durch, ich hab einfach Bock drauf.«

Arne Schultze findet den Aktivismus gut, wie ihn etwa die Österreicherin Raffaela Raab praktiziert, die als  »Militante Veganerin« auftritt und Menschen konfrontativ überzeugen will, etwa mit schockierenden Bildern aus Schlachtfabriken. Für sich selbst aber wählt Arne Schultze einen anderen Weg. »Ich versuche überhaupt nicht, irgendjemanden zu überzeugen. Das sind endlose Gespräche, die zu nichts führen.«

Jana Schultze sagt aber auch: »Ich arbeite im sozialen Bereich. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen ernähren sich vegetarisch oder auch vegan — auf meiner früheren Arbeitsstelle war das noch anders.«

Trotzdem ernähren sich nach repräsentativen Um­fragen immer noch bloß rund 0,1 Prozent in Deutschland vegan, Lobbygruppen von Veganern sprechen hingegen von 1,1 Prozent. Allerdings ist in der Altersgruppe der jungen Erwachsenen ein deutlicherer Trend zu bemerken: Laut einer Umfrage im Auftrag des unter anderem von BUND und der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung erstellten »Fleischatlas« ernähren sich 15- bis 29-Jährige doppelt so oft vegetarisch und vegan wie der Durchschnitt der Bevölkerung. Demnach ernähren sich 10,4 Prozent vegetarisch und 2,3 Prozent vegan. Zwei Drittel in der ­jungen Altersgruppe lehnen »die heutige Fleischindus­trie« ab und sehen darin eine Bedrohung für das Klima.

Fridays for Future sei ein großer Treiber für diese Entwick­lung, so die Autoren des Fleischatlas. Doch Jana Schultze sieht auch in der Klimabewegung noch Nachholbedarf. 2019, auf der großen Klimastreik-Demonstra­tion von ­Fridays for Future, habe ihre Tochter Tilda, damals in der dritten Klasse, ein Schild getragen, das zum Fleischverzicht aufruft. »Ich finde das krass, wie wenige auch dort den Schritt gehen, sich vegan zu ernähren — und wie ­wenige Eltern das auch für ihre Kinder richtig finden angesichts des Klimawandels.«

Dabei, so sehen es viele Veganer, hat vegane Ernährung auch persönliche Vorteile. Sie führe nicht zu Mangel­erscheinungen, sondern könne im Gegenteil fit hal­ten, wenn man sich informiere und beraten lasse, sagt Malte. Der 25-jährige Kölner hat seit ­einem Jahr seinen Bachelor in Fitnessökonomie und arbeitet als Fitness­trainer. Wir treffen uns in der ­Filiale einer Café-Kette. Dort erzählt er, wie er zum Veganer wurde; nur möchte er nicht, dass sein Nachname in der Zeitung steht. Malte kommt gerade vom Job, bestellt sich Wasser und einen veganen Bagel. Wir nehmen in ­einer der weniger lauten Ecken Platz, es sind fast nur junge Menschen da, so wie Malte.

Seit 2016 lebt er vegan, da wurde er gerade achtzehn. »Aber schon rund zwei Jahre vorher bin ich auf das Thema gestoßen«, sagt er. »Das ging mit Social Media und den ­Videos aus Schlachthäusern und so los. Zuerst hab ich immer weiterscrollt, vielleicht mal ein paar Wochen den Verzehr von Fleisch oder anderen Tierprodukten redu­ziert, aber dann war wieder alles wie zuvor. Aber irgend­wann ging das nicht mehr.« Als er sah, dass etwa für Eier männliche Küken geschreddert werden, war klar, dass vegeta­risch nicht reiche, sagt Malte.

Damals lebte er noch bei seinen Eltern und begann, selbst zu kochen, als er seine Ernährung auf vegan umstellte. Vorher, sagt Malte, habe er sich darum nicht gekümmert. »Ab und an mal eine Tiefkühlpizza, das war’s.« Als er dann auszog, habe er selbst einkaufen und kochen müssen. »Dadurch ist es mir leichter gefallen, mich vegan zu ernähren — ich musste mich ja nicht umstellen, ich kenne nur veganes Kochen.« Zunächst aber habe er weiter gegessen wie zuvor, »bloß in der veganen Version: Toast mit veganer Wurst, veganem Käse, und mal ein Soja­joghurt mit Beeren und Zucker. Ich war nicht der mega gesundheitsbewusste Mensch.« Der moralische Aspekt habe im Vordergrund gestanden. »Aber dann wollte ich immer mehr ­wissen.« Auch Malte hat »Cowspiracy« von Kip Andersen gesehen, die Doku, die viele Jugendliche zu Veganern ­gemacht hat. Hinzu sei gekommen, dass durch Fridays for Future immer mehr auch die Auswirkungen der Ernäh­rung auf das Klima diskutiert wurden. »Es geht nicht nur um Tierleid, sondern um die Zukunft des ­Planeten«, sagt Malte.

