Vielgliedrige Musik: 33EMYBW

Das Schaben der Anthropoden

33EMYBW China denkt elektronische Musik neu — im Oktober ist sie in Köln zu sehen

Die Night of Surprise, dieses ganz besondere Minifestival im Stadtgarten, bringt Jahr für Jahr unterschiedlichste experimentelle Klänge aus verschiedensten Regionen und Hintergründen zusammen und begeistert Zuschauer mit noch nie zuvor Gehörtem. Jetzt steht mit 33EMYBW eine Künstlerin aus China auf dem Programm, die mit ihren Auftritten zwar bereits auf einigen angesehen internationalen Bühnen für Aufmerksamkeit gesorgt hat, größtenteils aber noch unter dem Radar fliegt.

In Shanghai geboren und aufgewachsen, ist Wu Shanmin, so ihr bürgerlicher Name, bereits über ein Jahrzehnt fester Bestandteil der dortigen Musikszene. Als Kernmitglied der wohl bekanntesten lokalen experimentellen Rockband YADAE, aber auch als visuelle Künstlerin und Produzentin. In ihren Arbeiten finden sich Strukturen, die sowohl moderne elektronische Musik aufnehmen als auch Inspiration und Elemente aus traditioneller chinesischer Folkmusik mit einbeziehen — oder sogar aus dem Insektenreich! Ihre ganz eigene Definition dessen nennt 33EMYBW den »Limb Dance«, eine Art Tanz der Gliedmaßen; inspiriert von den sogenannten Gliederfüßern oder auch Arthtropoden, also Spinnen, Tausendfüßler, Krebse ... kurzum: wirbellose Tiere.

Deren Bewegungen seien die Vorlage für die Beats in 33EMYBWs Musik. Tatsächlich finden sich insektoide Einflüsse auch immer wieder in der Bildsprache ihrer Veröffentlichungen, sei es auf den Plattencovern, dem eigenen Instagram-Feed oder in ihren bisweilen wilden, zu starren Zöpfen verflochtenen, Frisuren.

Die Ästhetik ihrer vielgliedrigen Freunde dient Wu Shanmin so als Vorlage für sich stetig verändernde Rhythmen, deren Einzelteile sich oft staccatoartig und unabhängig voneinander zu bewegen scheinen. Was beim ersten Hören noch chaotisch und unzugänglich wirken mag, entwickelt bald sogartigen Charme. Es lassen sich nach und nach Muster und Wiederholungen erkennen; die vielen zusammenlaufenden Tonspuren ergeben das lebendige Gefühl, sich inmitten eines Ameisenhaufens zu befinden.

Gerade darin steckt die Magie dieser Melodie-armen, fast ausschließlich auf perkussiven Elementen basierenden Collage, die 33EMYBWs einzigartigen Sound ausmacht, der sich mittlerweile auf drei Alben für das Shanghaier Label SVBKVLT erstreckt.

»Golem« wurde als Erstlingswerk 2018 von Bandcamp ausgezeichnet und von Kode9 als prominentem Fürsprecher gepriesen. Das ebnete den Weg für weitere Veröffentlichungen. Während ihr Debüt noch ausschließlich am Computer entstand, begann 33EMYBW für ihr zweites Werk »Dong?« damit, auch Chor-Aufnahmen eines Volksmusik-Ensembles aus der Gui-Zhou-Provinz im Südwesten Chinas zu nutzen.

Das zementierte 33EMYBWs Ruf als talentierte Produzentin jenseits eines Newcomer-Status und inspirierte zu weiteren Arbeiten mit traditionellen Instrumenten aus ihrer Heimat.

So vereint das dritte, nach ihren, nun ja, Vorbildern »Arthropods« betitelte, Album gekonnt beide Welten. Mit gesampleter traditioneller Perkussion aus China sowie gesprochenen Versen, dazu eine mittlerweile noch ausgefeiltere Produktionstechnik; die auf unterschiedlichen Metren basierenden Rhythmen umrunden sich scheinbar selbst, während bassgewaltigen Unterbauten schnurstracks durch den akustischen Insektenschwarm führen.

Live ließ sich dies bereits auf Festivals wie SXSW in Texas, dem Nyege Nyege in Uganda oder dem Unsound in Krakau erleben. On Tour wird der zuvor im Studio gestrickte Sound-Teppich in Form spontan arrangierter Live-Sets dargeboten, meist mit der Unterstützung ausgefallener, computer-generierter Visuals.

Wer dazu nicht tanzen mag, kann immer noch tief in die einzigartige Welt von Arthropoden und Co. eintauchen. Wenn sich die eigenen Gliedmaßen irgendwann gefühlt autonom wie Insekten in Bewegung setzen, ist das Ergebnis plötzlich ähnlich gut zu tanzen wie das Rhythmus-Feuerwerk aus Chicago namens Juke oder Footwork. Doch statt urbanem Straßen-Flair regiert bei 33EMYBW ein Hang zum Experimentellen, ein Erschaffen von unwirklichen Landschaften, in denen Myriaden von kleinen, extra-terrestrischen Wesen herumkrabbeln und wo ein mutiger Entdeckergeist jede Menge Überraschungen finden wird.

Night of Surprise: Sa 14.10., Stadtgarten/Jaki/ All Area, ab 19 Uhr, Eintritt frei.
Weitere Infos in unserer Konzertvorschau.