Er kommt kaum dazu, seinen Bagel zu essen, so ausführlich erzählt er. Auch, weil er immer wieder abwägt und einschränkt. Malte wirkt klar in seinen Überzeugungen, betont aber auch, er wolle niemandem aggressiv gegen­übertreten, der nicht vegan lebe. »Es gibt Menschen, die nicht die Zeit haben, sich so intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen, oder denen es schwerfällt, im Alter Gewohnheiten abzulegen.«

Maltes Vater, der heute mit einer anderen Frau zusammenlebt, ist zusammen mit ihr allerdings auch Veganer geworden. Das habe auch mit ihm zu tun, sagt Malte. »Meist essen sie vegane Ersatzprodukte. Unter Ernährungsgesichtspunkten nicht optimal. Aber doch besser als vorher.«

Als Fitnesstrainer und zertifizierter Ernährungstrainer gibt er sein Wissen an seine Kundinnen und Kunden weiter. Aber auch da, sagt Malte, wolle er fair sein und sagen, was zu ihnen passt, ohne sich bloß nach seinen eigenen moralischen Kriterien zu richten. »Anfangs habe ich jedes Schlachthaus-Video geteilt. Da war ich sicher das Klischee des missionarischen Veganers«, sagt er. »Aber es ist nicht nachhaltig, jedem, den man mit einem Burger sieht, eine leidende Kuh in den Kopf zu schießen. Von solcher Konsumkritik möchte ich wegkommen.« Sein Online-Aktivismus, sagt Malte, stelle nun das ganzheitliche Bild des Themas in den Mittelpunkt. »Ich glaube, durch konstruktive Kritik fällt es leichter, das anzunehmen. Es geht ­darum, so gut zu Tieren und dem Planeten zu sein, wie es ­einem möglich ist. Vegan bedeutet nicht, immer perfekt zu sein.«

Im Nachhinein wünsche er sich, dass ihm seine Eltern früher die Verbindung zwischen Fleischkonsum und Tier­leid aufgezeigt hätten. Aber er sei unter anderen Bedin­gun­gen als seine Eltern aufgewachsen, habe über Social Media einen viel größeren Informationsfluss nutzen können. »Und ich weiß auch, wie privilegiert ich bin, hier in Köln, in einer Großstadt, wo es leicht fällt, sich vegan zu ernähren«, sagt Malte. »Im schlimmsten Fall krieg ich nur Pommes.« Das ist hier im Café anders, und dann findet Malte endlich Zeit, seinen veganen Bagel aufzuessen.

In einem Café mit jemanden zu sitzen, der kein Veganer ist, das ist für andere Veganer aber schwer erträglich — und das kann Familien und Freundschaften auf eine harte Probe stellen. Davon kann Simon Blum erzählen. Der 28-jährige Software-Entwickler stieß vor etwa einem halben Jahr auf Videos der Influencerin und Vegan-Aktivistin Raffaela Raab, von der auch Arne Schultze erzählt hatte. Eine Woche lang verschlang Simon alle Infos, die er zum Thema finden konnte, sah Dokus über Tierhaltung. Simon ist zum Aktivisten geworden. In seiner Dachgeschosswohnung in Ehrenfeld hat er Aufkleber, Flyer und zwei vegane Müsliriegel auf dem Esstisch bereit gelegt, auf seinem T-Shirt steht »Nicht vegan sein ist nicht ok.« Am Wochenende steht Simon oft mit anderen Aktivisten auf der Domplatte oder in der Fußgängerzone von Bonn, Essen oder Düsseldorf. Auf einem Fernseher zeigen sie Szenen aus der Dokumentation »Dominion«, etwa von Schlachtungen, dem Schreddern von Küken, oder wie Kühen das Kalb weggenommen wird. Wenn Passanten stehen bleiben, sprechen die Aktivisten sie an. Viele reagierten »einsichtig« oder zumindest respektvoll, aber manchmal würden sie auch angeschrien, so Simon, oder jemand stelle sich demonstrativ mit seinem Burger vor die Gruppe, um ihn genüsslich zu verzehren.Seit Simon Veganer ist, nimmt er seine Umwelt anders wahr. Ob er in den Supermarkt geht, zur Arbeit oder ins Café, »überall sehe ich Tierprodukte oder Menschen, die Tierprodukte konsumieren.« Sofort stehe ihm das damit verbundene Leid vor Augen. Inzwischen arbeitet ­Simon fast nur noch im Homeoffice. Wenn er seine ­Eltern in Krefeld besucht, setzt er sich mit ihnen nicht an den Tisch, wenn sie Fleisch oder andere Tierprodukte essen. Das Verhältnis sei schwierig geworden, sagt Simon. Er sieht es so: Seine Familie leugne die Fakten, oder entscheide sich bewusst, das Falsche zu tun. Während seine Mutter der Ansicht ist, Tierprodukte gehörten zu einer ausgewogenen Ernährung dazu, fehlt dem Vater die Lust, sich mit dem Thema überhaupt auseinanderzusetzen. Verständlich, findet Simon: »Es ist unangenehm, wenn man eingestehen muss, dass das, was man tut, falsch ist.« Sein Bruder wiederum stelle Tierrechte prinzipiell infrage. »Aber er kann auch keine relevanten Eigenschaftsunterschiede zwischen Menschen und Tieren nennen.« In seiner Familie seien sie zwar alle keine Anti-Veganer. »Sie finden es nur blöd, dass ich sie damit ›belästige‹.

«In seinem Freundeskreis macht er ähnliche Erfahrungen. Ein sehr guter Freund aus der Grundschulzeit habe ihm nun ein Ultimatum gestellt: Entweder das Thema bleibe außen vor, oder die Freundschaft sei zu Ende. »Ich versuche es«, sagt Simon. Zum Glück habe er auch vegane Freunde, und durch den Aktivismus lerne er viele neue Leute kennen. Aber vielen alten Freundschaften gehe es aktuell nicht sehr gut. »Klar ist das traurig. Aber noch trauriger ist doch, was mit den Tieren passiert.«